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Wir haben die Gasflammen und Ölverseuchungen satt",
erklärte Anfang Dezember eine Konferenz der Ijaw, der viertgrößten
Bevölkerungsgruppe Nigerias. In der "Erklärung von Kaiama" stellten die zum
größten Teil jugendlichen Teilnehmer den Öl-Konzernen, die im Niger-Delta schwarzes
Gold fördern, ein Ultimatum. Doch Shell, Chevron und BP stellten nicht wie gefordert die Öl-
und Gasförderung ein. Statt dessen entsandte die nigerianische Regierung mit Beginn des neuen
Jahres militärische Spezialkommandos, "um die Einrichtungen zur Ölförderung
gegen Vandalismus zu schützen".
Nach Angaben der internationalen Nachrichtenagentur IPS ist es den AktivistInnen der Ijaw im Oktober
des vergangenen Jahres mit ihrer Kampagne "Operation Klimawechsel" gelungen, durch
Besetzungen und Blockaden ein Drittel des Ölexports zu verhindern.
Nigeria ist weltweit der sechstgrößte Ölproduzent und erhält 90% seiner
Deviseneinnahmen durch Ölexporte. Gleichzeitig gibt es in vielen Regionen des Nigerdeltas, in dem
der größte Teil des schwarzen Goldes gefördert wird, weder Elektrizität, noch
Zugang zu sauberem Wasser.
Für die Umweltverschmutzungen und die Armut der Bevölkerung macht nicht nur die Ijaw-
Jugend eine "Allianz des nigerianischen Staates mit den Ölkonzernen" verantwortlich.
Schon der 1995 ermordete nigerianische Schriftsteller Ken Saro-Wiwa kritisierte die Zusammenarbeit der
Konzerne mit dem damals amtierenden Diktator Sani Abacha und mußte dafür mit dem
Leben bezahlen. Die Ijaw fordern den Abzug aller Militärs und die Aufhebung des
Landreformgesetzes, daß die einheimische Bevölkerung zu Gunsten der Öl-Multis
benachteiligt habe.
In ihrer Erklärung weisen die Ijaw die Versuche der neuen Regierung unter General Abdulsalami
Abubakar zurück, sie als "Saboteure und Terroristen" zu diffamieren. "Mit diesen
Behauptungen wird die Schlinge gebunden, an der wir später aufgehängt werden
sollen", erklärte ein Sprecher. Knapp einen Monat später beklagen die Ijaw über
240 Tote. Nigerianische Behörden geben lediglich 20 Tote an, die die Auseinandersetzungen zu
Beginn des Jahres gefordert hätten.
Mitte Januar sprach das Ijaw Elders Forum (IEF) von "einer Antwort der Regierung auf das
Ultimatum, die einer Kriegserklärung gleichkommt". Das IEF berichtet, daß die
Regierung mindestens zwei Kriegsschiffe und mehr als zehn Panzer gegen die Jugendlichen in Stellung
gebracht habe. Außer den Toten habe es zahlreiche Verletzte gegeben und mehr als 200 Festnahmen;
mehrere tausend Menschen seien aus zerstörten Dörfern nach Port Harcourt und anderen
Städten geflohen. "Für uns überraschend, wurden diese Grausamkeiten zu einem
Zeitpunkt begangen, als die Jugendlichen schon ihre Teilnahme an Verhandlungsgesprächen
zugesagt hatten." Nach bisher unbestätigten Berichten sollen sogar Hubschrauber des Shell-
Konzerns an der Bombardierung von Ijaw-Siedlungen beteiligt gewesen sein.
Mit den Auseinandersetzungen im Nigerdelta gerät auch das Demokratieverständnis der
Übergangsregierung Abubakars an seine Grenzen. An den Gouverneurswahlen am ersten
Januarwochende durften sich nur 35 der insgesamt 36 Bundesstaaten beteiligen.
Den Bewohnern Bayelsas, im ölreichen Nigerdelta gelegen und mehrheitlich von den Ijaw
bevölkert, untersagte die nationale Wahlkommission die Teilnahme an den Wahlen. "Wir
wollen unsere Wahlhelfer keiner Gefahr aussetzen", erklärte die Kommission und beklagte im
selben Atemzug "Gewalttätigkeiten" der Ijaw.
Seit 1960 wird Nigeria von Militärs regiert. Nach dem Tode des Diktators Abacha soll es im
Februar erstmals demokratische Parlamentswahlen geben. Abubakar hat bereits zugesichert, im Mai der
gewählten Regierung die Staatsgewalt zu übergeben. Hoffnungsträger ist die
demokratische Volkspartei PDP des ehemaligen Militärbefehlshabers Olusegun Obasanjo, der
Nigeria von 1975 bis 1979 regierte und dessen Partei in 18 Bundesstaaten die Gouverneurswahlen
gewann.
Obasanjo hat nun ein Friedensabkommen vorgeschlagen, um die militärische Besetzung von
Bayelsa zu beenden. Für den Ijaw National Congress mit Sitz in den USA ist dieser Vorschlag nicht
mehr als ein Wahlmanöver. "Unter der Regierung Obasanjos wurde das Gesetz zur
Landreform umgesetzt", unterstreicht ein Sprecher das Mißtrauen der Ijaw gegenüber
dem Verhandlungsvorschlag.
Am 4.Januar besetzten mehrere Aktivisten für sechs Stunden den Shell-Hauptsitz in London, um die
Forderungen der Ijaw zu unterstützen. Shell-Geschäftsführer Chris Fay lehnte
Gespräche mit den Besetzern ab und erklärte, daß der Konzern den Anliegen der Ijaw
nicht entgegenkommen werde, denn diese seien "irrational".
Die Besetzer verstehen ihre Aktion als Botschaft an die Adresse der transnationalen Konzerne.
"1999 wird ein Jahr der wachsenden Globalisierung des Widerstands werden." Ein Sprecher
kritisiert die "zunehmende Militarisierung des Handels" und kündigt weitere
Protestaktionen zum Zeitpunkt des Weltwirtschaftsgipfels am 18.Juni an, die in den Finanzzentren von
London, New York und Mexiko-Stadt stattfinden sollen.
Gerhard Klas