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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 1

Schlag ins Kontor

Die Hessenwahl und ihre Auswirkungen auf Bonn

Nach dem Ergebnis der Hessenwahl wird man sich endlich einmal Gedanken über die Verläßlichkeit von Umfragen machen müssen. Diese sahen lange Zeit Rot-Grün weit vorn - man sprach schon von einem "Schlafwagensieg" -, erst gegen Schluß hin wurde von einem Aufholen der CDU berichtet.
  Auch vor der Bundestagswahl 1998 gab es solche Merkwürdigkeiten, da war in den letzten Wochen vor dem 27.September von einem Kopf-an-Kopf-Rennen die Rede. Im Resultat fand sich davon nichts.
  Im Fall Hessen ist denkbar, daß die Dynamisierung, die mit der CDU- Unterschriftenaktion kurzfristig in Gang kam, in Umfragen nicht mehr richtig erfaßt werden konnte. Man wird aber nach den bisherigen Erfahrungen auch mutmaßen können, daß solche Erhebungen ihrerseits eher zum Input gehören, der auf die WählerInnen einwirkt, als daß sie Verläßliches über den zu erwartenden Output sagen können.
  Im nachhinein achtet man auf Vorzeichen, die zunächst übersehen wurden. Eine Woche vor der Landtagswahl hätte die SPD in Darmstadt, wo sie seit 1945 den Oberbürgermeister stellt, um ein Haar dieses Amt verloren. Da lief die Unterschriftenkampagne der CDU schon.
  Die Erklärungen, mit denen Rot-Grün sich das Weltbild nach der Wahl zurechtrücken will, taugen nicht sehr viel. Zum Beispiel ist viel von den Personalpeinlichkeiten im hessischen Umweltministerium die Rede. Nun weiß man aber schon lange, daß Skandale nur dort wirksam werden, wo eine Sache auch politisch längst diskreditiert ist. Tatsächlich wirkte seit einiger Zeit der Treibsatz, der seit 1982 die Grünen nach oben gebracht hatte, in der umgekehrten Richtung. Ihre ersten Erfolge in diesem Land verdankten sie dem Kampf gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens. Dann saßen sie in einer Regierung, die eine neue Landepiste plante. Die SPD war sich hierin mit CDU und FDP einig und deutete Ende 1998 an, notfalls müsse es dann ohne die Grünen gehen. Die hielten das Thema sorgfältig aus dem Wahlkampf heraus, und in dieser Hinsicht wußte ihr Publikum dann nicht mehr so recht, weshalb es überhaupt für sie stimmen sollte.
  Richtig ist, daß die Unterschriftenkampagne der CDU entscheidend zu Kochs Sieg beitrug. Das Lamentieren der Grünen darüber ist aber wehleidig, die Kritik der SPD heuchlerisch. Wer sich darüber wundert, daß die Union auch gern einmal faschistische Potentiale zündet, hat sich in der Vergangenheit wohl einige Halbheiten über die Zivilgesellschaft in die Tasche gelogen. Und die SPD sieht gern über die Tatsache hinweg, daß mitten im Wahlkampf hessische Sozialdemokraten scharenweise den CDU-Aufruf unterschrieben haben.
  Daß mit Hans Eichel ein vollständig antidemagogischer Politiker abgewählt wurde, ist dennoch schade. Charisma ist das Opium dieses Gewerbes. Eichels Nachfolger fehlt es (aus anderen Gründen) zum Glück ebenso wie einst Kohl. Allerdings läßt es sich im Bedarfsfall okulieren. Hitler hatte es ursprünglich ja auch nicht gehabt.
  Der Wahlsieger innerhalb der Koalition in Bonn ist Schröder. Auf die Grünen braucht er nun noch weniger Rücksicht zu nehmen als bisher. Aber auch der eigenen Partei kann er viel lauter seine Lieblingsbotschaft übermitteln: daß sie ihm den Buckel runterrutschen könne. Jetzt gibt es nämlich eine CDU-Mehrheit im Bundesrat, und der Kanzler wird sich darauf berufen, daß er hier moderieren müsse.
  In der Staatsbürgerschaftsfrage wird er einen Kompromiß suchen, den auch die CDU/CSU mitträgt. Er wird sich dabei zunächst an dem Vorschlag der SPD-FDP-Regierung in Mainz orientieren. Auch in der hessischen Flughafenangelegenheit hatten die Sozialdemokraten schon einmal signalisiert, sie könnten hier mit den Liberalen besser als mit den Grünen. Diese Koketterie soll wohl einen Partnerwechsel vorstellbar machen - aber nur vielleicht und irgendwann, denn die Umstände sind noch längst nicht so.
  Beim Abschied vom Doppelpaß wird auch Schily die neuen Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer als Argument benutzen. Sehr ehrlich ist das nicht. Wäre nämlich die SPD bereit, nach der Landtagswahl in Thüringen mit der PDS zu koalieren (oder gar in Berlin mit dieser Partei und den Grünen zusammenzugehen), dann gäbe es auch im Bundesrat wieder eine Mehrheit für den Doppelpaß.
  Stimmt auch wieder nicht so ganz. Denn anläßlich der CDU-Kampagne sahen sich Lafontaine und Schily genötigt, ins Innere der eigenen Partei zu blicken. Da entdeckten sie viele Volksgenossen, auf die sie jetzt wohl Rücksicht nehmen werden. Die waren aber immer schon da und werden in Zukunft etwas deutlicher ihre Meinung sagen: daß diese ganze Sache mit Rot-Grün in ihren Augen von vornherein nur eine Mogelpackung gewesen ist. In den Wahlkämpfen von Thüringen und Berlin (und auch anderswo) wird die SPD-Führung verhindern wollen, daß ihre Stimmen an die CDU gehen. Die wird ihre Anti-Ausländer-Kampagne, bereichert um die Warnung vor Rot- Rot, nämlich fortsetzen.
  Georg Fülberth
 


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