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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 14

Der alltägliche Rassismus

Buchrezension

National befreite Stadtteile, Taxifahrer, die in den Knast gehen, weil sie Ausländer als Fahrgäste transportierten, Sammelabschiebungen durch Innenminister Schily nach Nigeria, Ermittlungen gegen die Opfer rassistischer Gewalt. Die Zeitungsmeldungen reichen, um das "Man kann gar nicht soviel fressen, wie man kotzen müßte" allgegenwärtig sein zu lassen. Wie verarbeitet jemand, der seine Eltern in Auschwitz verlor, selber 1938 flüchten konnte und später in der DDR als Journalist und Seemann lebte, diese deutsche Gegenwart?
  Walter Kaufmann hat den Prozeß gegen zwei Neonazis besucht. Sie hatten britische Bauarbeiter provoziert. Als die drei aus Jamaika stammenden Briten im Auto flüchteten, verfolgten die Rassisten sie und warfen einen schweren Stein in die Windschutzscheibe des flüchtenden Wagens. Der Fahrer verlor die Gewalt über den Wagen und prallte gegen einen Baum. Die beiden Beifahrer kamen mit ein paar Blessuren davon. Der Fahrer jedoch überlebte nur knapp und ist querschnittsgelähmt an einen Rollstuhl gefesselt.
  Soweit eine Geschichte, die nur noch im Lokalteil der örtlichen Zeitung mit mehr als drei Zeilen erwähnt wird. In Steinwurf erzählt Walter Kaufmann die Geschichte der Frau, die Brent, den Fahrer, geliebt hatte und sich in den Beifahrer Curtis verliebt. Um das Geschehen unmittelbar wirken zu lassen, schreibt er in der ersten Person, kommentiert die Tage vor, während und nach dem Prozeß mit den Gefühlen der Frau, läßt den Lesenden durch ihre Augen schauen.
  Das Leben, die Liebe, der Alltag gehen weiter, an die Beschimpfungen, von denen "Negerflittchen" noch eine höflichere ist, kann sich jedoch kein Mensch gewöhnen. Der Rassismus, seine potenzielle und offen zu Tage kommende Gewalt, verhärmt auch die Opfer. Sie kämpfen jedoch dagegen an, während die Täter sich noch in ihrem Stolz suhlen und ihre Verwandten die Wahrheit nicht verstehen wollen.
  Eine Erzählgeschichte, die von Dialogen lebt. Sie erzählen von der Ohnmacht gegenüber dem Rassismus, von den kleinen Trotzdems, vom Machismo, der wie der kleine Bruder des Rassismus diesem nacheifert.
  Verschrieben werden sollte diese Geschichte vor allem denjenigen, die mit akzeptierender Sozialarbeit sich um den Nazinachwuchs sorgen. Aber auch denjenigen, die den Rassismus auf soziale Gründe wie Arbeitslosigkeit oder Wohnungsnot verkürzen. Genauer als manch eine Analyse kommt hier ein Komplex zum Ausdruck, der hinter der dreizeiligen Meldung steht, die wir beim Frühstück nur rasch überfliegen.
  Tommy Schroedter
 
  Walter Kaufmann, Steinwurf, Berlin (Dietz) 1998 (edition reiher).
 


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