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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 5

Börsenhoch für Jürgen Trittin

Kommentar: Jakob Moneta

Die französische Nachrichtenagentur afp meldete, das von 19 Atomkraftwerken, die in Deutschland Strom produzieren, sechs wegen mangelnder Lagerkapazitäten schon 1999 hätten abgestellt werden müssen, falls ihnen keine anderen Entsorgungswege geöffnet würden. Es sind dies: Biblis A, Biblis B, Krümmel, Philippsburg I, Neckarwestheim I und Stade.
  Kritische Atomexperten erklärten, daß sich zur Überbrückung des "Notstands" - also bis neue Zwischenlager wegen der Überfüllung der Abklingbecken an den jeweiligen Kraftwerkstandorten in zwei, drei Jahren genehmigt und gebaut wären - Lösungen hätten finden lassen.
  "Allerdings hätten dann auch die Betreiber selbst Vorschläge einbringen müssen, aber das war wohl nicht drin. Es zu erhoffen, wäre wohl auch gar zu blauäugig", meint Joachim Wille (Frankfurter Rundschau, 27.1.99) und erklärt warum: "Schließlich geht es für die Stromversorger nicht nur um den Stellplatz für ihren Strahlenmüll, sondern auch um schätzungsweise 20 Milliarden Mark, die sie bislang steuerfrei für in der Zukunft anfallende Wiederaufarbeitungskosten parken konnten und die ihnen das Engagement in anderen lukrativen Märkten, etwa der Telekommunikation, ermöglichten. Ein sofortiger Wiederaufbereitungsanlagenstopp hätte logischerweise Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe zur Folge. Kein Wunder, daß hier hart gepokert wurde."
  Kein Wunder auch, daß der Sieg der Stromversorger mit einem Börsenhoch gefeiert wurde. Jürgen Trittin wird sich wohl damit trösten, daß sein Boss Bundeskanzler Schröder uns verklickerte, die Stromversorger würden natürlich "den Primat der Politik" beim Atomausstieg anerkennen. Offensichtlich indem sie den Politiker Jürgen Trittin nach ihrer Pfeife tanzen ließen.
  Vielleicht aber bringt ihn und die Bundesregierung doch noch zur Besinnung, daß der Karlsruher Kernphysikprofessor Günter Keßler errechnete: bis zum Jahr 2000 werden in den Brennelementen deutscher Reaktoren 80 Tonnen Plutonium entstanden sein. Die von Bundesumweltminister Jürgen Trittin vorgesehene direkte Endlagerung des prinzipiell auch zum Atombombenbau geeigneten Plutoniums sei international verboten.
  Bliebe es bei den Bestimmungen der Atomgesetznovelle würde der Minister, der angetreten sei, "eine Plutoniumwirtschaft zu verhindern", einen gigantischen Plutoniumspeicher schaffen. Dieser müßte wegen der extremen Langlebigkeit von Plutonium jahrtausendelang überwacht werden.
  Was aber sind jahrtausendelange Ängste gegen vier köstliche Regierungsjahre?