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Worin unterscheidet sich eure heutige revolutionäre Strategie von der maoistischen Vergangenheit?
Jona: Zunächst einmal hatte in der Vergangenheit der bewaffnete Kampf alles andere bestimmt. Wir hatten ein rigides
Konzept militärischer Kampfprojekte, das aus den Schriften Mao Zedongs zur chinesischen Revolution abgeschrieben
war. Wir versuchten die politischen Entwicklungen in unser militärisches Schema zu pressen: Defensive, Pattsituation,
Offensive und Revolution. Heute haben wir einen flexibleren strategischen Rahmen. Wir zwingen die politischen
Abläufe nicht mehr in das militärische Konzept.
Harry: Wir dachten, daß die Vergrößerung unserer militärischen Stärke in eine
Vergrößerung unseres revolutionären Potentials hinüberwachsen würde. Heute haben wir
erkannt, daß das Gegenteil richtig ist. Revolutionäre Entwicklungen hängen gerade nicht von bewaffneten
Kräften ab. Es gibt viele Faktoren, die das Wachstum oder den Rückgang von revolutionärem
Bewußtsein und Mobilisierung beeinflussen. Heute ist uns die Bedeutung von offenen Massenbewegungen,
Wahlkampagnen und sogar Parlamentsarbeit bewußt. Sie variiert je nach Ort und Zeit. Ein weiterer wichtiger Faktor ist
der Aufbau und die Festigung von Organen der politischen Macht der Unterdrückten, wie zum Beispiel die territoriale
Selbstverwaltung der indigenen Völker auf Mindanao, wo unsere Guerilla operiert.
Das muß für euren bewaffneten Flügel eine große Veränderung bedeutet haben...
Harry: Unsere bewaffneten Kräfte (die Revolutionäre Proletarische Armee - RPA) spielen jetzt eine defensive
Rolle. Sie machen politische Arbeit und verteidigen die Errungenschaften, die wir in den Gebieten gemacht haben, wo wir
relativ stark sind. Früher unterstellten wir unsere politischen Interessen den militärischen Zielen. Wir griffen
hauptsächlich an, um Waffen zu erbeuten, ohne Rücksicht auf die Folgen für die lokale
Bevölkerung. Heute wählen wir unsere Ziele viel sorgfältiger aus. Es sind militärische Führer
oder besonders reaktionäre Großgrundbesitzer.
Jona: Unsere Truppen sind auf ihre neue Rolle genau eingestellt worden. Früher taten wir alles, um den Eindruck eines
Bürgerkriegs zwischen der Regierung und dem Volk zu erwecken. Damals erklärten wir, daß unsere Armee
ein Produkt der Massenbewegung wäre - doch das war sie nicht. In Wirklichkeit war der Hauptgrund für
Rekrutierungen die Reaktion des Volkes auf das faschistische Regime. Das gibt es aber nicht mehr.
Ricardo: Unser bewaffneter Arm wird umorganisiert und umorientiert. Wir versuchen, ihn zu konsolidieren. Wir
möchten, daß die Armee der Massenbewegung dient und nicht andersherum.
Harry: Je mehr wir allerdings die Selbstorganisation der unterdrückten Minderheiten ausbauen, desto mehr registrieren
wir einen scharfen Rückgang der Bereitschaft, sich dem bewaffneten Flügel anzuschließen.
Selbstverteidigung ist integraler Bestandteil des Aufbaus dieser neuen Organe der politischen Macht. Insbesondere, weil die
Landfrage das zentrale Anliegen der indigenen Völker und armen Bauern ist. Und die Großgrundbesitzter und
Kriegsherren haben alle ihre eigene Armee. Dazu kommt die Armee der Philippinen, die auch als private Armee für
zahlungswillige Kapitalisten auf lokaler Ebene einsatzbereit ist.
Wir verändern die Beziehung zwischen bewaffnetem Flügel, Partei und Massenorganisationen. Wenn wir die
Organe der Volksmacht stärken, dann helfen wir dem Volk, alle Aspekte der Machtausübung zu
berücksichtigen. Unsere Armee ist nicht mehr Teil der Partei, sondern den Organen der Selbstverwaltung unterstellt.
Die Selbstverwaltungsorgane besorgen die Rekrutierung und kümmern sich um die Familien der KämpferInnen.
Das hat die Partei von einer gewaltigen organisatorischen Last befreit, so daß sie sich jetzt auf die ideologische
Ausbildung der Guerilla konzentrieren und dabei helfen kann, die Kämpfe zu verallgemeinern und ihnen eine politische
Führung zu geben.
Wie sieht es mit der Massenarbeit aus?
Harry: Die Revolution steht nicht gerade vor der Zerschlagung des reaktionären Staates. Wir müssen mit dem
Aufbau von Alternativen beginnen - wie den Organen der Volksmacht. Der Ausbau der Revolution bedeutet auch, den Boden
für die weiteren Schritte zu bearbeiten. Marxisten wie wir müssen ihre Arbeit mit der von
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Massenorganisationen und Kirchen kombinieren. Wir haben mit der Arbeit
anläßlich von Wahlen und Parlamentsarbeit begonnen.
Wir sind eine Untergrundpartei, so daß unsere KandidatInnen auf anderen, breiteren Listen stehen. Wir mobilisieren
auch die Unterstützung für fortschrittliche KandidatInnen außerhalb unserer Reihen. In Mindanao stellen
wir gemeinsame Listen mit einer Befreiungsfront der Moro [ethnische Gruppe auf Mindanao] auf. Seit den letzten Wahlen ist
es unseren VertreterInnen und parlamentarischen Kontakten gelungen, Entwicklungshilfe auf Regionen zu konzentrieren, wo
die Volksorganisationen stark sind und manchmal sogar auf Gemeinden, wo die lokale Regierung revolutionär ist.
Bisher hat sich diese Kombination von parlamentarischer mit nichtparlamentarischer Arbeit günstig auf die
fortdauernde Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung ausgewirkt.
Ricardo: Alternative Entwicklungsstrategien stehen im Mittelpunkt unseres Übergangsprogramms, d.h. der
Parteistrategie, konkrete Reformen mit Forderungen zu verbinden, die die Volksbewegungen weitertreiben. Die Regierung hat
ein offizielles Entwicklungsprogramm: "Philippinen 2000". Wir können dies nicht nur als ein neoliberales
Projekt denunzieren. Es ist nötig, Alternativen vorzuschlagen, die an die aktuellen Bedürfnisse der
Bevölkerung und an die vorhandenen Ressourcen angepaßt sind.
Alle Aspekte unserer revolutionären Arbeit müssen auf dieses Übergangsprogramm abgestimmt sein. Die
Landreform steht im Mittelpunkt unserer Vorschläge für eine vernünftige Landwirtschaft. Diese
Vorschläge sind insbesondere an die Organe der Volksmacht gerichtet oder an Organisationen, die die Armen auf dem
Land, wie die ArbeiterInnen in den Zucker- und Bananenplantagen, repräsentieren. Dort, wo wir stark sind, versuchen
wir, die Reformen auch durchzuführen. Gegenwärtig beraten wir uns mit den Massenbewegungen
darüber, was wir hinsichtlich der kommenden Wahlen und Verfassungsänderungen vorrangig behandeln
sollen.
Wo liegen eure gegenwärtig größten Erfolge?
Harry: Wir brauchten fünf Jahre, um unsere Fehler zu analysieren und uns vom maostalinistischen Gift zu befreien. Die
große Spaltung in der CPP war der Auftakt zu einem langen und schmerzvollen Prozeß des "Nachdenkens
und Wiederaneignens". Die Parteigliederungen arbeiteten in der Isolation. Bereits vor der Gründung der RWP
haben wir jedoch erkannt, daß wir alle den gleichen Prozeß durchgemacht haben. Die maostalinistische CPP ist
immer noch stark. In Mindanao sind wir mehr oder weniger von Gebieten eingeschlossen, die sie kontrolliert. Und sie ist uns
gegenüber sehr feindselig. Deshalb ist unsere bloße Existenz auch unser größter Erfolg.
Gegenwärtig legen wir die ideologische Basis für die neugegründete Arbeiterpartei. Dadurch haben wir
eine neue innere Stärke gewonnen. Obwohl der große Knall von 1992/93 uns teuer zu stehen kam, ist es
gelungen, die Strömung auszubauen, die den maostalinistischen Kurs ablehnt. Nach Jahren des Eingepferchtseins in
ein enges, dogmatisches Schema und eine antidemokratische politische Kultur, können wir heute unser eigenes Projekt
in einer offenen und lebendigen Atmosphäre bestimmen. Das ist außerordentlich erfrischend.
Was ist eure wichtigste Schwäche?
Ricardo: Wir sind immer noch dabei, das neue Bewußtsein, das wir erlangt haben, zu vertiefen und zu konsolidieren.
Wir müssen dieses Verständnis auf der Ebene der Parteikader verallgemeinern, und wir müssen die neuen
Ideen auf der Ebene der Massenbasis verbreiten. Die Umwandlung einer maoistischen Partei mit einer
dreißigjährigen Strategie des "langanhaltenden Volkskriegs" ist eine gewaltige Aufgabe.
Jona: Wir waren gewohnt, uns selbst als eine monolithische, hegemoniale Partei anzusehen, die als Kompaß für
die gesamte linke Bewegung fungierte. Aber heute stehen wir vor einer neuen Epoche der kommunistischen Bewegung auf
den Philippinen. Es gibt viele radikale und revolutionäre Organisationen, einige maoistische und einige, die uns
näher stehen. Es muß sich noch herausstellen, wie diese Gruppen zusammen arbeiten werden. Die CPP ist noch
die größte - obwohl es nach wie vor zu Abspaltungen kommt. Unter denen, die den maoistischen Kurs ablehnen,
sind wir dabei, von der Phase der Zersplitterung in die Phase der Neugruppierung zu gelangen.
Harry: Der Prozeß der Konsolidierung verläuft ziemlich ungleich. Wenn wir jetzt die Parteistrukturen stabilisiert
haben, müssen wir auf jeden Arbeitsbereich schauen. Wir müssen ein Netzwerk zwischen den GenossInnen der
verschiedenen Regionen schaffen und eine nationale Strategie ausarbeiten. In einigen Gebieten ist unsere Gewerkschaftsarbeit
gut entwickelt. In anderen, wie in Visaysas, stehen wir weniger gut da.
Die Schwächen der neuen Partei werden offenkundig, wenn wir versuchen, in den verschiedenenen Sektoren und
Regionen zu intervenieren. Wie Jona schon sagte, ist Pluralismus ein neues Phänomen in der philippinischen
kommunistischen Bewegung. Der Umgang mit diesem Pluralismus, inner- und außerhalb der neuen Partei, wird eine
große Herausforderung für uns sein. In der maoistischen Sichtweise waren die Bereichsorganisationen bloß
Transmissionsriemen für eine einheitliche Politik, die von oben angeordnet wurde. Aber jetzt haben wir zum Beispiel
drei verschiedene Jugendorganisationen der Partei, auf den drei wichtigen Inselgruppen. Wie können wir diese
Gruppen vereinigen? Werden sie eine Organisation oder nur eine lose Föderation bilden? Das sind neue, wichtige
Fragen.
Gibt es eine Generationskluft in der neuen Partei?
Jona: Ich glaube nicht. Es gibt in der revolutionären Bewegung ein kontinuierliches Moment. Der Sturz der Marcos-
Diktatur hat die Aufweichung einiger der faschistischen Elemente des Staates bedeutet. Aber die neuen Regierungen sind
nicht grundsätzlich anders. Es gab bspw. keinen radikalen Wechsel im Bildungswesen. Es gibt größeren
demokratischen Spielraum, aber die wesentlichen Probleme der Bevölkerung sind die gleichen. Deshalb gewinnen
kommunistische Gruppen ungebrochen neue Anhänger - trotz aller Änderungen.
Harry: Vielleicht gibt es eine Art Kluft zwischen den Generationen. Nach der Marco-Diktatur kehrten viele GenossInnen
begeistert zur legalen Arbeit zurück. Bei einigen entwickelte sich ein institutionelles Denken. Diejenigen, die in NGOs
arbeiteten, begannen sich immer mehr für ihre eigenen Karrieren zu interessieren. Die Dienstleistungen, die sie
sicherstellten, wurden zunehmend bürokratisiert. Einige konvertierten in die Mittelklasse. Andere ärgerten sich
über das Maß an Parteiarbeit, das wir von ihnen erwarteten. Manche entwickelten sogar eine "Anti-Partei-
Haltung".
Als die große Debatte über die Demokratie in der CPP ausbrach, ergriffen diese Leute die Chance, sich vom
politischen Aktivismus zu verabschieden. Sie lehnten die maostalinistische Orientierung ab, aber sie lehnten genauso alle
Alternativen ab, die von Strömungen wie unserer vorgebracht werden. In den letzten fünf Jahren haben viele der
zynischen oder desillusionierten Mitglieder die Partei verlassen. Wir hoffen, die neue Partei wird in der Lage sein, eine
ernsthaftere und besser koordinierte Intervention in den NGOs und auf der institutionellen Ebene sicher zu stellen. Aber wir
haben in diesem Prozeß sicherlich GenossInnen verloren.
Wie sind die Aussichten für eine breitere Kooperation in der Linken?
Harry: Die wesentliche Frage ist die innere Entwicklung der Partei. Können wir unsere eigene Organisation
öffnen und werden wir wirklich bereit sein, mit anderen zusammenzuarbeiten? Können wir es akzeptieren,
daß andere Gruppen in bestimmten Sektoren der Arbeit möglicherweise besser sind als wir? Bisher sind wir darin
erzogen, zu denken, wir wären die besten, und daß nur wir die korrekte politische Linie hätten. Wie kann
die Partei dabei umlernen? Das ist ein sehr schmerzhafter Prozeß.
Eine Anzahl äußerer Faktoren zwingt alle linken Gruppen, über eine engere Zusammenarbeit
nachzudenken. Keine von uns ist stark genug, auf sich allein gestellt hinsichtlich der Verfassungsversammlungen von 1999 zu
intervenieren. Wir werden zusammenarbeiten müssen, wenn wir die Regierung und ein neues Visiting-Forces-
Abkommen (VFA) stoppen wollen. Das VFA soll den USA erlauben, die Philippinen weiterhin als massiven
Militärstützpunkt für Interventionen in ganz Asien zu nutzen.
Auf Mindanao hat unser bewaffneter Flügel gute Beziehungen zur Moro-Befreiungsfront. Wir arbeiten in
bereichsübergreifenden Kampagnen zusammen. Sie erkennen schrittweise die Notwendigkeit der politischen
Massenarbeit neben dem bewaffneten Kampf, und wir helfen ihnen dabei. Wir verfolgen ebenso ein gemeinsames
Wahlprojekt.
Wie auch in anderen Ländern ist es oftmals leichter, auf breiterer Ebene in der Linken zusammenzuarbeiten als mit
anderen revolutionären Gruppen, die eine mit uns gemeinsame Vergangenheit in der CPP haben. Dabei gibt es alle
möglichen Arten von Irritationen und Hürden für eine engere Zusammenarbeit. Jedenfalls es ist uns
gelungen, vor unserer April-Konferenz einige Gruppen zu integrieren. Und jetzt, wo es uns gibt, müssen sich die
anderen Gruppen, die in der Phase vor einer Parteigründung verharren, entsprechend ausrichten.
Was hat euch zur IV.Internationale gebracht?
Harry: Als wir das maoistische Projekt verwarfen, war uns völlig bewußt, daß die Revolution nicht auf ein
Land beschränkt sein kann. Wir möchten uns fortschrittlichen und revolutionären Gruppen überall
in der Welt öffnen. Neben der IV.Internationale sehen wir aber keine andere Organisation, die diese notwendige Rolle
auf internationaler Ebene spielt.
Ricardo: Die Internationale besitzt den Erfahrungsreichtum von verschiedenen Ländern und Perioden. Wir
können in kurzer Zeit viel lernen, wenn wir an ihren Debatten und Schulungen teilnehmen. Die pluralistische Tradition
der Internationale hilft uns, den eigenen Blickwinkel zu verbreitern, und ist ein Gegenmittel zum "Einzig-wahren-Weg-
Denken", das gewöhnlich die CPP bestimmte.
Übersetzung und Bearbeitung: Thies Gleiss