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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 8

Kein Mensch ist illegal

Wanderkirchenasyl geht weiter

Nach einem halben Jahr Verhandlungsdauer haben die kurdischen Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl dem Angebot des nordrhein- westfälischen Innenministerium zugestimmt, erneut als Einzelfälle geprüft zu werden. Damit ist weder ein Bleiberecht für alle 400 garantiert, noch das Ende des Wanderkirchenasyls eingeleitet, so das Kölner Netzwerk "Kein Mensch ist illegal".
  Nach Angaben des Netzwerks unterscheiden sich die neuerlichen Einzelfallprüfungen formal überhaupt nicht von den herkömmlichen Prüfungen, die die meisten der Flüchtlinge schon einmal über sich ergehen lassen mußten. Dieses Angebot setze die Kurden "der Willkür der jeweiligen Ausländerbehörden" aus, heißt es in einer Stellungnahme von "Kein Mensch ist illegal".
  Zudem werden nur die zuletzt in NRW gemeldeten Flüchtlinge dieser Prozedur unterzogen, in der sie detailliert ihre Fluchtgründe benennen müssen. Die Ausländerbehörden, die eine Anweisung des Innenministeriums erhalten haben, entscheiden anschließend über die "Asylrelevanz" der vorgebrachten Gründe. "Die Einzelfallauslese durch die nordrhein- westfälischen Ausländerämter - hier müssen wir keine Propheten bemühen - wird viel zu viele ohne Schutz und Bleiberecht lassen", resümiert "Kein Mensch ist illegal" seine bisherigen Erfahrungen.
  Ein großer Teil der Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl kann sich selbst an diesem dünnen Strohhalm nicht festhalten: Knapp ein Drittel der Kurden war zuletzt nicht in NRW gemeldet. In einem Brief des Düsseldorfer Innenministers stellt dieser seinen Amtskollegen in den anderen Bundesländern lediglich eine ähnliche Prüfung "anheim".
  Im vergangenen Herbst hatten die Flüchtlinge das Angebot des nordrhein- westfälischen Innenministeriums noch abgelehnt. Daß sie es nun angenommen haben, ist vor allem der "zermürbenden Hinhaltetaktik" des Innenministerium zu verdanken, erklären 38 Prominente, unter ihnen Beate Klarsfeld und Günter Grass, in einer Anzeigenkampagne. Auch die Ausländerbehörden ließen kaum eine Gelegenheit aus, die seit Januar 1998 im Rhythmus von mehreren Wochen von Gemeinde zu Gemeinde ziehenden Flüchtlinge mit Verhaftungen und Abschiebedrohungen zu verunsichern und unter Druck zu setzen.
  Die Leitung der evangelischen Kirche im Rheinland trug nach Angaben des Netzwerks ebenfalls zum Scheitern der Forderung nach Abschiebestopp und selbst einer Gruppenlösung für alle am Wanderkirchenasyl beteiligten Kurden bei. Andernfalls hätte eine reale Möglichkeit bestanden, das Innenministerium zu einer Lösung zu bewegen. Denn nach §54 des Ausländergesetzes besteht für die Landesinnenminister die Möglichkeit, einen Abschiebestop zu verhängen. Die Kirchenleitung riet jedoch den zahlreichen Kräften aus dem kirchlich orientierten Spektrum der Flüchtlingshilfe von der Unterstützung des Wanderkirchenasyls ab und unterstellte dem Kölner Netzwerk eine "Instrumentalisierung" der Flüchtlinge für politische Zwecke.
  Schließlich haben auch grüne Landespolitiker nach der Bundestagswahl ihre Unterstützung für die Forderungen der Kampagne aufgegeben und stattdessen das Modell der erneuten "Einzelfallprüfung" favorisiert.
  Schon jetzt überlegen die Mitarbeiter von "Kein Mensch ist illegal", wie sie weiterhin ein Bleiberecht für die Flüchtlinge durchsetzen können, die durch die Einzelfallprüfung fallen werden. Auf die Unterstützung der meisten der 80 Krichengemeinden können sie dabei zählen: auch nach der "Verhandlungslösung" mit dem Innenministerium beherbergen sie weiterhin die bis zu 30köpfigen Gruppen der kurdischen Flüchtlinge, von denen sie keinen im Stich lassen wollen. Die Aktivisten des Netzwerks wollen zudem darüber nachdenken, "wie denjenigen Flüchtlingen geholfen werden soll, die - ermutigt durch das Wanderkirchenasyl - jetzt vermehrt an die Kirchentüren klopfen.
  Gerhard Klas
 


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