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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 6

Nein zum Bündnis für Arbeit

Gewerkschaftslinke wollen sich formieren

Am 11.Dezember sprachen Bernd Riexinger und Tom Adler (Betriebsräte bei Daimler in Stuttgart) auf Einladung der Ruhrkoordination im Bahnhof Langendreer in Bochum zum Thema "Bündnis für Arbeit" und zum Vorschlag einer verstärkten Zusammenarbeit der gewerkschaftlichen Linken. Wir bringen im folgenden eine Zusammenfassung beider Vorträge.
 
  Das "Bündnis für Arbeit" ist für Bernd Riexinger nur vor dem Hintergrund einer politisch-geistigen Krise der Gewerkschaften und ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik begreifbar. Die Sozialpartnerschaft wurde von der Kapitalseite aufgekündigt. Die Reaktion darauf war eine verstärkte Konzessionsbereitschaft der Gewerkschaften. In ihnen waren sozialistische Strömungen immer in der Minderheit. Doch die sozialdemokratischen Strömungen waren zumindest wohlfahrtsstaatlich orientiert, wollten, daß es den abhängig Beschäftigten besser gehen sollte.
  Als Reaktion auf die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft hat sich der Typus des "Modernisierers" herausgebildet, der über die Anerkennung der "Standort"-Logik mitgestalten will. Diese Logik ist von Teilen der Gewerkschaften übernommen worden, die sich selbst mitverantwortlich fühlen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Folgen für Beschäftigte und Erwerbslose sind verheerend. Es gab in den letzten fünfzehn Jahren eine gewaltige Umverteilung zu Lasten der kleinen Leute und zugunsten der Reichen, einen Machtverlust der Gewerkschaften und einen schleichenden bis dramatischen Rückgang ihrer Mitgliederzahl.
  Das "Bündnis für Arbeit" wird die Krise der Gewerkschaften vertiefen. Beim ersten "Bündnis"-Versuch vor zwei Jahren forderte der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel 300000 neue Stellen und ein Ende des Sozialabbaus, versprach dafür Konzessionen bei der Lohnpolitik. Nur diese Konzessionen wurden gemacht. Dem auf zentraler Ebene gescheiterten "Bündnis""folgten zahlreiche betriebliche "Bündnisse". Da verkauften die Betriebsräte betriebliche Errungenschaften gegen Investitionszusagen. Der schleichende Abbau von Arbeitsplätzen ist überall weiterbetrieben worden. Maximal wurde ein gewisser Kündigungsschutz für einige Jahre erreicht.
 
  Wettbewerbsfähigkeit
  Das "Bündnis für Arbeit" heißt jetzt "Bündnis für Arbeit und für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft". Die Arbeitgeber haben erklärt, daß sie mit dem ersten Gespräch sehr zufrieden sind.
  Im Protokoll steht als erstes das Ziel einer weiteren Senkung der Lohnnebenkosten und einer strukturellen Reform der Sozialversicherung. Zweitens flexible Arbeitszeiten, Ausbau und Förderung der Teilzeitarbeit und steuerliche Entlastung der mittelständischen Wirtschaft. Weiterhin die Verbesserung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, eine Tarifpolitik, die den Beschäftigungsaufbau unterstützt, usw. Ein großer Teil ist sehr wirtschaftsfreundlich. Zusagen der Unternehmerseite sind nicht bekannt. Steuerentlastungen werden vorgezogen, hingegen hat sich Bundeskanzler Schröder von einem Überstundenverbot distanziert.
  Die angestrebte Vollrente ab 60 Jahren wurde beerdigt. Dafür soll es voraussichtlich Tariffonds geben. Das bedeutet: Wir müssen die frühere Verrentung selber bezahlen und ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der gesetzlichen Rentenversicherung wird gemacht.
  Im Vorfeld forderte die Kapitalseite, die Frage der Tariferhöhungen einzubeziehen, was einer Neuauflage der Konzertierten Aktion und Lohnleitlinien gleichkäme. Die IG Metall hat dies zumindest offiziell zurückgewiesen. Das nächste Gespräch ist am 25.Februar, fällt also mitten in die Tarifrunde. Der DGB-Vorsitzende Schulte hat gesagt, man müsse auch über die Tariferhöhungen sprechen. Schmoldt von der IG Chemie hat die 6,5%-Forderung als nicht gerade geeignet bezeichnet, die "Bündnis"- Gespräche zu führen. Und Schartau von der IG Metall hat gesagt, die Ankündigung von Warnstreiks sei für die "Bündnis"- Gespräche nicht förderlich.
  Ohne Mobilisierung sind Ergebnisse nur durch Konzessionen erreichbar, durch eine Fortsetzung der neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben in sozialdemokratischer Verkleidung: Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, Teilzeit auf eigene Kosten, Lohnverzicht.
  Diese Politik gefährdet auch die Erfolge der Arbeiterbewegung in anderen Ländern. Alle wollen eine Senkung der Lohnnebenkosten, aber die Lohnstückkosten sind in der Bundesrepublik im Vergleich mit anderen Industrieländern immer stärker gesunken. Erfolge, wie etwa das 35- Stunden-Wochen-Gesetz in Italien und Frankreich, könnten wieder in Frage gestellt werden, wenn diese Politik des Sozialdumpings weitergeht.
  Bei den "Bündnis"-Gesprächen findet keine Rückkoppelung mit der Basis statt, keine breite Diskussion in der Mitgliedschaft. Demokratisch legitimierte Gremien spielen keine Rolle, alles wird über die Medien inszeniert.
 
  Eigenständigkeit
  Die Linken sollten verlangen, daß die Gewerkschaften eigenständige Positionen gegenüber Kapitalseite und Regierung entwickeln und vorlegen. Weiterhin ist sehr wichtig, daß die Gespräche nicht in die Metalltarifrunde hineinstrahlen. Es wäre demoralisierend, wenn keine guten Lohnabschlüsse zustandekämen. Dann ginge weitere Glaubwürdigkeit verloren, nachdem Zwickel ein "Ende der Bescheidenheit" eingeläutet hat.
  Gegenüber der Regierung müssen klare Forderungen gestellt werden, zur Unterstützung der Arbeitszeitverkürzung, zur Rückumverteilung von oben nach unten, zur Ausbildungsabgabe, zum Wiederaufbau der sozialen Sicherungssysteme mit anders verteilter Finanzierung, zum Ausbau des Gesundheitswesens, zu einer wirklich ökologischen Steuerreform usw. Dazu bedarf es einer Diskussion in der Mitgliedschaft als Vorstufe einer außerparlamentarischen Mobilisierung.
  Abbau von Massenarbeitslosigkeit und Umverteilung von Reichtum gehören zusammen. Es ist wichtig, daß man den Leuten klar macht, daß sie einen klaren Interessen- und Klassenstandpunkt einnehmen müssen, auch gegenüber der Regierung. Auch eine sozialdemokratische Regierung kann nur durch Mobilisierungen zu Zugeständnissen bewegt werden, ähnlich wie wir es in Frankreich oder Italien erlebt haben. In diesem Zusammenhang muß auch die Frage des politischen Streiks wieder hoffähig gemacht werden.
  Eine Chance dazu gibt es. Denn der Regierungswechsel drückt aus, daß es eine Stimmung gibt, Schluß zu machen mit der neoliberalen Politik und dem permanenten Sozialabbau. Diese Stimmung ist diffus und vage und kann schnell kaputt gehen, wenn man statt Politisierung und Mobilisierung auf Stellvertreterpolitik in "Bündnissen" und Konzessionspolitik orientiert. Als Linke haben wir derzeit wenig Einfluß. Deshalb glauben wir, daß sich die Linke stärker organisieren und positionieren muß.
 
  Für eine linke Strömung
  Tom Adler wies zu Beginn seines Vortrags auf seine im Sommer 1997 zusammen mit Bernd Riexinger verfaßten "Thesen über die Notwendigkeit einer organisierten linken Strömung in den Gewerkschaften" hin, die in der Zeitschrift Sozialismus und in Expreß veröffentlicht worden waren. Entstanden sind sie aus dem Stuttgarter "Zukunftsforum Gewerkschaften", einem lockeren Diskussionszusammenhang linker Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Stuttgarter Raum, der seit 1991 existiert.
  Ausgangspunkt dafür waren drei Zäsuren: Die Tarifbewegung 92/93 mit der sog. "Wende in der Tarifpolitik", das erste "Bündnis für Arbeit" und die Erfahrungen in Stuttgart mit dem Umgang der Gewerkschaftsapparate mit der spontanen Protestwelle gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung.
  In bisherigen Diskussionen wurde kritisiert, daß die Thesen zu kurz greifen, sich zu stark auf die Kritik der toyotistischen Betriebsorganisation und der Rolle der Gewerkschaftsführung konzentrieren und die neuen Umbrüche in der Klassenzusammensetzung außen vorlassen, die daher rühren, daß Outsourcing zunimmt, daß zunehmend Klein- und Mittelbetriebe die Großbetriebsstrukturen ersetzen und gewerkschaftsfreie Zonen entstehen, daß Scheinselbständigkeit und prekäre Beschäftigung zunehmen.
  Diese Kritik wird akzeptiert. Solche "weißen Flecken" können aber nur beseitigt werden durch Überwindung der betrieblichen und örtlichen Beschränkung, durch eine bundesweit vernetzte Diskussion – und eine der Absichten der Thesen ist es, eine solche in Gang zu bringen.
  1992/93 fielen zeitlich zusammen: die Tarifrunde der IG Metall in Nordwürttemberg/Nordbaden, die Tarifrunde der HBV und die Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Obwohl es eine Tarifrunde in der Krise war, war die Stimmung in den Metallbetrieben so, daß mit jedem Warnstreik neue Kraft zuwuchs und von unten eine Ausdehnung der Aktivitäten gefordert wurde. Parallel dazu gelang es der HBV erstmals, Leute im Banksektor auf die Straße zu bringen. Und die Müllmänner streikten, die ÖTV war auf der Straße. Es entstand die Möglichkeit, die Bewegungen zu bündeln und ein Druckpotential aufzubauen. Die Möglichkeit wurde von den Führungen ganz bewußt ausgeschlagen, sie setzte auf ein Abwürgen und Beenden der Bewegungen. Hinzu kam das "Bündnis für Arbeit" mit allen seinen Konsequenzen.
  Dann kam 1996 entgegen der Regie der Gewerkschaftsführung – Walter Riester, Klaus Zwickel, Dieter Schulte hatten sich ja hinter den Kulissen schon mit einer Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent arrangiert – völlig unerwartet die spontane Streikbewegung. Es war das Jahr des Sparpakets, eine einzige Folge von Protestdemonstrationen in Bonn: der Masseure gegen die Gesundheitsreform, der HBV gegen das neue Ladenschlußgesetz, Stahlarbeiter und Bergarbeiter waren unterwegs mit massiven Aktionen.
  Die spontanen Streiks gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung hatten eine bis daher unbekannte Qualität. In verschiedenen Regionen, etwa bei Benz Bremen, gelang es der örtlichen IG Metall über Monate nicht, die Dynamik in der Belegschaft in den Griff zu kriegen und einen geordneten Betrieb im Sinne des Unternehmens wiederherzustellen.
  Auch 1996 lag die Möglichkeit auf der Straße, soziales Protestpotential zu einer massiven breiten Bewegung zusammenzuführen, die eine deutliche Wende hätte erreichen können. Es war ein breites Klima dafür vorhanden. Doch die Gewerkschaftsführung war unfähig und unwillig, der Standortpolitik und -logik etwas entgegenzusetzen.
  Unsere Diskussion im Zukunftsforum ging davon aus, daß wir nicht in der Lage gewesen waren, über den Ort hinaus eine Koordinierung der spontanen Streikbewegungen hinzukriegen. Am Ort gelang es punktuell, den Oberen einen Strich durch das Drehbuch zu machen. Gegen eine bundesweite Strategie der kompensatorischen Verhandlungen und des Abwürgens ist das nicht möglich. Ergebnis unserer Diskussion war: Nachdem wir gesehen haben, daß es dieses Arrangement mit der neoliberalen Politik in unseren Führungen und Apparaten gibt (Schulte hat es auf den Begriff gebracht: "Anpassen oder untergehen!"), muß von unserer Seite aus eine andere, übergreifende Diskussion initiiert werden.
  Ein weiterer Punkt war die Erfahrung, wie Medien instrumentalisiert werden, um Politik in den Gewerkschaften zu machen. Führende Vertreter präsentieren ihren höchstpersönlichen Standpunkt als den der Gewerkschaft – damit werden Debatten in gewählten Gremien völlig obsolet. Unsere Konsequenz: Wir brauchen über die inhaltlichen Debatten zur Beseitigung der weißen Flecken hinaus eine handlungsorientierte Vernetzung der Gewerkschaftslinken. Sonst werden wir den neuen Herausforderungen, die sich mit dem "Bündnis für Arbeit" abzeichnen, nicht gewachsen sein, sondern wieder in der kleinen linken Kräherecke bleiben und nicht in der Lage sein, in Prozesse einzugreifen.
  Ohne Zweifel sind wir weniger geworden, und einige, die früher linke Politik gemacht haben, haben inzwischen die Seite gewechselt. Aber es haben sich auch andere Dinge geändert. Die gewerkschaftlichen Führungen und Apparate haben keine konsistente überzeugende Orientierung mehr. Man sehe sich nur die Position des IG-Metall-Vorsitzenden innerhalb von zwei Jahren an: Zuerst "Bündnis für Arbeit", dann 32-Stunden-Kampagne, aber ohne den Versuch, sie tatsächlich in Politik umzusetzen, dann die 60er Rente – und jetzt ist klar, daß mit dem Tariffonds aus der Sicht des Apparats jede Debatte über Arbeitszeitverkürzung in den nächsten Jahren vom Tisch ist.
  Die geringere Geschlossenheit der Apparate und Führungen führt nach unserer Einschätzung auch dazu, daß bei einer stärkeren linken Vernetzung und Formierung voraussichtlich zumindest heute noch nicht wieder mit den primitiven Knüppelorgien zu rechnen wäre, wie das in den 70er und 80er Jahren mit Sicherheit unisono der Fall gewesen wäre und betrieblich ja auch war. Außerdem gibt es in anderen Ländern organisierte linke kritische Strömungen, etwa die Teamsters for a Democratic Union in den USA, Essere Sindacato in Italien, ähnliches in Frankreich.
  Das dritte gewichtige Argument ist, daß heute sehr schnell sehr tiefe Krisen möglich sind. Bernd hat kürzlich aus einer Sitzung des Aufsichtsrats der BW-Bank berichtet, wo die Banker ihre Einschätzung der Asienkrise zum besten gaben, und die Einschätzung war, daß man nur um Millimeter an einer Weltwirtschaftskrise vorbeigeschrappt ist. Diese Situation ist nicht überwunden, sie wird sich in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach wiederholen. Wir haben keine Periode der Ruhe vor uns und sollten also darangehen, die Voraussetzungen zu schaffen, daß wir auch in solchen krisenhaften Entwicklungen in der Lage sind, Gegenwehr über den Ort, über den Betrieb hinaus zu entwickeln, und das mit einer emanzipatorischen Perspektive.
 


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