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Die Tatsache, daß "nach wie vor Blutvergießen statt
Frieden in der Region herrscht, daß in Verwaltung und Militär Willkür,
Unregelmäßigkeiten bis hin zur Mißachtung des Rechts vorherrschen", habe
schätzungsweise 3 Millionen Menschen zur Flucht in noch tiefere und heillose Not gezwungen,
heißt es in dem Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission des türkischen
Parlaments vom Dezember 1997. Seitdem hat sich die Menschenrechtssituation in der Türkei
verschlechert.
Dem türkischen Terror entflohen zu sein, die Grenzen der Festung Europa überwunden, in
einem europäischen Land, z.B. in Deutschland, Asyl beantragt zu haben, bedeutet noch lange nicht,
nun endlich in Frieden und Sicherheit leben zu können. "Hört denn die Flucht nie
auf?" warf vor einiger Zeit der kurdische Flüchtling Mustafa Tayfun in eine hitzige Debatte,
als es auf einem Treffen der am "Wanderkirchenasyl" Beteiligten um die Perspektiven des
Kampfes um Bleiberecht ging. Mustafa Tayfun ist am 10.Dezember zusammen mit Hassan Ay auf dem
Weg von einer Versammlung des Wanderkirchenasyls zurück zu ihrer Dortmunder
Zufluchtsgemeinde verhaftet worden. Beide sitzen seitdem im Abschiebegefängnis Büren.
Ihre Verfolgungsgeschichte - persönlich erlittene Verhaftung, Mißhandlung und
"Verschwinden" von Familienangehörigen - reicht nicht aus. Sie ist
"unbeachtlich", wie es in den Ablehnungsbescheiden heißt.
So wie Mustafa Tayfun und Hassan Ay ist es auch den mittlerweile über 300 illegalisierten
Flüchtlingen gegangen, die seit dem 21.Januar 1998 in mehr als 70 evangelischen und katholischen
Kirchengemeinden Schutz vor ihrer drohenden Abschiebung in die Türkei fanden. Daß es in
Deutschland noch nie eine so große Unterstützung für eine Protestaktion von
Flüchtlingen gab, hat ihnen keine endgültige Sicherheit vor Auslieferung an ihre Verfolger
gebracht. Daß sie beharrlich über Monate hinweg das vom Innenministerium verweigerte
Gespräch einforderten, hat bisher nur das dürftige Verhandlungsangebot gebracht, nochmals
die Einzelfälle nur der in NRW gemeldeten Flüchtlinge zu
überprüfen.
Sie ließen sich dadurch nicht spalten und forderten immer wieder laut und deutlich ein Bleiberecht
für alle an der Aktion Beteiligten und einen generellen Abschiebestopp in die Türkei. Bisher
haben ihnen auch die Vertröstungen im Blick auf den Regierungswechsel auf Bundesebene nichts
gebracht - trotz der vielen Protestaktionen wurden in allen Gespräche mit PolitikerInnen der
Grünen und SPD nur vage Schritte in Richtung einer Lösung angedeutet. Bisher hat es ihnen
nichts genutzt, daß offiziell niemand dem Delegationsbericht der Reise unter der Leitung des
ehemaligen Innenminister von Nordrhein-Westfalen Herbert Schnoor widerspricht, in dem es heißt:
"Wer nach der Rückkehr aus Deutschland im Verhör als Kurde, Alevit, als politisch
links stehend identifiziert wird, ist jederzeit in Gefahr, geschlagen, mißhandelt oder gefoltert zu
werden."
Abschieben in die Türkei heißt, wissentlich existentielle Bedrohung in Kauf zu nehmen. Das
ist es, worum die Flüchtlinge seit Jahren kämpfen: nicht mehr und nicht weniger als um ihre
bloße Existenz. Und genau diese wird jetzt eingesetzt. Am 7.Januar traten Hassan Ay und Mustafa
Tayfun im Abschiebegefängnis Büren in einen unbefristeten Hungerstreik. Zwei Tage
später besetzten aus Solidarität mit Hassan Ay und Mustafa Tayfun etwa 70 weitere
Flüchtlinge aus dem Wanderkirchenasyl - Männer und Frauen - die
Landesgeschäftsstelle der Grünen in Düsseldorf und schlossen sich dem Hungerstreik
an. Die für den nächsten Tag angesetzte Abschiebung von Hassan Ay wurde am Nachmittag
nach einer Intervention des Innenministeriums für einen Monat ausgesetzt. Trotzdem - oder gerade
deswegen - sind die Flüchtlinge weiter in der Landesgeschäftsstelle geblieben, denn sie lehnen
die Hinhaltetaktik der politisch Verantwortlichen ab und fordern mit dem Bleiberecht ein
endgültiges Ende ihrer Flucht. Derzeit setzen 25 Flüchtlinge stellvertretend für die
ganze Gruppe den Hungerstreik fort.
Wir, die Kampagne "kein mensch ist illegal", unterstützen den Hungerstreik. Wir
verstehen, warum die Flüchtlinge dieses letzte Mittel einsetzen: Der Widerspruch zwischen
jahrelangem Hoffen auf Bleiberecht und der ständigen Angst vor Abschiebung, Gefängnis
und Folter zwingt sie dazu, mit allem Nachdruck eine Entscheidung zu fordern.