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Der Tarifkonflikt in der Metall- und Elektroindustrie hat sich verschärft. Die IG Metall hat
Warnstreiks auf die Tagesordnung gesetzt. Die Tarifrunde 1999 geht somit in die heiße Phase. In fünf Bezirken
brach die IG Metall die Verhandlungen ab. Sie reagierte damit auf ein Angebot der Kapitalseite von 2 Prozent mehr Lohn
plus 0,5 Prozent eines Jahreseinkommens als Einmalzahlung. Wobei letzteres bei schlechter Gewinnsituation per
Betriebsvereinbarung entfallen können soll.
Harald Schartau, Verhandlungsführer der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, hat für Anfang Februar
Warnstreiks angekündigt. Im Südwesten der Bundesrepublik legten Beschäftigte der Automobilindustrie
und der Zulieferer bereits die Arbeit für einige Stunden nieder.
Die Tarifparteien der Metallindustrie hatten im Vorfeld der Tarifrunde von einer neuen Kultur der Zusammenarbeit
gesprochen. Nach Jahrzehnten der Konfrontation sollte diese Tarifrunde kooperativ gestaltet werden. Beide Seiten hatten
angekündigt, ihre Interessen ohne die "üblichen Tarifrituale" auszugleichen. Anfang November des
vergangenen Jahres hatte Harald Schartau auf ein schnelles Angebot der Arbeitgeber gedrängt. In der Presse
vermittelte er den Eindruck, es könne noch vor Weihnachten zu einem Tarifabschluß kommen.
Zum Jahreswechsel war der Streit um die Tarif- und Arbeitsmarktpolitik eskaliert. Der IG-Metall-Chef Zwickel drohte mit
einem Scheitern der Gespräche über ein "Bündnis für Arbeit", falls sich die
Bundesregierung nicht an die Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgebern halte. Der ÖTV-Vorsitzende
Mai warf den öffentlichen Arbeitgebern vor, sich nicht um die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen zu
kümmern.
Der Präsident des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft Ohoven hielt den Gewerkschaften vor, mit
"unerträglicher Klassenkampfrhetorik" das Klima zu vergiften. Angesichts der gegebenen
Konjunkturdaten seien Forderungen von 6,5 Prozent Lohnzuwachs ein Zeichen "völliger wirtschaftlicher
Unvernunft". Statt dessen müsse ein weitgehender Umbau des Tarifvertragssystems im Mittelpunkt der neuen
Tarifrunde stehen. "Betriebsautonomie vor Tarifautonomie" sei der Leitgedanke.
Die Unternehmerverbände stützen sich bei ihrer Kritik an den angeblich unrealistischen Tarifforderungen der
Gewerkschaften bis zu 6,5 Prozent unter anderem auf die Mahnung des Bundeswirtschaftsministers Müller (parteilos)
zu "maßvollen Tarifabschlüssen".
Mit seinem Plädoyer für Lohnzurückhaltung hat Müller die Gewerkschaften gegen sich
aufgebracht. Roland Issen, Chef der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), wies am Wochenende die Belehrungen
Müllers als ungebührlichen Eingriff in die Tarifautonomie zurück.
Müller bezeichnete die Lohnforderungen der Gewerkschaften als zu hoch, weil es zwar richtig sei, die Kaufkraft zu
stärken, die Einkommen der Beschäftigten aber nicht durch Lohnzuwächse steigen dürften,
sondern vor allem durch die Senkung von Steuern und Abgaben. Die Regierungskoalition senke mit der Ökosteuer
mühevoll die Lohnkosten um 0,8 Prozent, und bei Lohnforderungen von 6 Prozent entstehe da "irgendwo ein
Kurzschluß".
Arbeitgeberverbände und Deutsche Bundesbank unterstützen die Haltung des parteilosen Ministers.
Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften sei Voraussetzung für die wirksame Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Bei richtiger politischer Weichenstellung könnten dann bis zum Ende des Jahres 2002 eine Million
neue Stellen geschaffen werden.
Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte machen also jetzt anhand des Tarifstreits die Erfahrung, daß der
Regierungswechsel nicht unbedingt ein anderes Politikverständnis bedeutet. Unternehmerverbände,
Wirtschaftsminister, die meisten Wirtschaftsinstitute und Wirtschaftssachverständigen treten geschlossen gegen die
Beschäftigten und ihre Gewerkschaften auf.
Für den Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Horst Siebert wären die
Konmsequenzen zu hoher Tarifabschlüsse absehbar. Sollten die Arbeitnehmervertreter mehr als 2 Prozent fordern,
seien die positiven Einschätzungen der Arbeitsmarktentwicklung nicht zu halten. Die derzeit positive Lage am
Arbeitsmarkt gehe in erster Linie auf die moderaten Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre zurück.
Der Konjunkturexperte des Instituts für Wirtschaftsförderung Halle, Udo Ludwig, fordert IG Metall,
ÖTV und DAG dazu auf, sich mit Lohnzuwächsen "unter dem Produktivitätsfortschritt" zu
begnügen. Diese würden 1999 unter 2 Prozent liegen.
Professor Peffekoven vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sagte im
Saarländischen Rundfunk, er halte Lohnerhöhungen nur in Höhe von bis zu 2 Prozent für
gesamtwirtschaftlich vertretbar. Höhere Tarifabschlüsse würden "keinen Beitrag" zur
Lösung des Arbeitslosenproblems leisten.
Bereits in SoZ 22/98 zitierten wir Harald Schartau mit den Worten, er teile die Hoffnung des Präsidenten von
Gesamtmetall, Werner Stumpfe, daß bis zum Jahr 2000 Arbeitskämpfe in der Metallindustrie vermieden werden
können. Stumpfe hatte in diesem Zusammenhang den Gewerkschaften eine "neue Partnerschaft"
angeboten. Diese "Partnerschaft" wird nun mit einem "Angebot" von 2 Prozent konkretisiert. Dies
in einer Situation - wie die IG Metall klargestellt hat -, in der sich viele Beschäftigte nur noch mit Nebenjobs
über Wasser halten können.
Besonders Beschäftigte mit Familie und diejenigen in den unteren Lohngruppen sind stark unter Druck; eine
zusätzliche Stelle ist oft der einzige Ausweg. Hinzu kommt, daß von einem niedrigen Lohnabschluß
für die Frühverrentung ("Volle Rente mit 60") sogar noch Abzüge drohen, so daß die
Beschäftigten weitere Einbußen hinnehmen müßten.
Stumpfe meinte am 7.12. im Handelsblatt, die Tarifparteien müßten sich endlich von
"Reichseinheitsabschlüssen" verabschieden. So soll das flexible Weihnachtsgeld je nach Ertragslage der
Betriebe nach oben oder nach unten schwanken. Wenn es dem Betrieb schlecht geht, soll es gar kein Weihnachtsgeld
geben. Mit einem solchen Instrument könnten dann Belegschaften auch in schlechten Zeiten gehalten werden. Genau
so, wie nach dem Arbeitgeberangebot die Einmalzahlung für das Jahr 1999 mit Zustimmung der Betriebsräte
gekürzt werden soll, falls die Lage des Betriebs es erfordert.
Die "rot"-grüne Bundesregierung hat - ganz wie vorher die Kohl-Regierung - die Beschäftigten des
öffentlichen Dienstes zur Lohnzurückhaltung aufgerufen. "Der öffentliche Dienst muß
bescheiden sein", sagte Finanzminister Lafontaine. Und der grüne Finanzexperte Metzger meinte, hier das Ende
der Bescheidenheit zu praktizieren wäre "ein Hammer".
Jetzt, wo die Gewerkschaften weitere Warnstreiks ankündigen und die Urabstimmung vorbereiten, drohen die
Unternehmerverbände damit, das "Bündnis für Arbeit" platzen zu lassen. Aber auch der IG-
Metall-Vorsitzende Zwickel sagte in einem Interview in der Welt, wenn die Tarifpolitik zum Gegenstand der
Gespräche für ein "Bündnis für Arbeit" gemacht werde, "würde ich
jedenfalls aufstehen und gehen". Im übrigen halte die IG Metall an ihrer Forderung von 6,5 Prozent mehr Lohn
fest.
Bei der Sitzung der großen Tarifkommission der IG Metall NRW, die am 29.November tagte, hatten sich 125
Mitglieder aus 47 Verwaltungsstellen für die Lohnforderung von 6,5 Prozent entschieden. Für Auszubildende
wurde eine monatliche Zulage von 90 DM gefordert.
In der dreistündigen Diskussion mit 21 Wortmeldungen spielte die Forderung nach einem Festgeld für alle
Beschäftigten, Männer und Frauen, eine große Rolle. Die Forderung aus der Verwaltungsstelle Herne, die
auch von den Delegierten aus Gelsenkirchen unterstützt wurde, lautet: Einheitliche Festbeträge für alle
um der Gerechtigkeit willen. Mit Festgeldbeträgen könnte das weitere Auseinandergehen der Schere
unterschiedlicher Lohnhöhen verhindert werden. Doch die Delegierten von 37 Düsseldorfer Betrieben
stimmten dagegen; sie verlangten die 6,5 Prozent.
Willi Scherer