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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 02 vom 21.01.1999, Seite 7

Branntwein, Bibeln und Bananen

Buchbesprechung

Noch immer werden in bundesdeutschen Museen Schädel von Afrikanern zur Schau gestellt. Auch wenn die Beschriftung der "Exponate" verschieden sind, geben sie jedoch nie Auskunft über die tatsächliche Herkunft. In der Regel müßte es sich jedoch um Köpfe von Afrikanern aus ehemaligen deutschen Kolonien, die von sog. deutschen Schutztruppen niedergemetzelt wurden.
  Der Mantel des Vergessens, der die Kolonialgeschichte Deutschlands zudeckt, wird nur selten und dann auch nur für Augenblicke gelüftet. Wer etwa in dem von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen "Schlaglichtern der deutschen Geschichte" nachschaut, wird auf den über 450 Seiten zum Thema deutsche Kolononialgeschichte lediglich erfahren: daß Bismarck dem "Erwerb" von Kolonien ablehnend gegenüberstand. Die Spuren dieser Geschichte sind jedoch vielfältig und sie werden übersehen. Vor allem in Hamburg häufen sich diese Fundstellen. Dort legten Handelsfamilien den Grundstein für die deutsche Variante der Ausplünderung Afrikas.
  Vor 15 Jahren entwickelten Studierende der Universität Hamburg einen Stadtrundgang, um auf diese Fundorte aufmerksam zu machen. Das aus den Recherchen ein Buchprojekt entstehen würde, ist nicht zuletzt auf die vielfältigen Wurzeln dieser Kolonialgeschichte in der Hansestadt zurückzuführen. Das von Heiko Möhle herausgegebene Buch* gibt zunächst einmal Zeugnis vom Wirken der Kaufleute aus Hamburg. Es ist aber auch Wissenswertes und Kritisches zusammengetragen über Hagenbecks Völkerschauen, die Frauen der Kolonisatoren, über Tropenmedizin, wie auch die Spannbreite der "wissenschaftlichen" Begleitung der Kolonialisierung. Die militärische Unterdrückung wird ebenso aufgezeigt, wie die Kontinuität des zugrunde liegenden Rassismus.
  Branntwein, Bibeln und Bananen spart nicht an konkreten Beispielen kolonialer Ausbeutung: In Westafrika hatten Kauriemuscheln die Funktion des Geldes übernommen. Der Hamburger Kaufmann Adolph Hertz hatte 1844 bei einer Schiffsexpedition entdeckt, daß auf der ostafrikanischen Insel Sansibar diese Muschel in rauen Mengen vorkam. Er kaufte dort den Zentner Muscheln für 3/4 Dollar ein, um ihn in Westafrika für einen Preis von 8 bis 9 Dollar zu verscherbeln. Auf das "übers Ohr hauen" versteht sich die Hamburger Kaufmannschaft bis heute. "Noch immer werden am ,Afrika Terminal' die aus Westafrika kommenden Schiffe ent- und beladen: Kakao aus Ghana gegen schrottreife Autos aus deutschen Landen."
  Eine weitere Kontinuität stellt die Geschichte der Ausbeutung der afrikanischen Arbeitskräfte dar. Bevölkerungspolitik nach der Kolonialisierung hatte sich zur Aufgabe gemacht, den Arbeitskräftemangel in den europäischen Ländern zu beheben. Dem dumpfen Eroberer, der mit preußischer Genauigkeit alles niedermachte, stand immer der aufgeklärte Kolonialherr zur Seite, für den die Kolonien vor allem einen auszubeutenden Vorrat an Bodenschätzen und Arbeitskraft darstellten.
  Nach der Unterwerfung der Afrikaner unter die Macht dieser Kolonialherren begann der gewerkschaftliche Kampf um eine bessere Entlohnung. So fehlt im Buch auch nicht ein Kapitel über den "Kongreß der Negerarbeiter" in Hamburg. Christoph Schmitt beschreibt, wie durch das Verbot des Kongresses in London die Hamburger KPD 1930 zum Veranstalter dieses Kongresses wurde. Doch blieb es bei dieser einen Konferenz.
  Sie war als Signal gedacht, um der Konkurrenz zwischen weißen und schwarzen Arbeitern den Kampf anzusagen. Doch bereits im Anschluß an die Konferenz bemerkte einer der Hauptorganisatoren "die geringe Präsenz der Organisationen und die ungenügende Unterstützung durch die RGI-Sektionen aus Ländern mit Kolonialbesitz". In dieser Kritik wurde deutlich, was heute noch gilt: Die Solidarität zwischen weißen und schwarzen ArbeiterInnen "ist weniger an Brüderlichkeit und Gerechtigkeit organisiert, als am Eigennutz".
  Tommy Schroedter
 
  *Heiko Möhle (Hg.), Branntwein, Bibeln und Bananen, Hamburg (Verlag Libertäre Assoziation) 1998, 24,80 Mark.