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Die IKP spricht sich nicht nur gegen eine Aufhebung des Wirtschaftsembargos aus, sondern will
auch die demokratischen Kräfte gegen das Regime von Saddam Hussein unterstützen. Wer repräsentiert
diese "demokratischen Kräfte"?
Hamid Madjid Mussa: Es gibt Kräfte, die für eine politische Demokratie kämpfen. Also für ein
Mehrparteiensystem im Irak, für einen friedlichen Machtwechsel durch Wahlen. Dazu gehört eine Verfassung
genauso wie die Achtung der Menschenrechte. Fast alle politischen Organisationen, natürlich mit Ausnahme der
Regierungspartei, unterstützen diese Forderungen. Innerhalb dieser Breite gibt es eine demokratische Strömung,
der es nicht nur um die politische, sondern auch um die gesellschaftliche Demokratie geht. Mit anderen Worten: auch um die
Verteidigung der Rechte der Arbeiterklasse. Wenn wir über eine gemeinsame Plattform aller demokratischen
Kräfte reden, heißt das nicht, daß wir nicht unser eigenes Programm hätten. Wenn wir innerhalb
dieses Spektrums über die Organisationen sprechen, die sich auch der gesellschaftlichen Demokratie verpflichtet
fühlen, nennen wir das "demokratische Strömung". Kern dieser Strömung ist die irakische
KP. Hinzu kommen zwei weitere Organisationen und zahlreiche unabhängige Personen.
Wir kämpfen auf zwei Ebenen: auf der gesamten Ebene für die politische Demokratie, und auf unserer Ebene
für die gesellschaftliche Demokratie. Den Kampf für die politische Demokratie führen wir zusammen auch
mit liberalen Kräften, die z.B. für die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien eintreten. Die
"demokratische Strömung" umfaßt hingegen die linken Kräfte.
In welchen Milieus und gesellschaftlichen Bereichen sind die Widerstandspotentiale am stärksten vertreten?
1985 hat Saddam Hussein beschlossen, die Arbeiterklasse im Irak "aufzulösen". Er hat allen Arbeitern in
staatlichen Betrieben den Beamtenstatus verliehen. Und Beamte haben im Irak kein Recht, sich gewerkschaftlich zu
organisieren. Das können nur noch die wenigen Beschäftigten im privaten Sektor machen. Die wirtschaftlich
bedeutende Ölindustrie ist nahezu vollständig in staatlicher Hand.
Doch auch ohne Gewerkschaften gibt es eine linke Kraft im Land, die sich an der demokratischen Strömung orientiert
und die Interessen der Arbeiterklasse verteidigt. Aufgrund von Folter, Verfolgung und Diktatur ist die Organisierung jedoch
nicht weit vorangeschritten. Viele verfügen allerdings über relativ starke Exilorganisationen. Zu den Exil-Irakern
gehören fast alle bedeutenden Intellektuellen des Landes.
Die jüngsten Luftangriffe der USA auf Irak sind auf internationaler Ebene als politische Niederlage für Clinton
gewertet worden. Hat sich dadurch auch die Situation Saddam Husseins im Irak wieder gefestigt?
In der Tat, das war eine politische Niederlage für Clinton. Und gleichzeitig eine für Saddam Hussein. Es kommt
auf die Perspektive an.
Wenn wir aus der Perspektive derjenigen die jüngsten Angriffe betrachten, die eine friedliche und demokratische
Gesellschaft im Irak wollen, ist Saddam Hussein ebenfalls verantwortlich. Daß Hussein nicht die UNO-Resolutionen
erfüllt, daß er fälscht und pokert - diese Fakten geben den USA einen Vorwand, ihre Politik durchzusetzen.
Da Saddam Hussein durch sein Verhalten zu den Bombenangriffen beigetragen hat, können also beide zu den
politischen Verlierern gezählt werden.
Als Reaktion auf die Bombardements hat die arabische Öffentlichkeit zunächst die US-Angriffe verurteilt.
Bedeutet das einen Sieg für Saddam? Diese Solidarität im arabischen Raum ist eine Form von Protest gegen die
amerikanische Politik, die im Zusammenhang mit der US-Politik im Nahen Osten und in Palästina schon eine lange
Tradition hat. Von Anfang an waren die Proteste gegen die Luftangriffe und auch gegen das Wirtschaftsembargo im
arabischen Raum nicht als Solidarität mit Saddam Hussein und seinem Regime gemeint, sondern als Protest für
die irakische Bevölkerung. Saddam Hussein hat anschließend natürlich versucht, diese Solidarität in
seinem Sinne zu interpretieren.
Clinton will mit demokratischen Kräften im Irak einen Plan zum Sturz Saddam Husseins erarbeiten. Wie steht die IKP
zu dieser Initiative?
Die Tatsache, daß Saddam Hussein immer noch an der Macht ist, ist zu einem bedeutenden Teil der Politik der USA zu
verdanken. Wir kämpfen seit 20 Jahren für den Sturz des Saddam-Regimes und lehnen jede Einmischung von
außen in unsere inneren Angelegenheiten ab. Wir akzeptieren Unterstützung von außen, wenn sie mit den
Vorstellungen der demokratischen Kräfte einhergeht, lehnen es aber ab, als Agenten US-amerikanischer Interessen
instrumentalisiert zu werden. Auch von den Organisationen, auf die sich Clinton bezogen hat, haben nicht alle sein Angebot
angenommen. Dazu gehört die kurdische DPK und der Hohe Rat für die islamische Revolution.
Der Irak verfügt über die zweitgrößten Ölvorräte in der Welt. Vor allem russische und
französische Konzerne haben mittlerweile milliardenschwere Verträge über die Ausbeutung neuer
Ölfelder mit dem Irak abgeschlossen. Im Gegensatz zu den USA und Großbritannien, für die das Tor
für einen Handel mit Saddam Husseins Regime nach den jüngsten Luftangriffen nun endgültig
verschlossen ist, haben die russische und französische Regierung ein Interesse an der Aufhebung des Embargos.
Könnte dieser Interessenkonflikt zwischen den Großmächten zu Gunsten der Bevölkerung im Irak
genutzt werden?
Die USA wollen absolute Herrschaft über die Region und damit Zugang zum Öl haben. Die Interessenkonflikte
der Großmächte spiegeln sich auch beim Stimmverhalten in der UNO wider. Unter dem Regime Saddam
Husseins ist es schwer, diese Gegensätze im Interesse der Bevölkerung nutzbar zu machen. Im Gegenteil: sie
verkomplizieren die Situation im Irak. Viele der UNO-Resolutionen werden durch den Konflikt negativ beeinflußt. Jeder
Gehversuch der UNO wird wegen dieses Konflikts und der wirtschaftlichen Interessen eine Lösung eher
blockieren.