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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 12

EU-Entwicklungspolitik

Funktionaler Bestandteil der Flüchtlingspolitik

Vor allem die ehemalige Bundesregierung in Deutschland wollte die Mittel für den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) – Bestandteil des Lomé-Abkommens – kürzen, weil sie verstärkt auf Zusammenarbeit und Handel mit den osteuropäischen Staaten setzte.
  Im Nachfolgeabkommen, das seit September 1998 in Brüssel verhandelt wird, sollen außerdem nicht mehr Bedürftigkeit, sondern Erfolgsaussichten Prüfungsgrundlage für "Entwicklungshilfe" an die 71 Afrika- Karibik-Pazifik Staaten (AKP) sein. Die neuen Kriterien werden unter dem Oberbegriff "good governance" ("verantwortungsbewußte Staatsführung") zusammengefaßt. Gemeint sind hier – daran lassen die Leitlinien der EU-Kommission keine Zweifel – vor allem die "verantwortungsbewußte" Behandlung der Interessen potentieller Investoren und der Privatwirtschaft.
  Unter "good governance" versteht die EU jedoch nicht nur wirtschaftliche Effizienz, sie betont auch über die Ökonomie hinausgehende politische Aspekte: Die EU-Kommission spricht im Vertragsentwurf häufig und gerne von Menschenrechten und Demokratie. Nichtregierungsorganisationen aus den AKP- Staaten wollen sich auf die wohlfeilen Verlautbarungen der Kommission nicht verlassen und warnen in diesem Zusammenhang vor einer "Funktionalisierung des Demokratiebegriffs".
 
  Menschenrechte als Investitionsfaktor
 
  Jüngstes Beispiel für ein ambivalentes Demokratie- und Menschenrechtsverständnis ist der Umgang der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit dem 1998 gewählten Regime des Gnassingbe Eyadema in Togo. Auf Grundlage des derzeitigen Abkommmens stellt zwar die EU-Kommission mit der Begründung, der Machthaber verstoße gegen Menschenrechte, die Zahlung von Entwicklungshilfegeldern ein. Das hindert einzelne Mitgliedstaaten, u.a. Deutschland, jedoch nicht daran, gleichzeitig Massenabschiebungen in den westafrikanischen Küstenstaat durchzuführen, in dessen Hauptstadt Lomé das gleichnamige Abkommen vor mehr als zwanzig Jahren ins Leben gerufen wurde.
  Neben dem Verbot von Giftmüllexporten wurden 1990 auf Drängen des Europaparlaments Menschenrechtsstandards in die Lomé-IV-Konvention aufgenommen. Weitere Beispiele verdeutlichen den funktionalen Charakter und die Doppelmoral der Menschenrechtsdebatte. Während die Leistungen an den Sudan seit 1990 zurückgehalten wurden, nimmt die EU die Menschenrechtsverletzungen in Nigeria, dem aufgrund der Ölexporte wirtschaftlich bedeutendsten AKP-Staat, weitgehend hin.
  Das änderte sich auch nicht nach der Ermordung des international bekannten Menschenrechtlers und Schriftstellers Ken Saro-Wiwa durch das damalige Abacha- Regime. Der Diktator war der EU nach wie vor ein willkommener Handelspartner: Nach Angaben von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaft, war Nigeria 1996 der bedeutendste AKP-Staat für die EU. Die Einfuhren aus diesem Land, insbesondere von Erdöl, machten allein 22,7 Prozent der gesamten EU-Einfuhren aus AKP-Ländern aus. 1998 gab es zudem mehrere Massenabschiebungen aus europäischen Ländern nach Nigeria, aus dem auch nach dem Tod von Abacha noch immer zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gemeldet werden.
  Die Abschiebepraxis der EU-Länder soll, so das Vehandlungspapier, durch wirtschaftlichen Druck noch effektiver gestaltet werden. Die EU verlangt eine Kooperation der AKP-Staaten bei der Bekämpfung des Drogenhandels und gegen "illegale Migration". Konkret fordert sie Regierungen und zivilgesellschaftliche Kräfte der AKP-Staaten auf, in einen Dialog zu treten und Bedingungen zu schaffen, um künftig "illegale Migration" zu verhindern. Auch von einer "Rücknahmeverpflichtungsklausel" für illegal eingereiste Flüchtlinge aus den AKP-Staaten ist die Rede. Nach der ersten Lomé-Verhandlungsrunde im November 1998 betonte die EU-Kommission ihre Absicht, eine solche Klausel fest im Nachfolgevertrag einzubauen.
  Das Anliegen der AKP-Staaten, im Zuge der Ausweitung des Schengener Abkommens auch "die Achtung der Würde der Einwanderer" aus ihren Ländern zu berücksichtigen, wird mangels Druckmittel allenfalls in einer unverbindlichen Präambel seinen Niederschlag finden.
  Die "Rückführungsklausel" hatte das damals zuständige Wirtschaftsministerium auf Betreiben des Innenministers Manfred Kanther eingefordert. Die neue Bundesregierung scheint dem kaum etwas entgegensetzen zu wollen: Ein Sprecher des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erklärte im Dezember gegenüber der Volksstimme lediglich, daß es "keine automatische Verknüpfung" von Entwicklungshilfe und Rückführungsverpflichtung gebe und die "Einzelfälle" geprüft werden müßten.
 
  Leiser Protest
  Im Gegensatz zur EU, der es vor allem um eine Anbindung an die Bestimmungen der WTO geht, fordern die AKP-Länder eine "entwicklungsfördernde Gestaltung der internationalen Handelsbeziehungen". Vor allem Nichtregierungsorganisationen, weniger die Staatspräsidenten der einzelnen AKP-Staaten, betonen die Bedeutung von ökologischen und sozialen Mindeststandards. Sie erwarten von der EU einen Aktionsplan, der eine Entschuldung der AKP-Staaten in die Wege leitet, da aus ihrer Sicht die Verschuldung nach wie vor eines der wichtigsten Entwicklungshemmnise darstellt.
  Unterstützung finden die AKP-Positionen im Europäischen Parlament (EP) und der u.a. von terre des hommes und der Deutschen Welthungerhilfe ins Leben gerufenen Initiative "Eurostep". Sie befürwortet ein gemeinsames Vorgehen der EU und AKP-Regierungen, um eine Strategie gegen die Regeln der WTO und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu entwickeln, die eine "entwicklungsfördernde wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen EU und AKP verhindern".
  Tatsächlich stellen EU und AKP innerhalb der WTO mittlerweile 71 der insgesamt 132 Mitglieder. Der Franzose Michel Rocard, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses im EP und Mitglied der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas, hält die Vorraussetzungen für eine Verlängerung der im WTO-Gründungsvertrag von Marrakesh akzeptierten Ausnahmeregelungen für günstig.
  Ansonsten hat Rocard jedoch mit "entwicklungsfördernder Zusammenarbeit" wenig im Sinn. Er meint, daß "in Zeiten großer Zusammenschlüsse ein Ensemble aus Europa und Afrika beträchtliches Gewicht in der Welt von morgen" hätte, "auch als Gegenmacht zu einer monolithischen Vorherrschaft der USA".
  Ob er sich damit durchsetzen kann, ist unwahrscheinlich. Kritiker monieren, daß Paris die Kosten für dieses "Kooperationsmodell" auf die EU abwälzen wolle. Zudem wird das Hauptaugenmerk auf der geplanten Osterweiterung gerichtet, die außerdem Transferleistungen von den alten zu den neuen Mitgliedsländern in einer bisher nicht bekannten Größenordnung seit Bestehen der EU erfordert.
  Das Lomé-Folgeabkommen kann auf EU-Seite nur mit Zustimmung der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten in Kraft treten. Auch dort regt sich Protest. Die PDS fordert in einem Antrag an die Bundesregierung den angemessenen Schutz der Landwirtschaft und der Textilproduktion und lehnt zusätzliche Konditionierungen von Entwicklungszusammenarbeit, z.B. der Bereitschaft zur Rückübernahme von Asylbewerbern, ab. Schon im April 1998 brachte der entwicklungspolitische Sprecher der PDS, Willibald Jakob, das Anliegen, die AKP- Staaten in die WTO-Ordnung zu integrieren, auf den Punkt. Er forderte eine Überprüfung, "ob nicht eine WTO-konformer Handel" einen "kolonialen Hintergrund" rekonstruiere.
  Auch im EP hoffen einige Abgeordnete, daß bald neue Zeiten anbrechen werden. Das Parlament soll laut Amsterdamer Vertrag bald in allen Fragen der EU- Entwicklungspolitik mitentscheiden dürfen.
  Die Sache hat einen Haken: Für Lomé gilt das nur eingeschränkt. EP kann zwar am Schluß, wenn alles ausgehandelt ist und Kommission und AKP-Seite den neuen Vertrag unterzeichnet haben, das Nachfolgeabkommen ablehnen, hat jedoch keinen Einfluß auf die Ausgestaltung der Verhandlungsmandate. Auch der EEF liegt jenseits des Einflußbereichs des EP, da der EEF als Sonderfonds der einzelnen EU-Regierungen eingerichtet wurde.
 
  Trittbrettfahrer der
  Entwicklungspolitik
  Entwicklungszusammenarbeit der EU hat vor allem die Aufgabe, Wohlstand und Wachstum in Europa zu fördern. Dies ist im Titel II Art.3a des Maastrichter Vertrags unmißverständlich festgeschrieben. Deshalb steht die EU- Entwicklungspolitik im Dienste der Außen-, Wirtschafts- und Handelspolitik und ist ihr in jeder Hinsicht untergeordnet.
  Das spiegelt sich auch im stark gefallenen Anteil des EEF an den gesamten "Entwicklungsleistungen" der EU wider. Von 1994 bis 1996 ist er von 50,6 Prozent auf 23,3 Prozent gefallen. Vor allem der Anteil Osteuropas und der Länder der ehemaligen UdSSR, aber auch Asien, Mittelmeeranrainer und Lateinamerika stieg an. Mit 55 Prozent kommt z.B. mehr als die Hälfte der lateinamerikanischen Entwicklungshilfe aus Europa.
  Der Hintergrund: während die EU mit den AKP-Ländern, die mehr und mehr zum globalen Armenhaus avancieren, ein Handelsdefizit beklagt, kommt ihr das Plus beim Handel mit Lateinamerika, dem zweitwichtigsten Handelspartner der EU, sehr entgegen. Und da die "Entwicklungshilfe" in der Regel an Aufträge für europäische Unternehmen gebunden ist und oftmals für die Begleichung des "Schuldendienstes" verwendet wird, reiben sich z.B. deutsche Finanz- und Versicherungsunternehmen, die verstärkt in Lateinamerika investieren wollen, die Hände. Ebenso die spanische Telefonica und portugiesische Telekom, die sich den lateinamerikanischen Telekommunikationsmarkt untereinander aufteilen.
  Seit den 90er Jahren führt die EU mehr nach Lateinamerika aus, als sie importiert. Das Handelsdefizit Lateinamerikas gegenüber der EU wird mit zehn Milliarden Dollar beziffert. Der jährliche Handel zwischen der EU und Lateinamerika beträgt mittlerweile 70 Milliarden Dollar. Die Weichen für diese Entwicklung stellten die EU-Regierungschefs schon 1994 auf dem Essener EU- Gipfel und erklärten Lateinamerika zur Schwerpunktregion.
  1997 sprach sich dann der damalige Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP) für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur) aus. Auch hier folgt eine Fortsetzung unter der diesjährigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft: im ersten Halbjahr 1999 ist ein Gipfeltreffen mit den Ländern des Mercosur geplant.
  Europa will also für das neue Jahrtausend seine Rolle in der Welt neu bestimmen und entscheidende Weichen stellen, die für einen Großteil der Weltbevölkerung noch mehr Elend und noch mehr Verteilungskämpfe bedeuten.
  Gerhard Klas
 


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