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Du warst am 23. und 24.Januar in Köln auf der Konferenz der
Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte
Beschäftigungsverhältnisse und Ausgrenzung der einzige offizielle
Vertreter einer DGB-Gewerkschaft. Was hat euch von der Gewerkschaft Nahrung,
Genuß, Gaststätten (NGG) bewogen, die EuroMärsche zu
unterstützen?
Unser Gewerkschaftstag hat diesen Beschluß gefaßt. Dahinter stehen
unsere positiven Erfahrungen mit den EuroMarsch-Aktivitäten seit zwei Jahren,
als wir an der großen Demonstration in Amsterdam teilnahmen. Der DGB
Hessen hatte damals offiziell dazu aufgerufen. Kollegen aus Nordrhein-Westfalen
meinten, als sie dies erfuhren, wir kämen aus einer "anderen Welt".
Bei ihnen gab es keinen offiziellen Aufruf.
Ich halte solche Aktionen angesichts von über 20 Millionen Erwerbsarbeitslosen
in der EU und fünf Millionen in Deutschland für notwendig. Wir haben in
Rüdesheim zusammen mit französischen Arbeitslosengruppen der CGT
aus Paris vor McDonalds protestiert. Das erregte Aufsehen, es gab sogar einen
Empfang beim Bürgermeister. Internationale Zusammenarbeit gegen
übernational operierende Konzerne ist besonders wichtig. Zum Luxemburger
Gipfel 1997 hat der DGB dann ja aufgerufen - das ist der richtige Weg.
Warum gibt es in großen Teilen der Gewerkschaftsbewegung bislang
Vorbehalte gegen eine Unterstützung der EuroMärsche und der
Demonstration zum EU-Gipfel am 29.Mai in Köln?
Bei vielen Vorständen, vermute ich, löst heute noch die Teilnahme der
französischen CGT Berührungsängste bzw. antikommunistische
Reflexe aus. Man denkt auch an Generalstreik usw. Dabei konnte ich unter deutschen
Kollegen Sympathie für eine kämpferische Orientierung feststellen. Im
Rahmen der Warnstreikbewegungen bis heute erntete ich immer dann am meisten
Applaus, wenn ich dazu aufforderte, "französisch zu lernen". Viele
wollen auch die SPD-geführte Regierung nicht in Verlegenheit bringen. Aber die
neue Regierung bedeutet noch keine neue Politik. Bislang haben weder die Deutsche
Bank noch Coca Cola wegen des Bonner Wechsels Unbehagen gezeigt. Die
Katastrophe in Hessen, wo der deutsche Stammtisch Oberwasser gekriegt hat, zeigt im
Negativen, daß Mobilisierung wirkt. Nur offensive fortschrittliche Mobilisierung
kann Druck machen für fortschrittliche Politik.
Die EuroMarsch-Konferenz in Köln hat einen Gewerkschafteraufruf
verabschiedet. Welche Chancen siehst du, daß er Unterstützung
findet?
Der Aufruf ist in Ordnung, und es kommt darauf an, ihn in die gewerkschaftlichen
Gremien und in die Betriebe einzubringen. Auf der Konferenz waren ja eine ganze
Reihe von Aktiven verschiedener DGB-Gewerkschaften. Falsch finde ich, daß
auch andere Aufrufe kursieren, in denen Inhalte vorkommen - wie Kritik am
"Bündnis für Arbeit" oder an der Bundesregierung - die im
DGB als Vorwand dafür genommen werden könnten, sich vor einer
Beteiligung an den Aktionen zu drücken.
Ist die große Zahl schlecht bezahlter und ungeschützter
Arbeitsverhältnisse im Organisationsbereich der NGG ein zusätzlicher
Grund für eure Unterstützung der EuroMärsche?
Bei McDonalds mit 40000 Beschäftigten in Deutschland und einem Umsatz von
3,2 Milliarden DM gibt es Löhne von 1000 und 1200 Mark netto und bislang
nur 50 Betriebsräte in 800 Betrieben. Migranten aus Osteuropa arbeiten
für Hungerlöhne, wobei ihnen noch 450 DM für die Unterkunft
abgeknöpft werden. Aber wir sind guten Mutes - seit zwei Jahren beteiligen wir
uns an der von englischen KollegInnen initiierten Kampagne gegen die
Arbeitsbedingungen und die Behinderung von Betriebsratsaktivitäten bei
McDonalds.
Doch die anderen DGB-Gewerkschaften, auch die großen, sind von der
Problematik ebenso betroffen. Zum Beispiel die Verkäuferinnen im Bereich der
HBV, die Lkw-Fahrer im Bereich der ÖTV. Auch im Bereich der IG Metall gibt
es nicht nur Großbetriebe, sondern viele Handwerksbetriebe, ungeschützt
Beschäftigte, Scheinselbständige.
Gibt es für dich eine Krise der Gewerkschaften?
Wenn das "Bündnis für Arbeit" Friedhofsruhe, Lohnsenkung
und eine Art Konzertierte Aktion bringt, dann droht allerdings eine scharfe Krise. Dann
werden viele sich fragen: Wozu brauchen wir überhaupt eine Gewerkschaft? Wir
haben 1996 im Kampf um die Lohnfortzahlung in Hessen, im Odenwald die Erfahrung
gemacht, daß auch Menschen, die nicht aus den klassischen gewerkschaftlichen
Bereichen kommen, auf die Straße gebracht werden können. Gewerkschaft
muß erfahrbar sein. Auch gewerkschaftlicher Internationalismus muß
erfahrbar sein. Deshalb hoffe ich doch, daß am 29.Mai in Köln der
gesamte DGB-Bundesvorstand mit Dieter Schulte an der Spitze mitdemonstriert. Die
NGG wird auf jeden Fall dabei sein.
Jürgen Hinzer ist Sekretär der Verwaltungsstelle Frankfurt am
Main/Wiesbaden der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten
(NGG).