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Vor allem die ehemalige Bundesregierung in Deutschland
wollte die Mittel für den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) –
Bestandteil des Lomé-Abkommens – kürzen, weil sie verstärkt auf
Zusammenarbeit und Handel mit den osteuropäischen Staaten setzte.
Im Nachfolgeabkommen, das seit September 1998 in Brüssel verhandelt wird,
sollen außerdem nicht mehr Bedürftigkeit, sondern Erfolgsaussichten
Prüfungsgrundlage für "Entwicklungshilfe" an die 71 Afrika-
Karibik-Pazifik Staaten (AKP) sein. Die neuen Kriterien werden unter dem Oberbegriff
"good governance" ("verantwortungsbewußte
Staatsführung") zusammengefaßt. Gemeint sind hier – daran lassen
die Leitlinien der EU-Kommission keine Zweifel – vor allem die
"verantwortungsbewußte" Behandlung der Interessen potentieller
Investoren und der Privatwirtschaft.
Unter "good governance" versteht die EU jedoch nicht nur wirtschaftliche
Effizienz, sie betont auch über die Ökonomie hinausgehende politische
Aspekte: Die EU-Kommission spricht im Vertragsentwurf häufig und gerne von
Menschenrechten und Demokratie. Nichtregierungsorganisationen aus den AKP-
Staaten wollen sich auf die wohlfeilen Verlautbarungen der Kommission nicht
verlassen und warnen in diesem Zusammenhang vor einer "Funktionalisierung
des Demokratiebegriffs".
Menschenrechte als Investitionsfaktor
Jüngstes Beispiel für ein ambivalentes Demokratie- und
Menschenrechtsverständnis ist der Umgang der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit
dem 1998 gewählten Regime des Gnassingbe Eyadema in Togo. Auf Grundlage
des derzeitigen Abkommmens stellt zwar die EU-Kommission mit der
Begründung, der Machthaber verstoße gegen Menschenrechte, die Zahlung
von Entwicklungshilfegeldern ein. Das hindert einzelne Mitgliedstaaten, u.a.
Deutschland, jedoch nicht daran, gleichzeitig Massenabschiebungen in den
westafrikanischen Küstenstaat durchzuführen, in dessen Hauptstadt Lomé
das gleichnamige Abkommen vor mehr als zwanzig Jahren ins Leben gerufen wurde.
Neben dem Verbot von Giftmüllexporten wurden 1990 auf Drängen des
Europaparlaments Menschenrechtsstandards in die Lomé-IV-Konvention
aufgenommen. Weitere Beispiele verdeutlichen den funktionalen Charakter und die
Doppelmoral der Menschenrechtsdebatte. Während die Leistungen an den Sudan
seit 1990 zurückgehalten wurden, nimmt die EU die
Menschenrechtsverletzungen in Nigeria, dem aufgrund der Ölexporte
wirtschaftlich bedeutendsten AKP-Staat, weitgehend hin.
Das änderte sich auch nicht nach der Ermordung des international bekannten
Menschenrechtlers und Schriftstellers Ken Saro-Wiwa durch das damalige Abacha-
Regime. Der Diktator war der EU nach wie vor ein willkommener Handelspartner:
Nach Angaben von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen
Gemeinschaft, war Nigeria 1996 der bedeutendste AKP-Staat für die EU. Die
Einfuhren aus diesem Land, insbesondere von Erdöl, machten allein 22,7
Prozent der gesamten EU-Einfuhren aus AKP-Ländern aus. 1998 gab es zudem
mehrere Massenabschiebungen aus europäischen Ländern nach Nigeria,
aus dem auch nach dem Tod von Abacha noch immer zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen gemeldet werden.
Die Abschiebepraxis der EU-Länder soll, so das Vehandlungspapier, durch
wirtschaftlichen Druck noch effektiver gestaltet werden. Die EU verlangt eine
Kooperation der AKP-Staaten bei der Bekämpfung des Drogenhandels und
gegen "illegale Migration". Konkret fordert sie Regierungen und
zivilgesellschaftliche Kräfte der AKP-Staaten auf, in einen Dialog zu treten und
Bedingungen zu schaffen, um künftig "illegale Migration" zu
verhindern. Auch von einer "Rücknahmeverpflichtungsklausel"
für illegal eingereiste Flüchtlinge aus den AKP-Staaten ist die Rede. Nach
der ersten Lomé-Verhandlungsrunde im November 1998 betonte die EU-Kommission
ihre Absicht, eine solche Klausel fest im Nachfolgevertrag einzubauen.
Das Anliegen der AKP-Staaten, im Zuge der Ausweitung des Schengener Abkommens
auch "die Achtung der Würde der Einwanderer" aus ihren
Ländern zu berücksichtigen, wird mangels Druckmittel allenfalls in einer
unverbindlichen Präambel seinen Niederschlag finden.
Die "Rückführungsklausel" hatte das damals
zuständige Wirtschaftsministerium auf Betreiben des Innenministers Manfred
Kanther eingefordert. Die neue Bundesregierung scheint dem kaum etwas
entgegensetzen zu wollen: Ein Sprecher des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erklärte im Dezember
gegenüber der Volksstimme lediglich, daß es "keine automatische
Verknüpfung" von Entwicklungshilfe und
Rückführungsverpflichtung gebe und die "Einzelfälle"
geprüft werden müßten.
Leiser Protest
Im Gegensatz zur EU, der es vor allem um eine Anbindung an die Bestimmungen der
WTO geht, fordern die AKP-Länder eine "entwicklungsfördernde
Gestaltung der internationalen Handelsbeziehungen". Vor allem
Nichtregierungsorganisationen, weniger die Staatspräsidenten der einzelnen
AKP-Staaten, betonen die Bedeutung von ökologischen und sozialen
Mindeststandards. Sie erwarten von der EU einen Aktionsplan, der eine Entschuldung
der AKP-Staaten in die Wege leitet, da aus ihrer Sicht die Verschuldung nach wie vor
eines der wichtigsten Entwicklungshemmnise darstellt.
Unterstützung finden die AKP-Positionen im Europäischen Parlament
(EP) und der u.a. von terre des hommes und der Deutschen Welthungerhilfe ins Leben
gerufenen Initiative "Eurostep". Sie befürwortet ein gemeinsames
Vorgehen der EU und AKP-Regierungen, um eine Strategie gegen die Regeln der
WTO und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu entwickeln, die eine
"entwicklungsfördernde wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen EU und
AKP verhindern".
Tatsächlich stellen EU und AKP innerhalb der WTO mittlerweile 71 der
insgesamt 132 Mitglieder. Der Franzose Michel Rocard, Vorsitzender des
Entwicklungsausschusses im EP und Mitglied der Fraktion der Sozialdemokratischen
Partei Europas, hält die Vorraussetzungen für eine Verlängerung
der im WTO-Gründungsvertrag von Marrakesh akzeptierten
Ausnahmeregelungen für günstig.
Ansonsten hat Rocard jedoch mit "entwicklungsfördernder
Zusammenarbeit" wenig im Sinn. Er meint, daß "in Zeiten
großer Zusammenschlüsse ein Ensemble aus Europa und Afrika
beträchtliches Gewicht in der Welt von morgen" hätte, "auch
als Gegenmacht zu einer monolithischen Vorherrschaft der USA".
Ob er sich damit durchsetzen kann, ist unwahrscheinlich. Kritiker monieren, daß
Paris die Kosten für dieses "Kooperationsmodell" auf die EU
abwälzen wolle. Zudem wird das Hauptaugenmerk auf der geplanten
Osterweiterung gerichtet, die außerdem Transferleistungen von den alten zu den
neuen Mitgliedsländern in einer bisher nicht bekannten
Größenordnung seit Bestehen der EU erfordert.
Das Lomé-Folgeabkommen kann auf EU-Seite nur mit Zustimmung der nationalen
Parlamente der EU-Mitgliedstaaten in Kraft treten. Auch dort regt sich Protest. Die
PDS fordert in einem Antrag an die Bundesregierung den angemessenen Schutz der
Landwirtschaft und der Textilproduktion und lehnt zusätzliche
Konditionierungen von Entwicklungszusammenarbeit, z.B. der Bereitschaft zur
Rückübernahme von Asylbewerbern, ab. Schon im April 1998 brachte der
entwicklungspolitische Sprecher der PDS, Willibald Jakob, das Anliegen, die AKP-
Staaten in die WTO-Ordnung zu integrieren, auf den Punkt. Er forderte eine
Überprüfung, "ob nicht eine WTO-konformer Handel" einen
"kolonialen Hintergrund" rekonstruiere.
Auch im EP hoffen einige Abgeordnete, daß bald neue Zeiten anbrechen werden.
Das Parlament soll laut Amsterdamer Vertrag bald in allen Fragen der EU-
Entwicklungspolitik mitentscheiden dürfen.
Die Sache hat einen Haken: Für Lomé gilt das nur eingeschränkt. EP kann
zwar am Schluß, wenn alles ausgehandelt ist und Kommission und AKP-Seite
den neuen Vertrag unterzeichnet haben, das Nachfolgeabkommen ablehnen, hat jedoch
keinen Einfluß auf die Ausgestaltung der Verhandlungsmandate. Auch der EEF
liegt jenseits des Einflußbereichs des EP, da der EEF als Sonderfonds der
einzelnen EU-Regierungen eingerichtet wurde.
Trittbrettfahrer der
Entwicklungspolitik
Entwicklungszusammenarbeit der EU hat vor allem die Aufgabe, Wohlstand und
Wachstum in Europa zu fördern. Dies ist im Titel II Art.3a des Maastrichter
Vertrags unmißverständlich festgeschrieben. Deshalb steht die EU-
Entwicklungspolitik im Dienste der Außen-, Wirtschafts- und Handelspolitik und
ist ihr in jeder Hinsicht untergeordnet.
Das spiegelt sich auch im stark gefallenen Anteil des EEF an den gesamten
"Entwicklungsleistungen" der EU wider. Von 1994 bis 1996 ist er von
50,6 Prozent auf 23,3 Prozent gefallen. Vor allem der Anteil Osteuropas und der
Länder der ehemaligen UdSSR, aber auch Asien, Mittelmeeranrainer und
Lateinamerika stieg an. Mit 55 Prozent kommt z.B. mehr als die Hälfte der
lateinamerikanischen Entwicklungshilfe aus Europa.
Der Hintergrund: während die EU mit den AKP-Ländern, die mehr und
mehr zum globalen Armenhaus avancieren, ein Handelsdefizit beklagt, kommt ihr das
Plus beim Handel mit Lateinamerika, dem zweitwichtigsten Handelspartner der EU,
sehr entgegen. Und da die "Entwicklungshilfe" in der Regel an
Aufträge für europäische Unternehmen gebunden ist und oftmals
für die Begleichung des "Schuldendienstes" verwendet wird, reiben
sich z.B. deutsche Finanz- und Versicherungsunternehmen, die verstärkt in
Lateinamerika investieren wollen, die Hände. Ebenso die spanische Telefonica
und portugiesische Telekom, die sich den lateinamerikanischen
Telekommunikationsmarkt untereinander aufteilen.
Seit den 90er Jahren führt die EU mehr nach Lateinamerika aus, als sie
importiert. Das Handelsdefizit Lateinamerikas gegenüber der EU wird mit zehn
Milliarden Dollar beziffert. Der jährliche Handel zwischen der EU und
Lateinamerika beträgt mittlerweile 70 Milliarden Dollar. Die Weichen für
diese Entwicklung stellten die EU-Regierungschefs schon 1994 auf dem Essener EU-
Gipfel und erklärten Lateinamerika zur Schwerpunktregion.
1997 sprach sich dann der damalige Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP)
für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem gemeinsamen Markt
Südamerikas (Mercosur) aus. Auch hier folgt eine Fortsetzung unter der
diesjährigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft: im ersten Halbjahr 1999
ist ein Gipfeltreffen mit den Ländern des Mercosur geplant.
Europa will also für das neue Jahrtausend seine Rolle in der Welt neu bestimmen
und entscheidende Weichen stellen, die für einen Großteil der
Weltbevölkerung noch mehr Elend und noch mehr Verteilungskämpfe
bedeuten.
Gerhard Klas