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Kein Land in Südostasien wurde so hart von der
Finanzkrise getroffen wie Indonesien. Auch wenn der seit den 60er Jahren amtierende
Diktator Suharto Mitte des letzten Jahres wegen zahlreicher Proteste abdanken
mußte – die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen
Währungsfonds (IWF) wirken fort. Ihre Einhaltung ist obligatorisch – ansonsten
dreht der IWF kurzerhand den Geldhahn zu. Die Folgen: seit 1997 sind fünf
Millionen Arbeitsplätze weggefallen. Neue Sparmaßnahmen, etwa die
Streichung der Subventionen für Grundnahrungsmittel, haben zu einem enormen
Preisanstieg für Lebensmittel geführt. Mittlerweile lebt fast die
Hälfte der 203 Millionen Bewohner des Inselstaats unter der offiziellen
Armutsgrenze mit einem Einkommen von weniger als einem Dollar täglich.
Hungerrevolten breiten sich aus. Eine führende Rolle bei den Protesten spielt die
mittlerweile legalisierte Demokratische Volkspartei (PRD). Für die SoZ sprach
Gerhard Klas mit Robby Hartono, dem internationalen Sprecher der PRD. Er war vom
13.März bis 5.Juni inhaftiert und wurde von Spezialisten des Militärs mit
Elektroschocks gefoltert. Seine Peiniger legten ihm nahe, "besser zu beten oder
Häuser anzuzünden, in denen Chinesen leben, anstatt sich für die
politischen Ziele der PRD zu engangieren", erklärte er gegenüber
der SoZ.
Die Hungerrevolten scheinen sich an einem Scheideweg zu befinden: Immer
öfter wird die chinesische Minderheit angegriffen und für die
Zustände verantwortlich gemacht.
Robby Hartono: Das ist nicht so neu. Schon 1996, als die Finanzkrise die indonesische
Wirtschaft erstmals ins Wanken brachte, randalierten einfache Leute in den
chinesischen Vierteln der javanesischen Stadt Situbondo. Sie brannten ihre
Geschäfte und Kirchen nieder.
In Indonesien sind Chinesen die Sündenböcke. Das ist geschichtlich schon
immer so gewesen. Chinesische Migranten wurden seit Beginn des Jahrhunderts
zwischen den ärmsten Schichten und den Herrschenden angesiedelt. Suharto hat
nach dem Militärputsch von 1965 dieser chinesischen Minderheit
ökonomische Privilegien gegenüber der einfachen Bevölkerung
Indonesiens eingeräumt. Suharto hatte sehr enge Beziehungen zu den besser
gestellten Vertretern der chinesischen Minderheit. Daran hat sich bis heute nichts
geändert.
Die antichinesischen Ressentiments haben sich daher im Bewußtsein und
Empfinden der indonesischen Bevölkerung festgesetzt. Die PRD kann dem nur
schwer etwas entgegensetzen, denn tatsächlich dominieren die Chinesen das
wirtschaftliche Leben. Vor allem auf Java gibt es sehr viele gut laufende chinesische
Läden. Ein unerreichbarer Lebenstraum für viele der einfachen Indonesier.
Sie analysieren nicht was dahinter steckt.
Ist es nicht offensichtlich, daß der Suharto-Clan und sein Nachfolger Habibi
über wesentlich mehr Vermögen und Besitz als die chinesische Minderheit
verfügen?
Habibi und Suharto sind für die Protestierenden unerreichbar.Im Gegensatz zu
den Chinesen sind sie offizielle Staatsmänner, die vom Militär
geschützt werden.
Wir versuchen über unsere Flugblätter und Zeitungen die Leute
aufzuklären. Wir erklären, daß die chinesische Minderheit nicht die
Ursache für die aktuelle Krise in Indonesien ist und dies auch nicht für die
Unterdrückung unter Suharto war. Wir weisen darauf hin, daß die Gewalt
gegen die chinesische Minderheit sinnlos ist. Auch diejenigen, die heute gegen
Chinesen auf die Straße gehen werden registrieren, daß dies nicht ihre
Probleme lösen wird. Gleichzeitig versucht die PRD natürlich, das
Regime in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen.
Außerhalb der Großstädte sind die meisten Chinesen arme Farmer.
Sie sind nicht Ziel von rassistischen Attacken.
Bei Ausschreitungen im Mai gab es zudem einige bemerkenswerte Situationen in
einigen Stadtteilen Jakartas. Vor allem Angehörige der armen indonesischen
Stadtbevölkerung stellten sich schützend vor chinesische Frauen, die
organisierte Gruppen vergewaltigen wollten. Die Frauen konnten fliehen, weil sie von
den Menschen aus den Slums geschützt wurden.
Für die PRD gibt es einige Anhaltspunkte, die auf organisierte Aktionen des
Militärs oder ihm nahestehender Gruppen hinweisen. Oft beginnen die Pogrome
an verschiedenen Orten in Jakarta, alle zur selben Zeit. Die Provokateure stammen
meistens nicht aus den Stadtteilen, sondern tauchen, meistens mit Bussen, in der
Nähe von chinesischen Quartieren und Geschäftsstraßen auf. Wenn
sie aussteigen, beginnen sie umgehend, die Bevölkerung gezielt aufzuhetzen. Sie
fordern regelrecht zur Vergewaltigung auf und bringen die Leute dazu, chinesische
Geschäfte anzuzünden. Die Krawalle haben weniger einen spontanen,
sondern vielmehr einen organisierten Charakter.
Die antichinesischen Pogrome haben auch einen religiösen Aspekt. Wie weit
haben die moslemischen Fundamentalisten ihren Einfluß in der letzten Zeit
ausbauen können? Inwiefern sind sie Bestandteil einer Regierungspolitik, die
nach national-chauvinistischen Lösungen sucht?
Diese Verbindung besteht und ist in der Tat eine äußerst gefährliche
Entwicklung. Traditionell unterscheidet sich der Islam in Indonesien jedoch von dem in
anderen Ländern. Diese Religion hat in Indonesien weniger einen ideologischen,
sondern vielmehr einen kulturellen Charakter. Islamischer Fundamentalismus findet
seit jeher wenig Unterstützung bei der Bevölkerung. Er hat zwar eine
Rolle in den Unabhängigkeitskämpfen Indonesiens gespielt, war aber
mehr oder weniger mit progressiven Strömungen verbunden.
Die fundamentalistischen Gruppen werden heute von der Regierung benutzt, um
religiöse und ethnische Konflikte anzuheizen. Im allgemeinen handelt es sich
dabei jedoch um kleine Gruppen, die ansonsten wenig Einfluß haben.
Gibt es in der chinesischen Gemeinde Organisationen, mit denen die PRD
zusammenarbeitet oder in Verbindung steht?
Auch in unseren Reihen befinden sich einige "chinesische Indonesier". Der
Mob glaubt, die Chinesen würden sich nur für sich selbst interessieren und
ihnen wäre das Leid der anderen gleichgültig. Wir stellen dagegen
bewußt heraus, daß uns die eingewanderten Chinesen im Kampf gegen den
Kolonialismus unterstützt und gegen die Invasion der Japaner gekämpft
haben und auch heute am Kampf für mehr Demokratie beteiligt sind.
Wer sind die politischen Verbündeten der PRD?
Wir gehen möglichst breite Allianzen mit demokratischen Organisationen und
Parteien, aber auch mit islamischen Kräften ein. Die meisten islamischen
Gruppen vertreten einen säkularisierten Ansatz. Radikale Fundamentalisten sind
gegen unsere Politik, und wir haben auch kein Interesse, mit ihnen zusammen zu
arbeiten.
Die PRD arbeitet mit den zahlreich entstandenen neuen Parteien nur dann zusammen,
wenn wir eine gemeinsame politische Plattform haben. Dazu gehören islamische
Gruppen, aber auch die PDI der Tochter des indonesischen Staatsgründers
Sukarno, Megawati Sukarnoputri. Wichtigste Vorraussetzung für eine
gemeinsame Arbeit ist die Ablehnung des Militarismus.
Wie steht es mit der Rolle des IWF, wird sie ebenfalls durchgängig
abgelehnt?
Innerhalb dieser Plattformen gibt es unterschiedliche Level der Zusammenarbeit. Die
Ablehnung der IWF-Politik teilen nur wenige. Wenn sie jedoch vorhanden ist, spiegelt
sie eine höhere Qualität der Zusammenarbeit wider. Im Bereich des
Antimilitarismus gibt es mehr Übereinstimmung. Ein gutes Beispiel ist
Megawati. Sie betont unablässig, daß sie mit der Politik des IWF
einverstanden ist, wie die meisten anderen demokratischen Kräfte auch. Deshalb
kann das Verhältnis der PRD zu diesen Organisationen nur rein taktischer Art
sein.
Die verschiedenen Organisationen in der Plattform haben auch eine unterschiedliche
Definition dessen, was sie Demokratie nennen – aktuell eine der bedeutensten
Forderungen. Was meinen die Organisationen, wenn sie Demokratie
fordern?
Megawati versteht unter Demokratie etwas anderes als die PRD. Die unmittelbaren
Forderungen der PRD sind erstens die Beendigung der politischen Einflußnahme
durch die Militärs, denn sie sind der Hauptfeind der Demokratie. Zweitens die
Einrichtung von Volksräten, auf deren Grundlage die Übergangsregierung
formiert werden muß. Drittens die Vergesellschaftung des nationalen Besitzes,
der sich noch immer unter Kontrolle des Suharto-Clans befindet. Und natürlich
die Freilassung der politischen Gefangenen. Das würde den Weg zur Demokratie
in Indonesien ebnen. Das wäre der Beginn einer demokratischen Revolution, der
weitere Forderungen folgen würden.
Unter der Parole "totale Reformen" sind die oben genannten Forderungen
zusammengefaßt. Sie gehen über den Lobbyismus und die
Demokratieforderungen von Megawati weit hinaus. Die kommenden
Parlamentswahlen, der Sturz Suhartos und die schon jetzt vorhandenen
Freiräume stellen Megawati hingegen schon weitgehend zufrieden.
Die PRD und andere versuchen, Volksräte aufzubauen und den Schritt in eine
Übergangsgesellschaft zu vollziehen. Die aktuelle Situation läßt uns
dafür auch Spielraum, den wir nutzen und ausweiten wollen. Das geht Leuten
wie Megawati zu weit.
Auch in Fragen des Umgangs mit dem Militär unterscheiden sich die Positionen.
Wir wollen, daß die "duale Funktion" des Militärs, d.h. ihr
formal festgeschriebener Einfluß auf die Politik, umgehend aufgehoben wird.
Hingegen haben sich Megawati und der Moslemführer Amien Rais auf einem
Ende letzten Jahres stattgefundenen Treffen darauf geeinigt, diesen Zustand erst in
sechs Jahren herstellen zu wollen.
Könnten die Besitztümer des Suharto-Clans ausreichen, um die aktuelle
Finanzkrise zu bewältigen? Welche Rolle spielen die
Strukturanpassungsprogramme des IWF?
Die Übernahme des Suharto-Besitzes wäre lediglich eine
Teillösung. Auch der IWF mit seinen Strukturanpassungsprogrammen ist Teil
des Problems und der Krise. Das weiß auch die Bevölkerung Indonesiens.
Von den IWF-Krediten über 43 Milliarden Dollar haben sie nie etwas gesehen.
Während viele von ihnen in bitterer Armut leben wird ihnen gleichzeitig
erklärt, daß sie für die Schulden, die die Regierung gemacht hat, mit
aufkommen müßten. Nur einige Moslem-Führer glauben, mit neuen
Krediten des IWF sei die Krise zu überwinden.
Die PRD wird von westlichen Medien als Studentenorganisation bezeichnet. Gibt es
auch Kontakte zu Gewerkschaftern und Landbevölkerung?
Der Eindruck täuscht, aber das Selbstverständnis der PRD ist ein anderes.
Zwar sind die meisten Mitglieder, auch in der Führungsebene, relativ jung. Aber
wir sind eine Partei, die in vielen Sektoren der Gesellschaft involviert ist.
Verglichen mit Muchtar Pakpahan und seiner unabhängigen
"Gewerkschaft für Wohlstand" (SBSI) – welche
Gewerkschaftspolitik betreibt die PRD?
Wir sehen die Relation zwischen Arbeit und Politik anders als die SBSI. In unseren
Reihen, der Gewerkschaft PPBI, versuchen wir, Forderungen nach
Lohnerhöhungen mit politischen Forderungen zu verknüpfen und in
Aktionen einzubinden. Das ist nicht die Intention der SBSI. Sie haben keine
Vorstellung davon, daß Arbeiter die Möglichkeit haben, ihre
Lebensbedingungen auch durch politische Forderungen zu verbessern. Die SBSI
beschränkt sich auf die Forderung nach höheren Löhnen. Wir halten
das für nutzlos, denn immer, wenn Löhne erhöht werden, steigen in
Indonesien auch die Preise für Konsumgüter.
Unabhängige Tarifverhandlungen gibt es nicht – die Militärs mischen und
bestimmen mit. Deshalb wollen wir vermitteln, daß eine politische Vertretung
notwendig und unumgänglich ist und lehnen die Intervention seitens der
Militärs kategorisch ab. Die PPBI unter der Leitung von Ditasari und Pakpahans
SBSI sind zur Zeit die bedeutendsten Gewerkschaften in Indonesien.
Viele der im Zuge der Finanzkrise erwerbslos gewordenen Bewohner der Slums in den
Großstädten sind aufs Land zurückgekehrt. Hat die PRD auch dort
eine Basis, oder beschränken sich ihre Aktivitäten auf die
städtischen Großräume?
Die PRD arbeitet mit einer nationalen Bauernorganisation zusammen. Sie organisiert
die Bauern und führt Landbesetzungen durch. Nachdem die Krise um sich griff
und Massenentlassungen an der Tagesordnung waren, gingen viele der Arbeiter, die
ursprünglich aus ländlichen Regionen kamen, in ihre alten Dörfer
zurück. Dort spitzte sich die wirtschaftliche Situation in Folge der
Wanderungsbewegungen dann ebenfalls zu.
Angesichts der Krise haben sie Land besetzt, das entweder dem Suharto-Clan
gehört oder unter öffentlicher Verwaltung steht. Das ist niemals zuvor
passiert und stellt eine enorme Radikalisierung dar. Polizei und Militär stehen
hilflos daneben und bleiben passiv. Das liegt vor allem daran, das sich viele Menschen
an den zahlreichen Landbesetzungen beteiligen. Allerdings stellen sie keine
Forderungen nach einer strukturierteren Landreform auf, sie besetzen einfach und
bauen Nutzpflanzen an.
Gleichzeitig gibt es auch in den Dörfern Demonstrationen gegen die von Suharto
einberufenen Bürgermeister. Aus Java sind Fälle bekannt, in denen diese
Bürgermeister aus den Dörfern geflohen sind und beim Militär um
Schutz gebeten haben.
Leider passiert all dies sehr sporadisch und unorganisiert. Deshalb versucht die PRD,
auch in den ländlichen Regionen die Idee der Volksräte zu popularisieren.
In Süd-Sumatra gibt es mittlerweile Bauernräte. Sie haben zum Teil die
Gebäude der Lokalverwaltung für mehrere Wochen besetzt und forderten
ebenfalls Wahlen für eine Übergangsregierung sowie die Enteignung und
einen Gerichtsprozeß für Suharto.
Das geschieht auch in den Großstädten. Wie häufig finden solche
Besetzungen statt?
Im letzten halben Jahr ist das eine beliebte Aktionsform geworden. Begonnen hat es mit
der Forderung nach einem Rücktritt Suhartos, dann gegen die politischen
Kompetenzen der Militärs und später gegen die Ergebnisse der ersten
"beratenden Volksversammlung" des neuen Präsidenten Habibi. Der
erste Erfolg war der Rücktritt Suhartos. Das inspirierte die Bevölkerung,
die Besetzungen nunmehr als effektives Mittel ansah, um politische Forderungen
durchzusetzen. Im vergangenen November besetzten Tausende den Flughafen von
Sumatra. In einigen Provinzstädten wurden Radiostationen besetzt und die
Forderungen über den Äther ausgestrahlt. Eine der spektakulärsten
Aktionen war die Besetzung des Parlamentsgebäudes in der Großstadt
Surabaya. In dieser Hinsicht besteht durchaus eine Aktionseinheit, die sich in
gemeinsamen Forderungen der Besetzer widerspiegelt.
Wie wird sich die PRD zu den kommenden Wahlen im Juli verhalten?
Wir werden uns an den Wahlen beteiligen. Weniger, weil wir uns viel von der
Machtpolitik innerhalb der bürgerlichen Demokratie versprechen, sondern weil
wir die Möglichkeiten der Propaganda in einem Wahlkampf und später
vielleicht im Parlament nutzen wollen. Außerdem beabsichtigen wir, langsam
aber sicher den Sozialismus auf die politische Agenda zu setzen. Die Frage ist noch
offen, ob das mit einer Kandidatur zu den Wahlen zu verbinden ist. In dem Maße,
wie das politische Bewußtsein der Bevölkerung wächst, werden wir
verstärkt mit sozialistischen Forderungen nach außen treten.