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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 02 vom 21.01.1999, Seite 1

Gleiche Rechte für Bayern und Türken

Regierungsentwurf hilft nur wenigen

In Hessen hat die CDU eine Unterschriftenkampagne begonnen, mit der sie versucht, auf der Woge der Mobilisierung ausländerfeindlicher und rassistischer Ressentiments neue Mehrheitsfähigkeit zu erlangen.
  Die Reform des Staatsbürgerschaftsrecht ist jedoch überfällig. Sie vollzieht nur eine Entwicklung nach, die längst absehbar war, die aber viele Deutsche und MigrantInnen nicht wahrhaben wollten: daß die früher einmal "Gastarbeiter" genannten Zuwanderer nicht mehr in ihre einstige Heimat zurückkehren werden.
  Bis zuletzt hat sich die Regierung Kohl geweigert, daraus Konsequenzen zu ziehen - sogar gegen die eigene Partei. Aus Rücksicht auf die CSU und auf Hardliner à la Kanther hat Kohl verhindert, daß sich eine Initiative von 150 CDU-Politikern durchsetzen konnte, die in Deutschland geborenen Kindern die deutsche Staatsbürgerschaft und allen Eingewanderten nach zehn Jahren einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung geben wollte. Sie sah sogar vor, Schulkindern für eine Übergangszeit die doppelte Staatsbürgerschaft zu gewähren.
  Der Kanzler aber hatte sich auf den Schulterschluß mit der CSU festgelegt, und so tat es auch Schäuble auf dem Parteitag im Frühjahr 1998, auf dem das "Zukunftsprogramm" verabschiedet wurde. Dort heißt es lapidar: "Wer Deutscher werden will, muß grundsätzlich seine alte Staatsangehörigkeit aufgeben."
  Kein Wunder, daß es nun in der CDU heillose Verwirrung gibt. Dabei knüpft der Gesetzentwurf von Innenminister Schily nicht einmal an die fortgeschrittensten bürgerlichen Vorstellungen an.
  Die FDP z.B. will das Recht auf deutsche Staatsangehörigkeit umstandslos von Geburt an - also auch schon für die zweite Generation von Einwanderinnen und Einwanderern. Schilys Entwurf dagegen sieht vor, daß zusätzlich mindestens ein Elternteil in der BRD geboren bzw. als Minderjährige vor dem 14.Lebensjahr nach Deutschland eingereist sein muß. Hier hat die SPD den Bremser gespielt.
  Auch sonst hat der Entwurf eine ganze Reihe von Haken, die die Einführung des Territorialprinzips einschränken:
  - Von dem besagten Elternteil wird gefordert, daß es im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist; eine solche ist auch Voraussetzung für die Einbürgerung;
  - wer Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bezieht, darf nicht deutscher Staatsbürger werden;
  - ebenso nicht, wer straffällig geworden ist, wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht (das muß er schriftlich erklären!) und wer kein Deutsch kann.
  Diese Auflagen schaffen einen unangemessenen Assimilationsdruck und verstoßen gegen das Prinzip der Gleichbehandlung. Welcher Deutsche verliert schon seine Staatsbürgerschaft, weil er ein Auto gestohlen oder einen Opa überfahren hat? Oder weil er seinen Arbeitsplatz verloren hat?
  Auch ob jemand die Landessprache spricht, sagt nur wenig über seine Integrationsbereitschaft aus. Es gibt auch in Deutschland genügend Ecken, wo man der Hochsprache nicht mächtig ist. Solche Einschränkungen liefern der CDU und ihrer Polemik gegen die "doppelte Staatsbürgerschaft" nur Argumente.
  Fortschrittliche bürgerlich-demokratische Verfassungen gewähren ohne weitere Umstände Einbürgerung bei Geburt bzw. nach einigen Jahren Aufenthalt.
  Möglicherweise ist der Regierungsentwurf aber auch eine Übergangsregelung. Dann nämlich, wenn sich Außenminister Fischer mit seinem Vorschlag durchsetzt, der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion solle eine politische Union folgen: mit einer Aufwertung des Europaparlaments, einem gemeinsamen Gesetzeswerk und einer europäischen Verfassung. Spätestens dann gäbe es zum Europa-Paß, den heute schon jede/r EU-Bürger/in hat, auch die europäische Staatsbürgerschaft dazu.
  Die Sache hat nur einen Haken - denselben, den auch Schilys Gesetzentwurf hat: Die EU-Staatsbürgerschaft wäre der Abschluß eines 40jährigen Prozesses der europäischen Integration. Sie löst aber nicht die Probleme, die durch die heutigen Fluchtbewegungen aufgeworfen werden.
  Die Neufassung des deutschen Staatsbürgerrechts gibt ganzen 1,5 von 7,4 Millionen "Ausländern" in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft - der Rest bleibt außen vor. Für die Bosnier, Kurden, Albaner und Afrikaner ist weder das Territorialprinzip noch die EU- Staatsbürgerschaft ein Integrationsangebot. Ihnen gegenüber werden die Mauern der Festung Europa im Gegenteil verstärkt und höher gezogen, die sog. "Illegalen" gnadenlos abgeschoben.
  Die Ausdehnung der Staatsbürgerschaft auf einen breiteren Bevölkerungskreis ist eine Geste gegenüber der Arbeitsmigration der 50er und 60er Jahre. Sie nimmt sie auf in einen Kreis von Privilegierten, die sich gegenüber neuen Migrationswellen um so klarer abschotten.
  Auch das geplante territoriale Staatsbürgerschaftsrecht ist ein ausgrenzendes. Es zementiert die Vorrechte des imperialistischen Zentrums und ist weit davon entfernt, auf die Auflösung der Nationalstaaten und die politischen Folgen der Globalisierung der Produktion und der Arbeitsmärkte eine Antwort zu geben.
  Insofern ist es, bei aller Fortschrittlichkeit gegenüber dem vorherigen Zustand, doch nur ein borniertes Recht, das am Ende des 20.Jahrhunderts eigentlich einer ganz anderen Konstruktion des weltweiten Zusammenlebens der Menschen weichen müßte.
  Das territoriale Staatsbürgerschaftsrecht fußt - im Gegensatz zum völkischen Abstammungsrecht des Grundgesetzes - auf dem Grundsatz der Französischen Revolution, daß Staatsbürger ist, wer willens und in der Lage ist, sich aktiv am Staatswesen zu beteiligen: Partizipation statt Abstammung.
  In Deutschland, wo der Nationalstaat kein Ergebnis der Mitwirkung der Bevölkerung war, sondern durch Blut und Eisen gebildet wurde, stößt dieser Grundsatz bis heute auf Schwierigkeiten. Partizipation könnte auch heute die Basis für die Definition eines politischen Gemeinwesens sein, das andere Völker nicht ausschließt. Dafür müßte dieses aber vom Bürger, nicht vom Staat her gedacht werden.
  Angela Klein