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Am 11.Dezember sprachen Bernd Riexinger und Tom
Adler (Betriebsräte bei Daimler in Stuttgart) auf Einladung der
Ruhrkoordination im Bahnhof Langendreer in Bochum zum Thema
"Bündnis für Arbeit" und zum Vorschlag einer
verstärkten Zusammenarbeit der gewerkschaftlichen Linken. Wir bringen im
folgenden eine Zusammenfassung beider Vorträge.
Das "Bündnis für Arbeit" ist für Bernd Riexinger nur
vor dem Hintergrund einer politisch-geistigen Krise der Gewerkschaften und ihrer
sozialpartnerschaftlichen Politik begreifbar. Die Sozialpartnerschaft wurde von der
Kapitalseite aufgekündigt. Die Reaktion darauf war eine verstärkte
Konzessionsbereitschaft der Gewerkschaften. In ihnen waren sozialistische
Strömungen immer in der Minderheit. Doch die sozialdemokratischen
Strömungen waren zumindest wohlfahrtsstaatlich orientiert, wollten, daß
es den abhängig Beschäftigten besser gehen sollte.
Als Reaktion auf die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft hat sich der Typus
des "Modernisierers" herausgebildet, der über die Anerkennung der
"Standort"-Logik mitgestalten will. Diese Logik ist von Teilen der
Gewerkschaften übernommen worden, die sich selbst mitverantwortlich
fühlen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die
Folgen für Beschäftigte und Erwerbslose sind verheerend. Es gab in den
letzten fünfzehn Jahren eine gewaltige Umverteilung zu Lasten der kleinen Leute
und zugunsten der Reichen, einen Machtverlust der Gewerkschaften und einen
schleichenden bis dramatischen Rückgang ihrer Mitgliederzahl.
Das "Bündnis für Arbeit" wird die Krise der Gewerkschaften
vertiefen. Beim ersten "Bündnis"-Versuch vor zwei Jahren forderte
der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel 300000 neue Stellen und ein Ende des
Sozialabbaus, versprach dafür Konzessionen bei der Lohnpolitik. Nur diese
Konzessionen wurden gemacht. Dem auf zentraler Ebene gescheiterten
"Bündnis""folgten zahlreiche betriebliche
"Bündnisse". Da verkauften die Betriebsräte betriebliche
Errungenschaften gegen Investitionszusagen. Der schleichende Abbau von
Arbeitsplätzen ist überall weiterbetrieben worden. Maximal wurde ein
gewisser Kündigungsschutz für einige Jahre erreicht.
Wettbewerbsfähigkeit
Das "Bündnis für Arbeit" heißt jetzt
"Bündnis für Arbeit und für die Wettbewerbsfähigkeit
der Wirtschaft". Die Arbeitgeber haben erklärt, daß sie mit dem
ersten Gespräch sehr zufrieden sind.
Im Protokoll steht als erstes das Ziel einer weiteren Senkung der Lohnnebenkosten und
einer strukturellen Reform der Sozialversicherung. Zweitens flexible Arbeitszeiten,
Ausbau und Förderung der Teilzeitarbeit und steuerliche Entlastung der
mittelständischen Wirtschaft. Weiterhin die Verbesserung der Innovations- und
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, eine Tarifpolitik, die den
Beschäftigungsaufbau unterstützt, usw. Ein großer Teil ist sehr
wirtschaftsfreundlich. Zusagen der Unternehmerseite sind nicht bekannt.
Steuerentlastungen werden vorgezogen, hingegen hat sich Bundeskanzler
Schröder von einem Überstundenverbot distanziert.
Die angestrebte Vollrente ab 60 Jahren wurde beerdigt. Dafür soll es
voraussichtlich Tariffonds geben. Das bedeutet: Wir müssen die frühere
Verrentung selber bezahlen und ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der
gesetzlichen Rentenversicherung wird gemacht.
Im Vorfeld forderte die Kapitalseite, die Frage der Tariferhöhungen
einzubeziehen, was einer Neuauflage der Konzertierten Aktion und Lohnleitlinien
gleichkäme. Die IG Metall hat dies zumindest offiziell zurückgewiesen.
Das nächste Gespräch ist am 25.Februar, fällt also mitten in die
Tarifrunde. Der DGB-Vorsitzende Schulte hat gesagt, man müsse auch
über die Tariferhöhungen sprechen. Schmoldt von der IG Chemie hat die
6,5%-Forderung als nicht gerade geeignet bezeichnet, die "Bündnis"-
Gespräche zu führen. Und Schartau von der IG Metall hat gesagt, die
Ankündigung von Warnstreiks sei für die "Bündnis"-
Gespräche nicht förderlich.
Ohne Mobilisierung sind Ergebnisse nur durch Konzessionen erreichbar, durch eine
Fortsetzung der neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben in
sozialdemokratischer Verkleidung: Arbeitszeitverkürzungen ohne
Lohnausgleich, Teilzeit auf eigene Kosten, Lohnverzicht.
Diese Politik gefährdet auch die Erfolge der Arbeiterbewegung in anderen
Ländern. Alle wollen eine Senkung der Lohnnebenkosten, aber die
Lohnstückkosten sind in der Bundesrepublik im Vergleich mit anderen
Industrieländern immer stärker gesunken. Erfolge, wie etwa das 35-
Stunden-Wochen-Gesetz in Italien und Frankreich, könnten wieder in Frage
gestellt werden, wenn diese Politik des Sozialdumpings weitergeht.
Bei den "Bündnis"-Gesprächen findet keine
Rückkoppelung mit der Basis statt, keine breite Diskussion in der
Mitgliedschaft. Demokratisch legitimierte Gremien spielen keine Rolle, alles wird
über die Medien inszeniert.
Eigenständigkeit
Die Linken sollten verlangen, daß die Gewerkschaften eigenständige
Positionen gegenüber Kapitalseite und Regierung entwickeln und vorlegen.
Weiterhin ist sehr wichtig, daß die Gespräche nicht in die Metalltarifrunde
hineinstrahlen. Es wäre demoralisierend, wenn keine guten
Lohnabschlüsse zustandekämen. Dann ginge weitere
Glaubwürdigkeit verloren, nachdem Zwickel ein "Ende der
Bescheidenheit" eingeläutet hat.
Gegenüber der Regierung müssen klare Forderungen gestellt werden, zur
Unterstützung der Arbeitszeitverkürzung, zur Rückumverteilung
von oben nach unten, zur Ausbildungsabgabe, zum Wiederaufbau der sozialen
Sicherungssysteme mit anders verteilter Finanzierung, zum Ausbau des
Gesundheitswesens, zu einer wirklich ökologischen Steuerreform usw. Dazu
bedarf es einer Diskussion in der Mitgliedschaft als Vorstufe einer
außerparlamentarischen Mobilisierung.
Abbau von Massenarbeitslosigkeit und Umverteilung von Reichtum gehören
zusammen. Es ist wichtig, daß man den Leuten klar macht, daß sie einen
klaren Interessen- und Klassenstandpunkt einnehmen müssen, auch
gegenüber der Regierung. Auch eine sozialdemokratische Regierung kann nur
durch Mobilisierungen zu Zugeständnissen bewegt werden, ähnlich wie
wir es in Frankreich oder Italien erlebt haben. In diesem Zusammenhang muß
auch die Frage des politischen Streiks wieder hoffähig gemacht
werden.
Eine Chance dazu gibt es. Denn der Regierungswechsel drückt aus, daß es
eine Stimmung gibt, Schluß zu machen mit der neoliberalen Politik und dem
permanenten Sozialabbau. Diese Stimmung ist diffus und vage und kann schnell kaputt
gehen, wenn man statt Politisierung und Mobilisierung auf Stellvertreterpolitik in
"Bündnissen" und Konzessionspolitik orientiert. Als Linke haben
wir derzeit wenig Einfluß. Deshalb glauben wir, daß sich die Linke
stärker organisieren und positionieren muß.
Für eine linke Strömung
Tom Adler wies zu Beginn seines Vortrags auf seine im Sommer 1997 zusammen mit
Bernd Riexinger verfaßten "Thesen über die Notwendigkeit einer
organisierten linken Strömung in den Gewerkschaften" hin, die in der
Zeitschrift Sozialismus und in Expreß veröffentlicht worden waren.
Entstanden sind sie aus dem Stuttgarter "Zukunftsforum Gewerkschaften",
einem lockeren Diskussionszusammenhang linker Gewerkschafterinnen und
Gewerkschafter im Stuttgarter Raum, der seit 1991 existiert.
Ausgangspunkt dafür waren drei Zäsuren: Die Tarifbewegung 92/93 mit
der sog. "Wende in der Tarifpolitik", das erste "Bündnis
für Arbeit" und die Erfahrungen in Stuttgart mit dem Umgang der
Gewerkschaftsapparate mit der spontanen Protestwelle gegen die Kürzung der
Lohnfortzahlung.
In bisherigen Diskussionen wurde kritisiert, daß die Thesen zu kurz greifen, sich
zu stark auf die Kritik der toyotistischen Betriebsorganisation und der Rolle der
Gewerkschaftsführung konzentrieren und die neuen Umbrüche in der
Klassenzusammensetzung außen vorlassen, die daher rühren, daß
Outsourcing zunimmt, daß zunehmend Klein- und Mittelbetriebe die
Großbetriebsstrukturen ersetzen und gewerkschaftsfreie Zonen entstehen,
daß Scheinselbständigkeit und prekäre Beschäftigung
zunehmen.
Diese Kritik wird akzeptiert. Solche "weißen Flecken" können
aber nur beseitigt werden durch Überwindung der betrieblichen und
örtlichen Beschränkung, durch eine bundesweit vernetzte Diskussion –
und eine der Absichten der Thesen ist es, eine solche in Gang zu bringen.
1992/93 fielen zeitlich zusammen: die Tarifrunde der IG Metall in
Nordwürttemberg/Nordbaden, die Tarifrunde der HBV und die Tarifrunde im
öffentlichen Dienst. Obwohl es eine Tarifrunde in der Krise war, war die
Stimmung in den Metallbetrieben so, daß mit jedem Warnstreik neue Kraft
zuwuchs und von unten eine Ausdehnung der Aktivitäten gefordert wurde.
Parallel dazu gelang es der HBV erstmals, Leute im Banksektor auf die Straße zu
bringen. Und die Müllmänner streikten, die ÖTV war auf der
Straße. Es entstand die Möglichkeit, die Bewegungen zu bündeln
und ein Druckpotential aufzubauen. Die Möglichkeit wurde von den
Führungen ganz bewußt ausgeschlagen, sie setzte auf ein Abwürgen
und Beenden der Bewegungen. Hinzu kam das "Bündnis für
Arbeit" mit allen seinen Konsequenzen.
Dann kam 1996 entgegen der Regie der Gewerkschaftsführung – Walter Riester,
Klaus Zwickel, Dieter Schulte hatten sich ja hinter den Kulissen schon mit einer
Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent arrangiert –
völlig unerwartet die spontane Streikbewegung. Es war das Jahr des Sparpakets,
eine einzige Folge von Protestdemonstrationen in Bonn: der Masseure gegen die
Gesundheitsreform, der HBV gegen das neue Ladenschlußgesetz, Stahlarbeiter
und Bergarbeiter waren unterwegs mit massiven Aktionen.
Die spontanen Streiks gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung hatten eine bis
daher unbekannte Qualität. In verschiedenen Regionen, etwa bei Benz Bremen,
gelang es der örtlichen IG Metall über Monate nicht, die Dynamik in der
Belegschaft in den Griff zu kriegen und einen geordneten Betrieb im Sinne des
Unternehmens wiederherzustellen.
Auch 1996 lag die Möglichkeit auf der Straße, soziales Protestpotential zu
einer massiven breiten Bewegung zusammenzuführen, die eine deutliche Wende
hätte erreichen können. Es war ein breites Klima dafür vorhanden.
Doch die Gewerkschaftsführung war unfähig und unwillig, der
Standortpolitik und -logik etwas entgegenzusetzen.
Unsere Diskussion im Zukunftsforum ging davon aus, daß wir nicht in der Lage
gewesen waren, über den Ort hinaus eine Koordinierung der spontanen
Streikbewegungen hinzukriegen. Am Ort gelang es punktuell, den Oberen einen Strich
durch das Drehbuch zu machen. Gegen eine bundesweite Strategie der
kompensatorischen Verhandlungen und des Abwürgens ist das nicht
möglich. Ergebnis unserer Diskussion war: Nachdem wir gesehen haben,
daß es dieses Arrangement mit der neoliberalen Politik in unseren
Führungen und Apparaten gibt (Schulte hat es auf den Begriff gebracht:
"Anpassen oder untergehen!"), muß von unserer Seite aus eine
andere, übergreifende Diskussion initiiert werden.
Ein weiterer Punkt war die Erfahrung, wie Medien instrumentalisiert werden, um
Politik in den Gewerkschaften zu machen. Führende Vertreter
präsentieren ihren höchstpersönlichen Standpunkt als den der
Gewerkschaft – damit werden Debatten in gewählten Gremien völlig
obsolet. Unsere Konsequenz: Wir brauchen über die inhaltlichen Debatten zur
Beseitigung der weißen Flecken hinaus eine handlungsorientierte Vernetzung der
Gewerkschaftslinken. Sonst werden wir den neuen Herausforderungen, die sich mit
dem "Bündnis für Arbeit" abzeichnen, nicht gewachsen sein,
sondern wieder in der kleinen linken Kräherecke bleiben und nicht in der Lage
sein, in Prozesse einzugreifen.
Ohne Zweifel sind wir weniger geworden, und einige, die früher linke Politik
gemacht haben, haben inzwischen die Seite gewechselt. Aber es haben sich auch andere
Dinge geändert. Die gewerkschaftlichen Führungen und Apparate haben
keine konsistente überzeugende Orientierung mehr. Man sehe sich nur die
Position des IG-Metall-Vorsitzenden innerhalb von zwei Jahren an: Zuerst
"Bündnis für Arbeit", dann 32-Stunden-Kampagne, aber ohne
den Versuch, sie tatsächlich in Politik umzusetzen, dann die 60er Rente – und
jetzt ist klar, daß mit dem Tariffonds aus der Sicht des Apparats jede Debatte
über Arbeitszeitverkürzung in den nächsten Jahren vom Tisch
ist.
Die geringere Geschlossenheit der Apparate und Führungen führt nach
unserer Einschätzung auch dazu, daß bei einer stärkeren linken
Vernetzung und Formierung voraussichtlich zumindest heute noch nicht wieder mit den
primitiven Knüppelorgien zu rechnen wäre, wie das in den 70er und 80er
Jahren mit Sicherheit unisono der Fall gewesen wäre und betrieblich ja auch war.
Außerdem gibt es in anderen Ländern organisierte linke kritische
Strömungen, etwa die Teamsters for a Democratic Union in den USA, Essere
Sindacato in Italien, ähnliches in Frankreich.
Das dritte gewichtige Argument ist, daß heute sehr schnell sehr tiefe Krisen
möglich sind. Bernd hat kürzlich aus einer Sitzung des Aufsichtsrats der
BW-Bank berichtet, wo die Banker ihre Einschätzung der Asienkrise zum besten
gaben, und die Einschätzung war, daß man nur um Millimeter an einer
Weltwirtschaftskrise vorbeigeschrappt ist. Diese Situation ist nicht überwunden,
sie wird sich in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach wiederholen. Wir
haben keine Periode der Ruhe vor uns und sollten also darangehen, die
Voraussetzungen zu schaffen, daß wir auch in solchen krisenhaften
Entwicklungen in der Lage sind, Gegenwehr über den Ort, über den
Betrieb hinaus zu entwickeln, und das mit einer emanzipatorischen
Perspektive.