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Ein Jahr nach der Freigabe des Telefonmarkts findet sich kaum ein
Kommentar, der nicht zum Hohelied auf die Vorzüge des Kapitalismus anstimmt und in der
Feststellung gipfelt: "Der Telefonmarkt ist ein Paradebeispiel für funktionierenden
Wettbewerb."
Verweise auf Preisnachlässe bis zu 70% sind die Weichzeichner in diesem Bild von der
schönen neuen Welt des Telefonierens. Presseberichterstattung gerät dabei immer mehr zur
kostenlosen PR-Veranstaltung für die Werbeabteilungen jener Akteure, die miteinander um ein
möglichst großes Profitstück vom Kuchen des Telekommunikationsmarkts rangeln.
Journalistische Recherche kommt selten über die Erstellung eines grafisch gut aufbereiteten
Telefonkompasses plus textlicher Aufbereitung hinaus.
Bei Verlegern erfreuen sich solche Ratgeber großer Beliebtheit, weil die im Tarifdschungel
verloren gegangenen Telefonbenutzer nach Orientierung lechzen. Das Presseprodukt darf folglich durch
solche "Dienstleistung" auf rege Nachfrage rechnen. Für den produzierenden
Journalisten lockt an solchen Arbeiten die Aussicht, mit geringer Sachkompetenz und minimalem
Aufwand die Zeilenhonorare einstecken zu können, die für die Bestreitung des eigenen
Lebensunterhalts unverzichtbar sind.
Wo Oberflächlichkeit sich für Rechercheure in barer Münze bezahlt macht, sind
fundierte Analysen und Hintergrundinformationen Mangelware. Enthält ein Jahresbilanzartikel
Informationen über die Marktverluste der Telekom bei den Ferngesprächen im Festnetz
(bis zu 25%) oder Aussagen über die Marktanteile der Newcomer, ist man schon gut
bedient.
Überdurchschnittliche Mühe darf man Verfassern von Artikeln bescheinigen, die
zumindest andeuten, was die drastischen Gebührensenkungen der Telekom für den
weiteren Verlauf des Wettbewerbs bedeuten. ("Die privaten Telefongesellschaften stellen sich auf
einen harten Verdrängungswettbewerb ein", so die Wirtschaftswoche).
Eingehendere Analysen der "Performance" der diversen neuen Anbieter sind fast so schwer
zu finden wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Welchen Preis die Belegschaften der
neuen Anbieter in Form von ungeschützten Arbeitsverhältnissen für die
Niedrigstpreise zahlen, ist nicht interessant. Lediglich die Ankündigung von verschärftem
Personalabbau bei der Telekom wird - natürlich positiv, weil kostensenkend - rezipiert.
Wer sich mit einem Ausblick auf die Zukunft befaßt, gefällt sich im
schwärmerischen Schwadronieren über die durch neue Techniken eröffneten
unbegrenzten Möglichkeiten der (Tele-)
Kommunikation. Von den Marketingabteilungen der Telekomfirmen unters Volk gestreute neue
Verfahren wie Internettelefonie, Kommunikation per "Powerline" über das Stromnetz
oder Versuche, mittels ASDL über das Kabelnetz Multimediadienste anzubieten, werden begierig
aufgegriffen und in allen Einzelheiten breitgetreten.
Stets wird nur beiläufig erwähnt, daß es sich jeweils lediglich um einen örtlich
sehr begrenzten Pilotversuch handelt, nicht ins Bild passende Begleitumstände werden
ausgeblendet. Und selbstverständlich ist nicht die Rede davon, daß die breite Masse der
TelefonnutzerInnen in absehbarer Zeit diese Techniken nur vom Hörensagen kennenlernen
werden - insbesondere jene Menschen, die außerhalb der Ballungsräume wohnen und nicht
durch irgendeinen Zufall ins Fadenkreuz der neuen Anbieter kommen. Denn diese neuen Dienste fallen
nicht mehr unter den Infrastrukturauftrag - der ohnehin nur die Telekom betrifft.
Eine sicher nicht ungewollte Nebenwirkung der momentan verbreiteten "Visionen" ist,
daß bei den Menschen das Vertrauen in die Wunderkräfte des Marktes gefördert
wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese rosaroten Nebelschwaden lüften.
Überrascht werden dann breite Teile der Bevölkerung feststellen, daß sie von den
Möglichkeiten moderner Telekommunikation abgeschnitten sind. Das fällt momentan
nicht auf, weil die BRD nach Abschluß der Digitalisierung des Telefonnetzes Ende 1997
über die modernste Telekominfrastruktur der Welt verfügt. Die dadurch eröffneten
Möglichkeiten werden bisher nur von einer Minderheit der Bevölkerung genutzt.
Wenn gegenwärtig in den diversen "Pilotprojekten" mit neuen Techniken die
Weichen gestellt werden für die Aufspaltung der Gesellschaft in die - wie es neudeutsch
heißt - "Communication Rich" und die "Communication Poor" ist das
für die Masse der Bevölkerung nicht in Form von einschneidenden Verschlechterungen
erfahrbar.
Nach der Privatisierung verhielten sich die Dinge im Telekommunikationssektor anders als bei der
Bahn. Es gab bisher nur relativ wenige offenkundige Verschlechterungen für die
Bürgerinnen und Bürger, und diese wurden durch massive Preissenkungen bei den
Ferntarifen in den Augen der Betroffenen mehr als wettgemacht.
Die Ursache für die unterschiedliche Entwicklung ist in der unterschiedlichen Bedeutung der
beiden Sektoren für den Kapitalismus zu finden. Während der Ausbau und die
Modernisierung des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs für wichtige Teile des
Kapitals eher zweitrangig, für wichtige Sektoren wie die Autoindustrie eher unerwünscht
ist, liegen die Dinge bei der Telekommunikation anders. Sie ist für die gesamte Wirtschaft von
zentraler Bedeutung und somit Gegenstand permanenter Innovationen. Ähnlich wie im PC-
Bereich werden dadurch vom Tisch der Reichen abfallenende Brotkrümel, sprich: gewisse
Preissenkungen fürs gemeine Volk möglich, mehr nicht.
Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß Phänomene, wie wir sie jetzt schon bei der
privatisierten Bahn beobachten, künftig auch im Telekomsektor deutlicher zutage treten:
Konzentration auf die Rennstrecken, Abhängen der Landstraßen, Vernachlässigung
der Investitionen in die Infrastruktur, weil diese zu Lasten der schnellen Mark (bzw. des Euro) gehen,
höhere Gebühren für jene abseits der Rennstrecken, usw. Eine wirtschaftliche
Rezession würde solche Entwicklungen rasant beschleunigen.
Gespannt darf man sein, mit welch schillernden Erklärungen die Medien dann aufwarten
werden.
Franz Mayer