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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 2

Irreale Lösungen für ein reales Problem

von JAKOB MONETA

Die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen führt den unerwartet hohen Erfolg der CDU bei der hessischen Landtagswahl auf die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft in Verbindung mit der 100- Tage-Bilanz der Bundesregierung zurück.
  Die CDU gewann 43,3% der Stimmen, holte bei Arbeitern 10 Prozentpunkte mehr, bei Arbeitslosen 6% und bei den unter 30jährigen 10%. Im letztgenannten Segment fielen die Grünen von 22% auf 12%. Die SPD, die 39,4% erhielt, konnte Verluste an die CDU durch 75.000 Stimmen, die sie von den Grünen holte, mehr als wettmachen.
  Wie haben Gewerkschaftsmitglieder gewählt? Von ihnen erhielt die CDU nur 26% der Stimmen, die SPD mit 56% eine satte Mehrheit. 9% unter ihnen haben sogar die Grünen gewählt, obwohl deren Stimmenanteil insgesamt nur bei 7,2% lag. Die FDP erhielt von Gewerkschaftsmitgliedern nur 2%, die "Republikaner" mit 4% jedoch erheblich mehr, als ihrem Gesamtanteil von 2,7% entsprach.
  Wieso war es möglich, daß Menschen, die bei allen Umfragen angaben, die Arbeitslosigkeit sei für sie das wichtigste Thema (über 60%!), die Schulpolitik das zweitwichtigste, letzten Endes ihre Stimme denen gaben, die mit ihrer Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Fremdenfeindlichkeit mobilisieren? In den Umfragen hatten sich allerdings 61% gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ausgesprochen, unter ungelernten Arbeitern sogar 82%!
  Ein Blick auf die Ergebnisse der hessischen Landtagswahlen in der Weimarer Republik wirkt hier erhellend. Im November 1927 wurden 27 Landtagsabgeordnete der SPD, 13 vom katholischen Zentrum und 6 von der KPD gewählt - kein einziger Nazi. Im November 1931, nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, erhielt die SPD 15 Sitze, KPD und Zentrum je 10, und die Nazis zogen - dank des latent vorhandenen Antisemitismus, der von ihnen mobilisiert wurde - mit 27 Abgeordneten in den Landtag ein. Wenn lebenswichtige Probleme real nicht gelöst werden, schafft dies Platz für "irreale Lösungen", die latent vorhandene Haßgefühle mobilisieren und politisch legitimieren. Wurden damals die "Juden" zum Sündenbock gemacht, so heute die "Ausländer".
  Die "rot"-grüne Niederlage in Hessen hätte vielleicht vermieden werden können, wenn SPD und Grüne besser zugehört hätten, als der DGB-Kreisvorsitzende Harald Fiedler auf dem Neujahrsempfang 1999 sagte, das Wahlergebnis vom September 1998 habe Hoffnungen auf eine soziale und gerechte Politik geweckt, die allen Menschen wieder eine Zukunft gibt und insbesondere die Arbeitslosen nicht links liegen läßt. Man solle sich vom Geschrei der Unternehmer nicht vom richtigen Weg abbringen lassen. Es müsse überdies aufschrecken, wenn der Anteil der Studierenden aus einem Elternhaus mit geringem Einkommen nur noch 8% betrage, der Anteil von Studierenden aus hohen und höheren Einkommensschichten hingegen 72% ausmache.
  Nach der Wahlniederlage erklärte der abgewählte SPD- Ministerpräsident Hans Eichel, man hätte doch lieber das Thema "soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen" sollen. Der Grüne Rupert von Plottnitz entdeckte, man hätte sich mehr um die Bildungspolitik kümmern müssen. Aber Hans Eichel hat sich stolz an der Seite von Managern gezeigt, die für Massenentlassungen verantwortlich sind; auf den Massendemonstrationen der IG Metall wurde er nicht gesehen. Die Grünen, die ehemals auf ihre außerparlamentarischen Aktionen so stolz waren, zeigten sich ebenfalls nicht, als Schüler und Studierende massenhaft für eine andere Bildungspolitik auf die Straße gingen.
 


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