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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 2

Interview mit Daniel Kreutz

"Die Karrieros kommen"

Seit "Rot"-Grün auch in Bonn im Amt ist, sind die wenigen verbliebenen Linken in den Grünen der Wind massiv unter Beschuß gekommen.
Wird‘s für euch jetzt ungemütlich?
  Rot-Grün im Bund verschafft der grünen Linken in NRW jede Menge Déjþ-vu-Erlebnisse: Der Bruch von Koalitionsvereinbarungen und das einseitige Faktenschaffen durch die neoliberal dominierte SPD-Führung wird von den als "Realos" bekannten grünen Neoliberalen gegen grüne Politikziele gewendet. Widerstandsloses Wegducken wird mit "mangelndem Realismus" bisheriger eigener Positionen begründet, machtpolitischer Druck zum Sachzwang und herbe Niederlagen zum "Teilerfolg" umgedeutet. Regierungsfähigkeit hat sich an der Bereitschaft zur Irreführung der eigenen Partei und Wählerschaft zu erweisen. Politische Auseinandersetzungen, die eigentlich in die SPD hineingehören, zumindest aber zwischen den Koalitionspartnern auszutragen wären, werden in den eigenen Laden geholt.
  Die Grünen versprachen den Politikwechsel. Sind sie jetzt nicht eher Teil einer entgegengesetzten Entwicklung?
  Die ausgehandelte "Reform" bei den 630-DM-Jobs hätte der alten Regierung gut zu Gesicht gestanden: Die Kontinuität am deregulierten Arbeitsmarkt wird ergänzt um den Bruch des grundlegenden Prinzips der Sozialversicherung, daß Beiträgen auch Leistungsansprüche gegenüberzustehen haben. Als Werbegeschenk fürs Mitmachen im "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" versprach man den Arbeitgebern vorab das Vorziehen der Unternehmensteuersenkung, während die alten Repressionsgesetze gegen Erwerbslose und Sozialhilfeberechtigte vorerst unangetastet bleiben. Der "unumkehrbare" Atomausstieg droht - läßt die Anti-AKW-Bewegung die Koalition so weiterwursteln -, sich zur grün-garantierten Fortsetzung der Atommüllproduktion zu wenden. Die Ökosteuer verkommt zur bloßen Abkassiererei bei den kleinen Leuten und vertieft die dramatische Schieflage bei der Verteilung von Einkommen und Lasten. Der Vizekanzler einer vormals als "pazifistisch" geltenden Partei läßt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, mit deutschen Soldaten Krieg zu führen - natürlich für den "Frieden" und am liebsten nach Recht und Gesetz, versteht sich. Als Antwort auf die rassistische Offensive gegen den halbherzigen Entwurf zur doppelten Staatsbürgerschaft (Arme müssen draußen bleiben) tritt man den Rückzug an. Was Wunder, daß nicht nur in Hessen viele treue Grün-WählerInnen sich längst fragen, ob sie ihre Stimme nicht lieber behalten oder anderweitig verwenden?
 
  Glaubst du, die Grünen verändern ihr Programm?
  Die "Realos" in NRW haben ein programmatisches Grundsatzpapier auf den Markt gebracht, das einer Öko-FDP würdig ist: Die Wettbewerbsfähigkeit "unserer" Wirtschaft soll grünes Politikziel werden; der Wirtschaftsliberalismus wird ökologisch akzentuiert, auf dieser Basis sollen Mehrheiten in der berüchtigten "Mitte" gesucht werden. Zu den UnterzeichnerInnen zählen auch die Bundestagsabgeordneten Michael Hustädt und Reinhard Loske, der gerade entdeckte, ein schneller Atomausstieg gefährde den Klimaschutz.
  Das Managermagazin hat die "FDP-light" bereits willkommen geheißen. Einige PolitikerInnen der Grünen haben sich schon in der Geburtsstunde von Rot-Grün für eine stärkere Senkung der Spitzensteuersätze eingesetzt. Daß Arbeit billiger werden muß, gilt längst als offizielle Parteilinie in der Beschäftigungspolitik. Auf die aus der Not geborene Streikdrohung der IG Metall antworteten die grünen MdBs Margareta Wolf und Thea Dückert konsequent mit der Infragestellung der Tarifautonomie.
 
  Wie sieht es an der Basis aus?
  In Mitgliedschaft und Funktionärskörper der Partei ist der Austausch voll im Gange. Alte KämpferInnen ziehen sich resigniert und still zurück; mit ihnen verschwindet politisches Bewußtsein. Über kommunale Mandate und hauptamtliche Funktionen kommen die "Karrieros". Sie wollen vor allem eins: als Fettauge oben schwimmen. Programme sind ihnen nur Mittel zum Zweck. Trotzdem ist nicht zu übersehen, daß die Partei immer noch ein nicht unerhebliches Potential an Menschen bindet, die sich dem sozialen und ökologischen Gesellschaftsumbau ehrlich verpflichtet fühlen.
 
  Wie reagiert die Parteilinke. Hat sie noch eine Perspektive?
  Die offiziöse Parteilinke auf Bundesebene führt ein artig-domestiziertes business as usual vor. Dazu gehört, daß man hie und da ein bißchen mault; aber bloß nicht zu laut, es könnte ja Streit geben. Wie die grüne Regierungslinke in NRW scheint der Großteil entschlossen, im Block mit den "Realos" den Schröders und Hombachs als Fußabtreter zu dienen.
  Nach meiner Meinung liegt die einzige realistische Chance der grünen Linken darin, sich unter dem grünen Parteidach auf der Grundlage einer eigenen programmatischen Identität selber zu organisieren, um nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wieder selbständig handlungsfähig zu werden. Die größte Chance, die der Regierungswechsel eröffnet hat, liegt ja darin, daß diese Regierung wieder empfindlich ist für fortschrittlichen Druck von unten. Das nutzbar zu machen, sollte von der Linken als gemeinsame, parteiübergreifende Hauptaufgabe begriffen werden. Die grüne Linke kann hier wichtige Beiträge leisten. Die dazu notwendige Energie muß abgezogen werden von Bemühungen, im Interesse einer fiktiven "Mehrheitsfähigkeit" den eigenen Neolibs hinterherzulaufen oder in der Partei etwas "werden" zu wollen.
 
  Daniel Kreutz ist Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen und Mitglied des Koalitionsausschusses.
 


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