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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 03 vom 04.02.1999, Seite 13

Neue Arbeiterpartei gegen alte Dogmen

Philippinen

Die Revolutionäre Arbeiterpartei der Philippinen (RWP) ist die größte Neubildung seit dem Auseinanderfallen der maoistischen Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) 1992/93. In den letzten fünf Jahren haben sich die Gruppen, von denen die neue Partei gebildet wurde, entscheidend von ihrer maostalinistischen Vergangenheit gelöst und einen dynamischen und pluralistischen Ansatzpunkt eines revolutionären Marxismus erschlossen, der für die Philippinen relativ neu ist.
  Auf ihrer Gründungskonferenz 1998 beschloß die neue Partei, den Status einer "ständigen Beobachterin" bei der IV.Internationale einzunehmen. In Amsterdam sprach Jean Dupont mit drei RWP- VertreterInnen: Harry von der nationalen Leitung, Ricardo vom nationalen Sekretariat und Jona von der regionalen Leitung in der Hauptstadt Manila.


Worin unterscheidet sich eure heutige revolutionäre Strategie von der maoistischen Vergangenheit?
  Jona: Zunächst einmal hatte in der Vergangenheit der bewaffnete Kampf alles andere bestimmt. Wir hatten ein rigides Konzept militärischer Kampfprojekte, das aus den Schriften Mao Zedongs zur chinesischen Revolution abgeschrieben war. Wir versuchten die politischen Entwicklungen in unser militärisches Schema zu pressen: Defensive, Pattsituation, Offensive und Revolution. Heute haben wir einen flexibleren strategischen Rahmen. Wir zwingen die politischen Abläufe nicht mehr in das militärische Konzept.
  Harry: Wir dachten, daß die Vergrößerung unserer militärischen Stärke in eine Vergrößerung unseres revolutionären Potentials hinüberwachsen würde. Heute haben wir erkannt, daß das Gegenteil richtig ist. Revolutionäre Entwicklungen hängen gerade nicht von bewaffneten Kräften ab. Es gibt viele Faktoren, die das Wachstum oder den Rückgang von revolutionärem Bewußtsein und Mobilisierung beeinflussen. Heute ist uns die Bedeutung von offenen Massenbewegungen, Wahlkampagnen und sogar Parlamentsarbeit bewußt. Sie variiert je nach Ort und Zeit. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Aufbau und die Festigung von Organen der politischen Macht der Unterdrückten, wie zum Beispiel die territoriale Selbstverwaltung der indigenen Völker auf Mindanao, wo unsere Guerilla operiert.
 
  Das muß für euren bewaffneten Flügel eine große Veränderung bedeutet haben...
  Harry: Unsere bewaffneten Kräfte (die Revolutionäre Proletarische Armee - RPA) spielen jetzt eine defensive Rolle. Sie machen politische Arbeit und verteidigen die Errungenschaften, die wir in den Gebieten gemacht haben, wo wir relativ stark sind. Früher unterstellten wir unsere politischen Interessen den militärischen Zielen. Wir griffen hauptsächlich an, um Waffen zu erbeuten, ohne Rücksicht auf die Folgen für die lokale Bevölkerung. Heute wählen wir unsere Ziele viel sorgfältiger aus. Es sind militärische Führer oder besonders reaktionäre Großgrundbesitzer.
  Jona: Unsere Truppen sind auf ihre neue Rolle genau eingestellt worden. Früher taten wir alles, um den Eindruck eines Bürgerkriegs zwischen der Regierung und dem Volk zu erwecken. Damals erklärten wir, daß unsere Armee ein Produkt der Massenbewegung wäre - doch das war sie nicht. In Wirklichkeit war der Hauptgrund für Rekrutierungen die Reaktion des Volkes auf das faschistische Regime. Das gibt es aber nicht mehr.
  Ricardo: Unser bewaffneter Arm wird umorganisiert und umorientiert. Wir versuchen, ihn zu konsolidieren. Wir möchten, daß die Armee der Massenbewegung dient und nicht andersherum.
  Harry: Je mehr wir allerdings die Selbstorganisation der unterdrückten Minderheiten ausbauen, desto mehr registrieren wir einen scharfen Rückgang der Bereitschaft, sich dem bewaffneten Flügel anzuschließen. Selbstverteidigung ist integraler Bestandteil des Aufbaus dieser neuen Organe der politischen Macht. Insbesondere, weil die Landfrage das zentrale Anliegen der indigenen Völker und armen Bauern ist. Und die Großgrundbesitzter und Kriegsherren haben alle ihre eigene Armee. Dazu kommt die Armee der Philippinen, die auch als private Armee für zahlungswillige Kapitalisten auf lokaler Ebene einsatzbereit ist.
  Wir verändern die Beziehung zwischen bewaffnetem Flügel, Partei und Massenorganisationen. Wenn wir die Organe der Volksmacht stärken, dann helfen wir dem Volk, alle Aspekte der Machtausübung zu berücksichtigen. Unsere Armee ist nicht mehr Teil der Partei, sondern den Organen der Selbstverwaltung unterstellt. Die Selbstverwaltungsorgane besorgen die Rekrutierung und kümmern sich um die Familien der KämpferInnen. Das hat die Partei von einer gewaltigen organisatorischen Last befreit, so daß sie sich jetzt auf die ideologische Ausbildung der Guerilla konzentrieren und dabei helfen kann, die Kämpfe zu verallgemeinern und ihnen eine politische Führung zu geben.
 
  Wie sieht es mit der Massenarbeit aus?
  Harry: Die Revolution steht nicht gerade vor der Zerschlagung des reaktionären Staates. Wir müssen mit dem Aufbau von Alternativen beginnen - wie den Organen der Volksmacht. Der Ausbau der Revolution bedeutet auch, den Boden für die weiteren Schritte zu bearbeiten. Marxisten wie wir müssen ihre Arbeit mit der von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Massenorganisationen und Kirchen kombinieren. Wir haben mit der Arbeit anläßlich von Wahlen und Parlamentsarbeit begonnen.
  Wir sind eine Untergrundpartei, so daß unsere KandidatInnen auf anderen, breiteren Listen stehen. Wir mobilisieren auch die Unterstützung für fortschrittliche KandidatInnen außerhalb unserer Reihen. In Mindanao stellen wir gemeinsame Listen mit einer Befreiungsfront der Moro [ethnische Gruppe auf Mindanao] auf. Seit den letzten Wahlen ist es unseren VertreterInnen und parlamentarischen Kontakten gelungen, Entwicklungshilfe auf Regionen zu konzentrieren, wo die Volksorganisationen stark sind und manchmal sogar auf Gemeinden, wo die lokale Regierung revolutionär ist. Bisher hat sich diese Kombination von parlamentarischer mit nichtparlamentarischer Arbeit günstig auf die fortdauernde Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung ausgewirkt.
  Ricardo: Alternative Entwicklungsstrategien stehen im Mittelpunkt unseres Übergangsprogramms, d.h. der Parteistrategie, konkrete Reformen mit Forderungen zu verbinden, die die Volksbewegungen weitertreiben. Die Regierung hat ein offizielles Entwicklungsprogramm: "Philippinen 2000". Wir können dies nicht nur als ein neoliberales Projekt denunzieren. Es ist nötig, Alternativen vorzuschlagen, die an die aktuellen Bedürfnisse der Bevölkerung und an die vorhandenen Ressourcen angepaßt sind.
  Alle Aspekte unserer revolutionären Arbeit müssen auf dieses Übergangsprogramm abgestimmt sein. Die Landreform steht im Mittelpunkt unserer Vorschläge für eine vernünftige Landwirtschaft. Diese Vorschläge sind insbesondere an die Organe der Volksmacht gerichtet oder an Organisationen, die die Armen auf dem Land, wie die ArbeiterInnen in den Zucker- und Bananenplantagen, repräsentieren. Dort, wo wir stark sind, versuchen wir, die Reformen auch durchzuführen. Gegenwärtig beraten wir uns mit den Massenbewegungen darüber, was wir hinsichtlich der kommenden Wahlen und Verfassungsänderungen vorrangig behandeln sollen.
 
  Wo liegen eure gegenwärtig größten Erfolge?
  Harry: Wir brauchten fünf Jahre, um unsere Fehler zu analysieren und uns vom maostalinistischen Gift zu befreien. Die große Spaltung in der CPP war der Auftakt zu einem langen und schmerzvollen Prozeß des "Nachdenkens und Wiederaneignens". Die Parteigliederungen arbeiteten in der Isolation. Bereits vor der Gründung der RWP haben wir jedoch erkannt, daß wir alle den gleichen Prozeß durchgemacht haben. Die maostalinistische CPP ist immer noch stark. In Mindanao sind wir mehr oder weniger von Gebieten eingeschlossen, die sie kontrolliert. Und sie ist uns gegenüber sehr feindselig. Deshalb ist unsere bloße Existenz auch unser größter Erfolg.
  Gegenwärtig legen wir die ideologische Basis für die neugegründete Arbeiterpartei. Dadurch haben wir eine neue innere Stärke gewonnen. Obwohl der große Knall von 1992/93 uns teuer zu stehen kam, ist es gelungen, die Strömung auszubauen, die den maostalinistischen Kurs ablehnt. Nach Jahren des Eingepferchtseins in ein enges, dogmatisches Schema und eine antidemokratische politische Kultur, können wir heute unser eigenes Projekt in einer offenen und lebendigen Atmosphäre bestimmen. Das ist außerordentlich erfrischend.
 
  Was ist eure wichtigste Schwäche?
  Ricardo: Wir sind immer noch dabei, das neue Bewußtsein, das wir erlangt haben, zu vertiefen und zu konsolidieren. Wir müssen dieses Verständnis auf der Ebene der Parteikader verallgemeinern, und wir müssen die neuen Ideen auf der Ebene der Massenbasis verbreiten. Die Umwandlung einer maoistischen Partei mit einer dreißigjährigen Strategie des "langanhaltenden Volkskriegs" ist eine gewaltige Aufgabe.
  Jona: Wir waren gewohnt, uns selbst als eine monolithische, hegemoniale Partei anzusehen, die als Kompaß für die gesamte linke Bewegung fungierte. Aber heute stehen wir vor einer neuen Epoche der kommunistischen Bewegung auf den Philippinen. Es gibt viele radikale und revolutionäre Organisationen, einige maoistische und einige, die uns näher stehen. Es muß sich noch herausstellen, wie diese Gruppen zusammen arbeiten werden. Die CPP ist noch die größte - obwohl es nach wie vor zu Abspaltungen kommt. Unter denen, die den maoistischen Kurs ablehnen, sind wir dabei, von der Phase der Zersplitterung in die Phase der Neugruppierung zu gelangen.
  Harry: Der Prozeß der Konsolidierung verläuft ziemlich ungleich. Wenn wir jetzt die Parteistrukturen stabilisiert haben, müssen wir auf jeden Arbeitsbereich schauen. Wir müssen ein Netzwerk zwischen den GenossInnen der verschiedenen Regionen schaffen und eine nationale Strategie ausarbeiten. In einigen Gebieten ist unsere Gewerkschaftsarbeit gut entwickelt. In anderen, wie in Visaysas, stehen wir weniger gut da.
  Die Schwächen der neuen Partei werden offenkundig, wenn wir versuchen, in den verschiedenenen Sektoren und Regionen zu intervenieren. Wie Jona schon sagte, ist Pluralismus ein neues Phänomen in der philippinischen kommunistischen Bewegung. Der Umgang mit diesem Pluralismus, inner- und außerhalb der neuen Partei, wird eine große Herausforderung für uns sein. In der maoistischen Sichtweise waren die Bereichsorganisationen bloß Transmissionsriemen für eine einheitliche Politik, die von oben angeordnet wurde. Aber jetzt haben wir zum Beispiel drei verschiedene Jugendorganisationen der Partei, auf den drei wichtigen Inselgruppen. Wie können wir diese Gruppen vereinigen? Werden sie eine Organisation oder nur eine lose Föderation bilden? Das sind neue, wichtige Fragen.
 
  Gibt es eine Generationskluft in der neuen Partei?
  Jona: Ich glaube nicht. Es gibt in der revolutionären Bewegung ein kontinuierliches Moment. Der Sturz der Marcos- Diktatur hat die Aufweichung einiger der faschistischen Elemente des Staates bedeutet. Aber die neuen Regierungen sind nicht grundsätzlich anders. Es gab bspw. keinen radikalen Wechsel im Bildungswesen. Es gibt größeren demokratischen Spielraum, aber die wesentlichen Probleme der Bevölkerung sind die gleichen. Deshalb gewinnen kommunistische Gruppen ungebrochen neue Anhänger - trotz aller Änderungen.
  Harry: Vielleicht gibt es eine Art Kluft zwischen den Generationen. Nach der Marco-Diktatur kehrten viele GenossInnen begeistert zur legalen Arbeit zurück. Bei einigen entwickelte sich ein institutionelles Denken. Diejenigen, die in NGOs arbeiteten, begannen sich immer mehr für ihre eigenen Karrieren zu interessieren. Die Dienstleistungen, die sie sicherstellten, wurden zunehmend bürokratisiert. Einige konvertierten in die Mittelklasse. Andere ärgerten sich über das Maß an Parteiarbeit, das wir von ihnen erwarteten. Manche entwickelten sogar eine "Anti-Partei- Haltung".
  Als die große Debatte über die Demokratie in der CPP ausbrach, ergriffen diese Leute die Chance, sich vom politischen Aktivismus zu verabschieden. Sie lehnten die maostalinistische Orientierung ab, aber sie lehnten genauso alle Alternativen ab, die von Strömungen wie unserer vorgebracht werden. In den letzten fünf Jahren haben viele der zynischen oder desillusionierten Mitglieder die Partei verlassen. Wir hoffen, die neue Partei wird in der Lage sein, eine ernsthaftere und besser koordinierte Intervention in den NGOs und auf der institutionellen Ebene sicher zu stellen. Aber wir haben in diesem Prozeß sicherlich GenossInnen verloren.
 
  Wie sind die Aussichten für eine breitere Kooperation in der Linken?
  Harry: Die wesentliche Frage ist die innere Entwicklung der Partei. Können wir unsere eigene Organisation öffnen und werden wir wirklich bereit sein, mit anderen zusammenzuarbeiten? Können wir es akzeptieren, daß andere Gruppen in bestimmten Sektoren der Arbeit möglicherweise besser sind als wir? Bisher sind wir darin erzogen, zu denken, wir wären die besten, und daß nur wir die korrekte politische Linie hätten. Wie kann die Partei dabei umlernen? Das ist ein sehr schmerzhafter Prozeß.
  Eine Anzahl äußerer Faktoren zwingt alle linken Gruppen, über eine engere Zusammenarbeit nachzudenken. Keine von uns ist stark genug, auf sich allein gestellt hinsichtlich der Verfassungsversammlungen von 1999 zu intervenieren. Wir werden zusammenarbeiten müssen, wenn wir die Regierung und ein neues Visiting-Forces- Abkommen (VFA) stoppen wollen. Das VFA soll den USA erlauben, die Philippinen weiterhin als massiven Militärstützpunkt für Interventionen in ganz Asien zu nutzen.
  Auf Mindanao hat unser bewaffneter Flügel gute Beziehungen zur Moro-Befreiungsfront. Wir arbeiten in bereichsübergreifenden Kampagnen zusammen. Sie erkennen schrittweise die Notwendigkeit der politischen Massenarbeit neben dem bewaffneten Kampf, und wir helfen ihnen dabei. Wir verfolgen ebenso ein gemeinsames Wahlprojekt.
  Wie auch in anderen Ländern ist es oftmals leichter, auf breiterer Ebene in der Linken zusammenzuarbeiten als mit anderen revolutionären Gruppen, die eine mit uns gemeinsame Vergangenheit in der CPP haben. Dabei gibt es alle möglichen Arten von Irritationen und Hürden für eine engere Zusammenarbeit. Jedenfalls es ist uns gelungen, vor unserer April-Konferenz einige Gruppen zu integrieren. Und jetzt, wo es uns gibt, müssen sich die anderen Gruppen, die in der Phase vor einer Parteigründung verharren, entsprechend ausrichten.
 
  Was hat euch zur IV.Internationale gebracht?
  Harry: Als wir das maoistische Projekt verwarfen, war uns völlig bewußt, daß die Revolution nicht auf ein Land beschränkt sein kann. Wir möchten uns fortschrittlichen und revolutionären Gruppen überall in der Welt öffnen. Neben der IV.Internationale sehen wir aber keine andere Organisation, die diese notwendige Rolle auf internationaler Ebene spielt.
  Ricardo: Die Internationale besitzt den Erfahrungsreichtum von verschiedenen Ländern und Perioden. Wir können in kurzer Zeit viel lernen, wenn wir an ihren Debatten und Schulungen teilnehmen. Die pluralistische Tradition der Internationale hilft uns, den eigenen Blickwinkel zu verbreitern, und ist ein Gegenmittel zum "Einzig-wahren-Weg- Denken", das gewöhnlich die CPP bestimmte.
Übersetzung und Bearbeitung: Thies Gleiss