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Das etwas andere Buch zur Diskussion um
Globalisierung und Neoliberalismus kommt aus den USA. Geschrieben hat es Kim
Moody, führender Aktivist der US-amerikanischen Arbeiter- und
Protestbewegung und Herausgeber der in Detroit erscheinenden Zeitschrift Labor
Notes, die Nachrichten und Artikel aus und um die US-amerikanische und
internationale Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung veröffentlicht.
Auch Moody untersucht die ungleichzeitigen, aber kombinierten Veränderungen
in den weltweiten Produktionsverhältnissen der sog. "flexiblen
Produktion", der Lean Production, deren Ursachen und Verlaufsformen und
beschreibt und analysiert die neuen Managementmethoden, das "management by
stress".
Wie manchen anderen geht es ihm speziell darum, die Opfer der Globalisierung in den
Blick zu nehmen. Was ihn jedoch von diesen unterscheidet und sein Buch heraushebt,
ist sein Fokus auf die Reaktionsweisen und Strategien der internationalen Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung, auf jene, die sich in steigendem Maße gegen die
scheinbaren Imperative der Globalisierung wehren. In Zeiten und Ländern wie
dem unseren, in denen sich selbst radikale Linke von der Arbeiterklasse verabschiedet
haben, ist dies schon eine begrüßenswerte Provokation an sich.
Ausgangspunkt Moodys ist seine Beobachtung, daß es seit Mitte der 90er Jahre
in nennenswertem Ausmaße und weltweit zu einer bemerkenswerten
Rückkehr von offenen Klassenkämpfen gekommen ist. Von 1994 bis
1997 registriert er explizit politische Massenstreiks in Nigeria, Indonesien, Taiwan,
Frankreich, Südkorea, Italien, Belgien, Kanada, Südafrika, Brasilien,
Argentinien, Paraguay, Panama, Bolivien, Griechenland, Spanien, Venezuela, Haiti,
Kolumbien, Ecuador und manchen anderen Ländern. Und er stellt sich die Frage,
wie diese Streikwelle zu erklären ist, welche Möglichkeiten in ihr stecken
und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Seine vergleichende Studie der sich weltweit ausdehnenden Arbeiter- und
Gewerkschaftskämpfe gegen den sich weltweit durchsetzenden Neoliberalismus
nimmt deswegen besonders die hochentwickelten Industrieländer des Nordens
und die sog. "Schwellenländer" des Südens und der Dritten
Welt unter die Lupe, in erster Linie die Entwicklungen in den NAFTA-Staaten USA,
Kanada und Mexiko, in Europa, speziell Frankreich, sowie in Südkorea und
Nigeria.
Daß die internationale Arbeiterklasse der letzten 20 Jahre kaum rebellierte und
damit den Anschein erweckte, als "Klasse für sich" nicht mehr zu
existieren, hängt, so auch Moodys Analyse, mit den spezifischen Bedingungen
neoliberaler Globalisierung zusammen. Die globalen Umbrüche in den
Produktionsbeziehungen infolge der Offensive des Kapitals haben alte Klassenmilieus
und Klassenmentalitäten erfolgreich zerstört, die Zusammensetzung der
"Klasse an sich" durch Fragmentierung der Arbeitsverhältnisse und
durch massive Integration von Frauen und ImmigrantInnen stark verändert und
Klassenindividuen entlang geschlechtlicher und ethnografischer Grenzen gegeneinander
gestellt.
Gewerkschaftliche und politische Repräsentationsformen wurden grundlegend
geschwächt und partieller Widerstand gebrochen. Die Keule der Arbeitslosigkeit
führte zu Angst, Unsicherheit, Passivität und Flucht in falsche
Innerlichkeit (Drogen usw.) und die Verlockungen der Lean Production - mehr
demokratische Partizipationsmöglichkeiten im Betrieb - zu entsprechenden
Illusionen.
All dies führte zur anfänglichen Defensivität der internationalen
Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, die wiederum theoretisch als neue
geschichtliche Epoche der Postindustrialität und Postmodernität
verarbeitet wurde und entsprechend zum historischen Bruch von Intellektuellen und
sozialer Bewegung führte.
Die Durchsetzung des neuen Akkumulationsregimes erwies sich allerdings
widersprüchlicher als gedacht, und die immanenten Grenzen sieht Moody seit
einigen Jahren gekommen, denn die Offensive neoklassischer Ökonomen und
neoliberaler Politiker hat die ökonomische Krise bestenfalls einseitig
gelöst.
Wenn auch die Profite extrem in die Höhe schossen und sich der Reichtum
auffallend vermehrte, für die Bevölkerungsmehrheiten gilt dies nicht. Die
Beschäftigungskrise ist schlimmer denn je, Verarmung und Verelendung nahmen
relativ und absolut zu, Marginalisierung und Diskriminierung sind zu Synonymen des
Aufstiegs eines informellen, vermeintlich selbständigen Sektors geworden.
Neorassismen und zunehmender Sexismus haben neben den, bedingt durch die und
unabhängig von den vertieften Klassenspaltungen die gesellschaftlichen
Antagonismen verschärft.
Die Jahre der "neuen Unübersichtlichkeit" sind nun jedoch vorbei
und es bewahrheitet sich die alte Erkenntnis, daß die Einkommen der einen (inkl.
Zeit, Gesundheit und Sicherheit) die Kosten der anderen sind, daß neoliberale
Globalisierung kein sog. Win-to-win-Spiel ist, bei dem alle gewinnen. Wer
kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, der hat schon verloren, sagen
nicht mehr nur vereinzelte Spinner, sondern wird zum Erfahrungsschatz breiter
Bevölkerungsteile. Die Offensive des Kapitals stößt hier auf seine
immanenten Grenzen.
Das neue Akkumulationsregime breitet sich nämlich, so Moody, sehr ungleich
über den Erdball aus. Die ökonomische Geografie der Welt hat sich zwar
ohne Zweifel verändert, der Markt herrscht nun überall in der Welt. Doch
die Welt ist weniger globalisiert, als vielmehr regionalisiert worden, wie er
herausarbeitet. Die Integration der Ökonomie findet vor allem innerhalb der
Triadenregionen NAFTA, Europa und Japan statt.
Die transnationalen Konzerne, die vermeintlichen "global players",
organisieren sich ihre Produktionsketten zwar grenzüberschreitend, aber eben
regional begrenzt. Es kommt einerseits zur zunehmenden Industrialisierung auch der in
Unterentwicklung gehaltenen Länder entlang dieser Produktionsketten, aber der
Reichtum fließt andererseits herrschafts- und eigentumsbedingt noch immer in die
"Heimat"länder der Konzerne, in die imperialistischen
Zentren.
Die alte Spaltung in reichen Norden und armen Süden bleibt, wenn auch
modifiziert, in Kraft. Ganze Regionen werden vom Weltmarkt abgekoppelt und
innerhalb der Regionen verschärft sich die Konkurrenz der (Lohn-)Arbeitenden
untereinander.
Gerade diese ungleiche Entwicklung setzt jedoch einer totalen Globalisierung Grenzen.
Ebenso wie die Tatsache, daß die in den transnationalen Produktionsketten
arbeitenden Menschen unter neuartigen und vor allem gemeinsamen
Beschäftigungs- und Produktionsbedingungen zusammengefaßt werden.
Das eröffnet Möglichkeiten gemeinsamer Kämpfe und Erfahrungen
über die nationalen und Konzerngrenzen hinaus. Die seit vielen Jahren zu
beobachtende Desillusionierung bezüglich der Versprechungen der Lean
Production tut hier ihr übriges.
Mittlerweile ist auch den letzten deutlich geworden, daß bei aller
Unterschiedlichkeit in den einzelnen Formen nicht Kreativität, sondern
Konformität der Imperativ der neuen betrieblichen Verhältnisse ist. Immer
mehr verschlechtern sich Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität gerade auch
am Arbeitsplatz. Immer mehr gleichen sich auch Gewerkschaftsstrukturen, da sie sich
zumeist auf das sozialpartnerschaftliche Spiel eingelassen haben, den
Unternehmensstrukturen an und werden auf diesem Wege tendenziell in dieselben
integriert.
Gewerkschaftsmitglieder haben selbst in ihren eigenen Organisationen immer weniger
mitzureden. Doch auch hier: Gerade die "flexible Produktion" kann die
neuen Bedürfnisse kaum befriedigen und erweist sich potentiell als
ausgesprochen instabil und anfällig gegen Druck und Kampf von
unten.
Die entscheidende Grenze neoliberaler Globalisierung sieht Moody allerdings in der
durch die neuen Produktionsmethoden strukturell nicht zu lösenden
Akkumulationskrise des Kapitals, die durch zusätzlichen
Produktionsausstoß eher noch verschärft wird. Und so schwelt die
ökonomische Krise weiter und breitet sich aus.
Dies gibt den objektiven Hintergrund für die Rückkehr der
Klassenkämpfe ab und erklärt im wesentlichen auch ihre Form.
Von linken Organisationen und Parteien verabschiedet, von sozialpartnerschaftlichen
Gewerkschaftsführungen zunehmend enttäuscht und allein gelassen, von
Intellektuellen lange Zeit ignoriert, entwickeln sich die Bewegungen weitgehend
spontan, ohne klare programmatische Ziele, vermeintlich unpolitisch, doch mit breiter
Unterstützung durch die jeweiligen Bevölkerungen und teilweise
ausgesprochen radikalen Kampfformen. Im Zentrum der auffallend oft von
Beschäftigten des öffentlichen Sektors getragenen Auseinandersetzungen
steht allerdings, und dies macht ihren politischen Sprengstoff aus, die Gegnerschaft
gegen neoliberale Verschärfungen in der Wirtschafts- und
Sozialpolitik.
Daß wir es hier mit einer originären Bewegung zu tun haben, sieht man
daran, daß sich in ihr historisch neue Organisationsformen herausbilden. Dies in
aller Ausführlichkeit herausgearbeitet zu haben, ist das herausragende Verdienst
Kim Moodys. Er beschreibt, wie gerade die scheinbar umfassende Auflösung
alter Klassenverhältnisse neuen Inhalten und Formen den nötigen Raum
bietet.
Gerade das, was Postmodernisten jeglicher Couleur als die Ursache für den
endgültigen Niedergang von Arbeiterklasse und Sozialismus erscheint, ist ihm
Bedingung für einen radikalen Neuanfang. Ausgehend von den südlichen
Schwellenländern Brasilien und Südafrika entwickelt sich seit Ende der
70er Jahre über Südkorea und Kanada bis in industrielle Zentren des
Weltkapitalismus wie den USA oder Frankreich jenes Organisationsphänomen,
das Moody "new unionism" oder "social movement unionism"
nennt und das man vielleicht am besten mit "neuer sozialer
Gewerkschaftsbewegung" übersetzen kann.
Es handelt sich dabei um Bewegungen, die alte Partikularismen überwinden, die
Kernbelegschaften genauso aktivieren, wie sie Arbeitslose und Marginalisierte,
Familienangehörige und ImmigrantInnen personell und programmatisch
integrieren. Es sind sich zumeist lokal und regional organisierende Bewegungen, die
von der aktiven Teilnahme der Basis mehr leben, als von Führungsgruppen
gewerkschaftlicher oder politischer Art. Sie sprengen tendenziell die alte Spaltung in
gewerkschaftlichen Flügel auf der einen und politischen auf der anderen, in
Ökonomie und Politik. Sie unterscheiden nicht mehr zwischen Arbeitsplatz und
kommunalem Lebensumfeld, zwischen Betrieb und Wohngebiet und gewinnen somit
eine starke soziale Verankerung. Von der organisatorischen Form her den sog. neuen
sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre ähnlich, sind sie doch, sozial und
politisch betrachtet, klare Bewegungen der Arbeiterklasse im weitesten
Sinne.
Mit ihrer Organisationsform sind sie potentiell in der Lage, die drei wesentlichen
Strukturprobleme der neuen Arbeiterklasse aktiv anzugehen. Zum einen werden die
Spaltungslinien innerhalb der neuzusammengesetzten Klasse, vor allem die Spaltung
zwischen den Geschlechtern und den Ethnien, aufgeweicht und partiell aufgehoben.
Zum anderen sind sie mit ihrer weniger bürokratischen und stärker
informellen Struktur schneller und substantieller in der Lage, Grenzen zwischen den
Nationen zu überwinden. Schließlich gehen sie das Problem der
bürokratisierten Gewerkschaftsapparate und Stellvertreterparteien direkt an und
aktivieren neue Formen von Basisdemokratie.
Wenn Moody auch einem erfrischenden Optimismus des Willens frönt,
Illusionen macht er sich keine. Die von ihm beobachteten und im Detail diskutierten
Ansätze zu einer solchen neuen sozialen Gewerkschaftsbewegung sind nicht
mehr und nicht weniger - Ansätze. Ansätze übrigens, die
zunehmend auch in Deutschland wahrgenommen und eingefordert werden, wie bspw.
die von Gisbert Schlemmer u.a. jüngst herausgegebene VSA-Publikation
Kapitalismus ohne Gewerkschaften? Eine Jahrhundertbilanz zeigt.
Moody spricht explizit von neuen Möglichkeiten, nicht von Notwendigkeiten.
Ob sie sich durchsetzen werden, ist äußerst ungewiß und wird nicht
unwesentlich davon abhängen, inwieweit sich eine erneuerte Linke auf sie
einläßt, sie unterstützt und propagiert. Aber dies markiert eben den
Unterschied zwischen Postmodernisten und Sozialisten beiderlei Geschlechts: Nimmt
man herrschende Trends als Ausreden für die Bauchnabelschau oder sucht man
nach den in ihnen enthaltenen neuen Möglichkeiten zur konsequenten
Selbstpositionierung, zum politischen Kampf.
"Die Massenstreiks der Jahre 1994-97 hatten keinen revolutionären
Charakter, und zwar nicht nur, weil sie von den betroffenen ArbeiterInnen nicht als
solche angesehen wurden, obwohl dies wichtig ist. Unter anderem liegt es daran,
daß die Ereignisse weit davon entfernt waren, eine endgültige
Lösung zu verlangen. Nach wie vor sind einerseits Kompromiß,
andererseits Unnachgiebigkeit seitens des Staates und der betreffenden Arbeitgeber
mögliche Optionen, ebenso wie bei den ArbeiterInnen", so
Moody.
Hier haben wir die materielle Basis für die - von Moody noch nicht erfaßte
- gegenwärtige Renaissance der internationalen Sozialdemokratie. Die
neoliberalen Kräfte gönnen sich zur Zeit eine durchaus
schöpferische Pause, um neue (natürlich immanente) Wege aus der
anhaltenden und von ihnen selbst verschärften Strukturkrise zu
suchen.
Daß selbst Regierungslinke der verschiedensten Couleur gezwungen und gewillt
sind, nach ihrer Melodie zu tanzen, zeigt, daß sich in den letzten Jahren nichts
grundlegendes geändert hat. Daß nun aber Sozialdemokraten, Grün-
Alternative und Ex-Kommunisten für die Regierungsgeschäfte
verantwortlich zeichnen und - ob sie wollen oder nicht - neue Erwartungen und
Bedürfnisse wecken, das haben sie der Rückkehr der internationalen
Klassenkämpfe zu verdanken - ob ihnen das bewußt ist oder
nicht.
Die neuen Machtverhältnisse sind Verhältnisse des Übergangs.
Wenn es dabei Hoffnungen auf einen emanzipativen Übergang gibt, wenn es die
Perspektive eines anderen sozioökonomischen Modells jenseits des
Neoliberalismus geben soll, dann kann sie nur von unten wachsen, aus den
gegenwärtigen Klassenkämpfen einer Klasse, deren potentielle Macht
noch immer zentraler Dreh- und Angelpunkt gesellschaftlicher Veränderung
ist.
Die intensivierten Kämpfe beflügeln den Geist, so Moody, und ihre
Organisationsformen sind "Schulen" zum Verständnis der
Gesellschaft und zur "Vorbereitung auf die Macht". Und wenn es auch
keine Garantie für die Rückkehr sozialistischer Ideen und Organisationen
gibt, die herrschenden Alternativvorschläge, "die derzeit von Progressiven
und Sozialdemokraten aller Richtungen geäußert werden, Stakeholder-
Kapitalismus, Zivilgesellschaft, Dritter Sektor als Gegenmacht etc., bieten nicht viel
Trost für die meisten Menschen in der Welt. Diese Mehrheit verlangt nach mehr
Substanz, als der Kapitalismus seit einiger Zeit weltweit zu geben imstande oder
willens ist."
Daß dies kein falscher Optimismus ist, zeigt sich daran, daß der
ökonomische und politische Widerstand der neuen "neuen sozialen
Bewegungen" auch nach Fertigstellung des Buches 1997 und nach
Regierungsübernahme der neuen "linken" Regierungen deutlich
anhält. Wer dies verstehen möchte, sei auf Moodys Buch verwiesen: Ein
wichtiges Werk nicht nur zum Thema Globalisierung, sondern auch zur
Selbstverständigung von Linken, SozialistInnen und GewerkschafterInnen
überall auf der Welt.
Christoph Jünke
*Kim Moody, "Workers in a Lean World. Unions in the International
Economy", London (Verso) 1997, 340 S.