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Nach dem Ergebnis der Hessenwahl wird man sich
endlich einmal Gedanken über die Verläßlichkeit von Umfragen
machen müssen. Diese sahen lange Zeit Rot-Grün weit vorn - man sprach
schon von einem "Schlafwagensieg" -, erst gegen Schluß hin wurde
von einem Aufholen der CDU berichtet.
Auch vor der Bundestagswahl 1998 gab es solche Merkwürdigkeiten, da war in
den letzten Wochen vor dem 27.September von einem Kopf-an-Kopf-Rennen die Rede.
Im Resultat fand sich davon nichts.
Im Fall Hessen ist denkbar, daß die Dynamisierung, die mit der CDU-
Unterschriftenaktion kurzfristig in Gang kam, in Umfragen nicht mehr richtig
erfaßt werden konnte. Man wird aber nach den bisherigen Erfahrungen auch
mutmaßen können, daß solche Erhebungen ihrerseits eher zum Input
gehören, der auf die WählerInnen einwirkt, als daß sie
Verläßliches über den zu erwartenden Output sagen
können.
Im nachhinein achtet man auf Vorzeichen, die zunächst übersehen
wurden. Eine Woche vor der Landtagswahl hätte die SPD in Darmstadt, wo sie
seit 1945 den Oberbürgermeister stellt, um ein Haar dieses Amt verloren. Da lief
die Unterschriftenkampagne der CDU schon.
Die Erklärungen, mit denen Rot-Grün sich das Weltbild nach der Wahl
zurechtrücken will, taugen nicht sehr viel. Zum Beispiel ist viel von den
Personalpeinlichkeiten im hessischen Umweltministerium die Rede. Nun weiß
man aber schon lange, daß Skandale nur dort wirksam werden, wo eine Sache
auch politisch längst diskreditiert ist. Tatsächlich wirkte seit einiger Zeit
der Treibsatz, der seit 1982 die Grünen nach oben gebracht hatte, in der
umgekehrten Richtung. Ihre ersten Erfolge in diesem Land verdankten sie dem Kampf
gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens. Dann saßen sie in einer
Regierung, die eine neue Landepiste plante. Die SPD war sich hierin mit CDU und
FDP einig und deutete Ende 1998 an, notfalls müsse es dann ohne die
Grünen gehen. Die hielten das Thema sorgfältig aus dem Wahlkampf
heraus, und in dieser Hinsicht wußte ihr Publikum dann nicht mehr so recht,
weshalb es überhaupt für sie stimmen sollte.
Richtig ist, daß die Unterschriftenkampagne der CDU entscheidend zu Kochs
Sieg beitrug. Das Lamentieren der Grünen darüber ist aber wehleidig, die
Kritik der SPD heuchlerisch. Wer sich darüber wundert, daß die Union
auch gern einmal faschistische Potentiale zündet, hat sich in der Vergangenheit
wohl einige Halbheiten über die Zivilgesellschaft in die Tasche gelogen. Und die
SPD sieht gern über die Tatsache hinweg, daß mitten im Wahlkampf
hessische Sozialdemokraten scharenweise den CDU-Aufruf unterschrieben haben.
Daß mit Hans Eichel ein vollständig antidemagogischer Politiker
abgewählt wurde, ist dennoch schade. Charisma ist das Opium dieses Gewerbes.
Eichels Nachfolger fehlt es (aus anderen Gründen) zum Glück ebenso wie
einst Kohl. Allerdings läßt es sich im Bedarfsfall okulieren. Hitler hatte es
ursprünglich ja auch nicht gehabt.
Der Wahlsieger innerhalb der Koalition in Bonn ist Schröder. Auf die
Grünen braucht er nun noch weniger Rücksicht zu nehmen als bisher.
Aber auch der eigenen Partei kann er viel lauter seine Lieblingsbotschaft
übermitteln: daß sie ihm den Buckel runterrutschen könne. Jetzt gibt
es nämlich eine CDU-Mehrheit im Bundesrat, und der Kanzler wird sich darauf
berufen, daß er hier moderieren müsse.
In der Staatsbürgerschaftsfrage wird er einen Kompromiß suchen, den
auch die CDU/CSU mitträgt. Er wird sich dabei zunächst an dem
Vorschlag der SPD-FDP-Regierung in Mainz orientieren. Auch in der hessischen
Flughafenangelegenheit hatten die Sozialdemokraten schon einmal signalisiert, sie
könnten hier mit den Liberalen besser als mit den Grünen. Diese
Koketterie soll wohl einen Partnerwechsel vorstellbar machen - aber nur vielleicht und
irgendwann, denn die Umstände sind noch längst nicht so.
Beim Abschied vom Doppelpaß wird auch Schily die neuen
Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer als Argument benutzen. Sehr
ehrlich ist das nicht. Wäre nämlich die SPD bereit, nach der Landtagswahl
in Thüringen mit der PDS zu koalieren (oder gar in Berlin mit dieser Partei und
den Grünen zusammenzugehen), dann gäbe es auch im Bundesrat wieder
eine Mehrheit für den Doppelpaß.
Stimmt auch wieder nicht so ganz. Denn anläßlich der CDU-Kampagne
sahen sich Lafontaine und Schily genötigt, ins Innere der eigenen Partei zu
blicken. Da entdeckten sie viele Volksgenossen, auf die sie jetzt wohl Rücksicht
nehmen werden. Die waren aber immer schon da und werden in Zukunft etwas
deutlicher ihre Meinung sagen: daß diese ganze Sache mit Rot-Grün in
ihren Augen von vornherein nur eine Mogelpackung gewesen ist. In den
Wahlkämpfen von Thüringen und Berlin (und auch anderswo) wird die
SPD-Führung verhindern wollen, daß ihre Stimmen an die CDU gehen.
Die wird ihre Anti-Ausländer-Kampagne, bereichert um die Warnung vor Rot-
Rot, nämlich fortsetzen.
Georg Fülberth