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In Hessen hat die CDU eine Unterschriftenkampagne
begonnen, mit der sie versucht, auf der Woge der Mobilisierung
ausländerfeindlicher und rassistischer Ressentiments neue
Mehrheitsfähigkeit zu erlangen.
Die Reform des Staatsbürgerschaftsrecht ist jedoch überfällig. Sie
vollzieht nur eine Entwicklung nach, die längst absehbar war, die aber viele
Deutsche und MigrantInnen nicht wahrhaben wollten: daß die früher
einmal "Gastarbeiter" genannten Zuwanderer nicht mehr in ihre einstige
Heimat zurückkehren werden.
Bis zuletzt hat sich die Regierung Kohl geweigert, daraus Konsequenzen zu ziehen -
sogar gegen die eigene Partei. Aus Rücksicht auf die CSU und auf Hardliner à la
Kanther hat Kohl verhindert, daß sich eine Initiative von 150 CDU-Politikern
durchsetzen konnte, die in Deutschland geborenen Kindern die deutsche
Staatsbürgerschaft und allen Eingewanderten nach zehn Jahren einen
Rechtsanspruch auf Einbürgerung geben wollte. Sie sah sogar vor, Schulkindern
für eine Übergangszeit die doppelte Staatsbürgerschaft zu
gewähren.
Der Kanzler aber hatte sich auf den Schulterschluß mit der CSU festgelegt, und
so tat es auch Schäuble auf dem Parteitag im Frühjahr 1998, auf dem das
"Zukunftsprogramm" verabschiedet wurde. Dort heißt es lapidar:
"Wer Deutscher werden will, muß grundsätzlich seine alte
Staatsangehörigkeit aufgeben."
Kein Wunder, daß es nun in der CDU heillose Verwirrung gibt. Dabei
knüpft der Gesetzentwurf von Innenminister Schily nicht einmal an die
fortgeschrittensten bürgerlichen Vorstellungen an.
Die FDP z.B. will das Recht auf deutsche Staatsangehörigkeit umstandslos von
Geburt an - also auch schon für die zweite Generation von Einwanderinnen und
Einwanderern. Schilys Entwurf dagegen sieht vor, daß zusätzlich
mindestens ein Elternteil in der BRD geboren bzw. als Minderjährige vor dem
14.Lebensjahr nach Deutschland eingereist sein muß. Hier hat die SPD den
Bremser gespielt.
Auch sonst hat der Entwurf eine ganze Reihe von Haken, die die Einführung des
Territorialprinzips einschränken:
- Von dem besagten Elternteil wird gefordert, daß es im Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis ist; eine solche ist auch Voraussetzung für die
Einbürgerung;
- wer Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bezieht, darf nicht deutscher Staatsbürger
werden;
- ebenso nicht, wer straffällig geworden ist, wer nicht auf dem Boden des
Grundgesetzes steht (das muß er schriftlich erklären!) und wer kein
Deutsch kann.
Diese Auflagen schaffen einen unangemessenen Assimilationsdruck und
verstoßen gegen das Prinzip der Gleichbehandlung. Welcher Deutsche verliert
schon seine Staatsbürgerschaft, weil er ein Auto gestohlen oder einen Opa
überfahren hat? Oder weil er seinen Arbeitsplatz verloren hat?
Auch ob jemand die Landessprache spricht, sagt nur wenig über seine
Integrationsbereitschaft aus. Es gibt auch in Deutschland genügend Ecken, wo
man der Hochsprache nicht mächtig ist. Solche Einschränkungen liefern
der CDU und ihrer Polemik gegen die "doppelte Staatsbürgerschaft"
nur Argumente.
Fortschrittliche bürgerlich-demokratische Verfassungen gewähren ohne
weitere Umstände Einbürgerung bei Geburt bzw. nach einigen Jahren
Aufenthalt.
Möglicherweise ist der Regierungsentwurf aber auch eine
Übergangsregelung. Dann nämlich, wenn sich Außenminister
Fischer mit seinem Vorschlag durchsetzt, der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion solle eine politische Union folgen: mit einer Aufwertung des
Europaparlaments, einem gemeinsamen Gesetzeswerk und einer europäischen
Verfassung. Spätestens dann gäbe es zum Europa-Paß, den heute
schon jede/r EU-Bürger/in hat, auch die europäische
Staatsbürgerschaft dazu.
Die Sache hat nur einen Haken - denselben, den auch Schilys Gesetzentwurf hat: Die
EU-Staatsbürgerschaft wäre der Abschluß eines 40jährigen
Prozesses der europäischen Integration. Sie löst aber nicht die Probleme,
die durch die heutigen Fluchtbewegungen aufgeworfen werden.
Die Neufassung des deutschen Staatsbürgerrechts gibt ganzen 1,5 von 7,4
Millionen "Ausländern" in Deutschland die deutsche
Staatsbürgerschaft - der Rest bleibt außen vor. Für die Bosnier,
Kurden, Albaner und Afrikaner ist weder das Territorialprinzip noch die EU-
Staatsbürgerschaft ein Integrationsangebot. Ihnen gegenüber werden die
Mauern der Festung Europa im Gegenteil verstärkt und höher gezogen,
die sog. "Illegalen" gnadenlos abgeschoben.
Die Ausdehnung der Staatsbürgerschaft auf einen breiteren
Bevölkerungskreis ist eine Geste gegenüber der Arbeitsmigration der 50er
und 60er Jahre. Sie nimmt sie auf in einen Kreis von Privilegierten, die sich
gegenüber neuen Migrationswellen um so klarer abschotten.
Auch das geplante territoriale Staatsbürgerschaftsrecht ist ein ausgrenzendes. Es
zementiert die Vorrechte des imperialistischen Zentrums und ist weit davon entfernt,
auf die Auflösung der Nationalstaaten und die politischen Folgen der
Globalisierung der Produktion und der Arbeitsmärkte eine Antwort zu
geben.
Insofern ist es, bei aller Fortschrittlichkeit gegenüber dem vorherigen Zustand,
doch nur ein borniertes Recht, das am Ende des 20.Jahrhunderts eigentlich einer ganz
anderen Konstruktion des weltweiten Zusammenlebens der Menschen weichen
müßte.
Das territoriale Staatsbürgerschaftsrecht fußt - im Gegensatz zum
völkischen Abstammungsrecht des Grundgesetzes - auf dem Grundsatz der
Französischen Revolution, daß Staatsbürger ist, wer willens und in
der Lage ist, sich aktiv am Staatswesen zu beteiligen: Partizipation statt
Abstammung.
In Deutschland, wo der Nationalstaat kein Ergebnis der Mitwirkung der
Bevölkerung war, sondern durch Blut und Eisen gebildet wurde,
stößt dieser Grundsatz bis heute auf Schwierigkeiten. Partizipation
könnte auch heute die Basis für die Definition eines politischen
Gemeinwesens sein, das andere Völker nicht ausschließt. Dafür
müßte dieses aber vom Bürger, nicht vom Staat her gedacht
werden.
Angela Klein