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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 3

Agenda 2000

Weltmarkt für die Agrarindustrie

Bundeskanzler Gerhard Schröder will die Nettozahlungen Deutschlands an die EU verringern. Frankreich lehnt einen möglichen Ausgleich durch eine Kofinanzierung des EU-Agrarhaushalts aus den nationalen Etats kategorisch ab. Doch in einem Punkt sind sich die französische und deutsche Regierung in bezug auf die Agenda 2000 längst einig: im Interesse der "internationalen Wettbewerbsfähigkeit" wollen sie die garantierten Preise für Agrarprodukte bis zu 30 Prozent runterfahren.
  Obwohl die Agenda 2000 im Gegenzug direkte Einkommensbeihilfen für insgesamt 8 Millionen Landwirte in Europa verspricht, haben bereits am 10.Februar 2000 französische und deutsche Bauern in Straßburg protestiert. Zum Agrarministertreffen am 22.Februar in Brüssel rechnet der Deutsche Bauernverband mit 40.000 Teilnehmern einer Protestveranstaltung gegen die Preissenkungen der EU. Sollte es zu Subventionskürzungen kommen, so ein französischer Sprecher der Bauernorganisation FDSEA, würde das "eine Welle von Zorn auf dem Lande" hervorrufen.
  In Europa wird die Agenda 2000 langfristig vor allem für die kleinen Landwirte unangenehme Konsequenzen haben. Trotz der Subventionspolitik sind in der EU in den letzten 20 Jahren 6,1 Millionen Arbeitsplätze im Agrarbereich abgebaut worden. Von den produktionsgebundenen Exportzuschüssen der EU, z.B. für Butter und Trockenmilchpulver, haben vor allem Molkereien, verarbeitende Industrie, Händler und indirekt die stark durchrationalisierten Betriebe der intensiven Massentierhaltung profitiert.
  Die Neuordnung der Milchpolitik wird als einer der wichtigsten Bestandteile der Agrarreform angesehen und schon seit zwei Jahren von den Bauernverbänden kritisch beobachtet und diskutiert. Im Gegenzug zur Absenkung der Mindestpreise um 15 Prozent bis ins Jahr 2006 will Franz Fischler, EU-Agrarkommissar, die EU-weit festgelegte Milchquote erhöhen, in deren Rahmen die Bauern schon jetzt 20 Prozent über dem Milchbedarf des Binnenmarkts produzieren. Die Quote, die langfristig ganz fallen soll, gibt es seit 1984. Die Bauern dürfen nur soviel Milch melken, wie ihnen zugeteilt wurde und erhalten die künftig abgesenkten Garantiepreise von den Molkereien, die wiederum die Ausgleichszahlungen der EU kassieren. Als Ausgleich für die Verluste sollen die Bauern nun in Form von Kuhprämien produktionsunabhängige Zuschüsse erhalten.
  Nach einem kurzfristigen Rückgang hofft Fischler auf einen Wiederanstieg der Preise für Butter und Milchpulver auf den Drittlandsmärkten. Sollten die Preise ansteigen, will der Kommissar die Zuschüsse absenken und so den EU- Haushalt sanieren. Der Weltmilchmarkt hat ein Volumen von 30 Millionen Tonnen, das sind lediglich 5 Prozent der Weltmilchproduktion. Mit 12 Millionen Tonnen ist die EU der größte Exporteur. Allerdings mit einem Produktionspreis von 50 Pfennig je Liter. Australien und Neuseeland müssen hingegen nur 30 Pfennig je Liter aufwenden, haben aber ein geringes Produktionsaufkommen: Das Milchvolumen Neuseelands ist etwa mit dem Bayerns vergleichbar.
  Keine Perspektive
  Die Bauern sehen in den angekündigten Kuhprämien keine Perspektive. "Das gilt generell für die Einkommensübertragungen, denen angesichts früherer Erfahrungen und leerer Haushaltskassen niemand traut", erläutert Wolfgang Reimer, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), einem Zusammenschluß von klein- und mittelständischen Bauern. Bei soviel Uneinsichtigkeit drohte der EU-Agrarkommissar im Januar des vergangenen Jahres 700 Allgäuer Bauern, denen er die Agenda 2000 vorstellte: entweder sie akzeptieren die Weltmarktorientierung und die damit einhergehende Preissenkung, oder die Milchquote müßte um 20-25 Prozent zurückgeschraubt werden.
  Die Proteste der Landwirte gegen die Agenda 2000 sind unterschiedlich motiviert. Der konservative Deutsche Bauernverband, der traditionell die Großbetriebe vertritt, begrüßt zwar die Weltmarktorientierung, stemmt sich aber mit aller Kraft gegen die Absenkung der Garantiepreise für Rindfleisch, Milch und Getreide. Die AbL schwört auf Binnenmarktorientierung der Agrarproduktion und will sich für ökologische und soziale Kriterien einsetzen.
  Allen sitzt die Angst im Nacken, die Verlierer der Agrarreform sein zu können, denn die Direkthilfen werden nach ihrer Einschätzung nicht ausreichen. Doch weil die Produktivität der Massentierhalter größer ist, werden sie länger durchhalten können, vermutet Wolfgang Reimer. Das Höfesterben der vergangenen Jahre und die weitere Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion auf wenige Großbetriebe wären die Folge. Ein allmählicher Abbau der Quoten würde ebenfalls zu dieser Entwicklung beitragen.
  Kleinbauern in Österreich, von denen viele nur über ein halbes Dutzend Milchkühe verfügen, klagen schon heute, wenige Jahre nach dem Beitritt zur EU, über die Auswirkungen der EU-Agrarpolitik. Allein im Jahr 1998 mußten sie im Vergleich zum Vorjahr Einkommenseinbußen von 10 Prozent hinnehmen. Und die EU-Kommission zeigt sich gegenüber den Kleinbauern von der harten Seite: Wegen angeblicher "Wettbewerbsverzerrungen" untersagte sie dem Land Tirol Kompensationszahlungen von 1,4 Pfennig je Milchliter für den umständlichen Milchtransport in den Alpentälern. "Wenn das Spiel mit den Märkten so weitergeht, bedeutet das in der alpinen Landwirtschaft, daß wir die Höfe zusperren müssen", so die österreichische Landwirtschaftskammer.
  Obwohl zahlreiche Kritiker, vor allem aus dem entwicklungspoltitischen Spektrum, die in der Agenda 2000 angedeuteten Umweltkriterien für ein politisches Abklenkungsmanöver halten, setzt die AbL auf diesen Ansatz der Kommission. In vergangenen Jahren hatte sie die europäischen Agrarreformen noch wegen ihrer Ausrichtung auf den Weltmarkt grundsätzlich abgelehnt.
  Die Strategie der AbL, einige positive Instrumente des EU-Vorschlags in den Vordergrund der Debatte zu rücken, stieß bei ihrem Dachverband, der europäischen Bauernkoordination CPE, zunächst auf Unverständnis. Doch mittlerweile sieht auch die CPE, deren Vorstand des öfteren mit Fischler berät, wenig Chancen "für eine Existenzerhaltung über Preise."
  Die Alternativen der AbL und CPE sehen eine soziale und ökologische Qualitätsproduktion auf hohem Preisniveau für den EU-Binnenmarkt vor. So könnten auch kleiner dimensionierte Landwirtschaftsbetriebe mehr von ihren Erträgen und weniger von EU-Prämien leben. Gleichzeitig sollen Obergrenzen der EU-Förderung für durchrationalisierte Großbetriebe festgelegt werden. Auch mit sozialen und ökologischen Kriterien für EU-Fördergelder wollen sie der exportsubventionierten Dumpingproduktion der Agroindustrie einen Riegel vorschieben.
  Die Grenzen der EU wollen die Bauernorganisationen ebenfalls gegen Dumpingprodukte von außerhalb abgeschottet wissen. In vielen Fällen beruht die Rationalisierung im Landwirtschaftsbereich auf der Anwendung von Antibiotika in Futtermitteln, der chemieintensiven Düngung und Unkrautvernichtung sowie zunehmend in der Gentechnik.
  Almosen für Kleinbauern
  Den oben skizzierten Ansatz zur Geltung zu bringen, haben beide Organisationen abgeschrieben. "Man darf und kann nach unseren politischen Erfahrungen von der Kommission nicht erwarten, daß sie eine Politik macht, die den grundsätzlichen AbL-Positionen nahekommt", meint der Vorsitzende der AbL, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Auch der CPE- Geschäftsführer Gérard Choplin will "retten, was zu retten ist: Obergrenzen und sozial-ökologische Standards".
  Ein paar Brosamen hat die Kommission zu bieten. Neben den Prämien und reduzierten Interventionsfonds will sie einen EU-Fonds "ländliche Entwicklung" einrichten, mit dem neben Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen auch der ökologische Landbau gefördert werden soll. Der Haken: maximal 10 Prozent des Agrarbudgets sind für die ganze Palette von Maßnahmen zur "ländlichen Entwicklung" vorgesehen.
  Die Vorgaben zum Umweltschutz sind im Gegensatz zu den Preissenkungen in der Agenda 2000 nur sehr vage formuliert. Fischler bezeichnet das als "Basisregelung". Tatsächlich sieht der Agendatext vor, jedem EU- Mitgliedstaat freizustellen, "das von ihm gewünschte Gleichgewicht zwischen intensiver und extensiver Erzeugung festzulegen".
  Grüne EU-Parlamentarier befürchten nun, daß die bescheidenen ökologischen Ansätze der Agenda 2000 bei den kommenden Verhandlungen zerrieben werden: zwischen dem machtvollen Beharren der Agroindustrie, die bisherige Förderpolitik fortzusetzen, und dem Druck der Sparforderungen aus den Finanzministerien der Mitgliedstaaten könnte die Ökologie aus der Agenda gestrichen werden.
  Die Lobby des Agrobusiness wird von der Kommission jedoch nicht mit Almosen abgespeist. Bereits Anfang 1998 konnte der Deutsche Bauernverband im Streit um die Agenda 2000 erste Erfolge verbuchen: die Silomaisprämie, die zunächst abgeschafft werden sollte, bleibt nun erhalten. Aus diesem Budget gehen allein 50 Prozent der Zahlungen an Höfe mit intensiver Massentierhaltung in Deutschland. Ein Affront gegen die Umweltschützer, die sich für eine Tierhaltung auf der Wiese einsetzen, die ökologischer und arbeitsintensiver ist: Der Silomais ist hingegen eine dünger- und pestizidintensive Ackerfrucht, die von Massentierhaltern an die im Stall lebenden Tiere verfüttert wird.
  Gerhard Klas
 


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