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Fortschrittliche Christen sind auf den Philippinen ein
wichtiger Bestandteil der progressiven Kräfte. Jean Dupont sprach in Amsterdam
mit philippinischen Marxisten, die über ihr Herangehen an die
"Kirchenleute" reflektieren.
Die katholische Kirche wird von reaktionären und reformistischen Kräften
dominiert. Aber es gibt keine Region des Landes (oder der Welt), wo die
Kirchenhierarchie die christliche Tradition der Beteiligung an Bewegungen, die
für soziale Veränderungen eintreten, vollständig unterdrückt
hat.
Das Urchristentum war eine Bewegung der rechtlosen Massen. [1] Seine Vision,
Mission und Ziel war die vollständige Veränderung der Individuen und
der Gesellschaft, eine Art utopischer Sozialismus. Es war der Verfolgung ausgesetzt
und produzierte viele Märtyrer. [2]
Die darauffolgende Geschichte des Christentums war geprägt von einem
historischen und theologischen Revisionismus. Es verband sich mit der bestehenden
sozioökonomischen Ordnung, und seine Hierarchie war bestrebt, der
herrschenden Elite eine ideologische Rechtfertigung zu liefern. Dies galt für
Sklavenhaltergesellschaften wie dem späten Römischen Reich ebenso wie
für die Eroberung der Philippinen durch die spanischen, später US-
amerikanischen Kolonisatoren.
Während dieser "babylonischen Gefangenschaft" der Kirche durch
die herrschenden Klassen hielten progressive und revolutionäre Elemente die
Flamme der Revolution am brennen. Manche stellten sich innerhalb der Kirche auf die
Seite der Unterdrückten, andere verließen zu diesem Zweck die etablierte
Kirche. Europa hatte Jan Hus und Thomas Müntzer. Auf den Philippinen gab es
Hermano Pules christliche Laienbewegung der Bauern. Während der Revolution
von 1896 gegen Spanien spielten Aglipay und viele andere Priester eine bedeutende
Rolle.
Unter der Marcos-Diktatur gab es unter christlichen Laien, Nonnen und Priestern eine
starke progressive Bewegung. Diese Bewegung hätte noch stärker und
einflußreicher sein können, hätte die maostalinistische CPP
(Communist Party of the Philippines) ihren Einfluß nicht dazu benutzt, ihre
nationaldemokratische Linie der fortschrittlichen christlichen Bewegung
aufzuzwingen.
Die christliche Kirche ist zu sehr mit der Reaktion verbunden, als daß sie en bloc
zu ihrem ursprünglichen revolutionären Weg zurückfinden
könnte. Aber die Bemühungen und das Erbe des revolutionären
Elements in der Kirche dürfen nicht verschwendet werden. Es muß
unterstützt und verstärkt werden.
Die Religion ist Teil der kulturellen Dynamik der Gesellschaft. Mittels ihrer kulturell-
ideologischen Ressourcen - Theologie, Spiritualität, Liturgie, Zeichen und
Symbole, politischer Einfluß, Missionarstätigkeit und Wohltätigkeit
- spielt die Religion bei der Prägung der Herzen und Köpfe der Menschen
eine Rolle. Sie kann ein Opium des Volkes sein oder ein Katalysator, der das Volk zu
revolutionärer Tätigkeit führt. Sie hat sowohl zähmende und
mystifizierende Aspekte als auch solche der Befreiung und
Veränderung.
Kirchen sind einflußreiche Institutionen innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinden.
Da wo die lokalen Führer progressiv sind, können die Kirchen eine Quelle
der Inspiration und der Unterstützung für revolutionäre und
Volksbewegungen sein.
Befreiungstheologie
Die Befreiungstheologie basiert auf der Vorstellung vom Volk Gottes, das, wie das alte
Volk Israels, versucht sich vom modernen Pharaoh zu befreien, den
unterdrückenden und ausbeutenden Strukturen der bürgerlichen
Gesellschaft - Strukturen, die es hindern, eine vollkommene menschliche Entwicklung
zu erreichen.
Der südamerikanische Theologe Gustavo Gutiérrez erarbeitete die
grundlegenden Ideen der Theologie der Befreiung. Er schrieb zu einer Zeit, als sich
nationale Befreiungsbewegungen vehement gegen die von den USA
unterstützten diktatorischen Regime der rückschrittlicheren Länder
der Region erhoben.
Die Befreiungstheologie beinhaltet die Solidarität mit den armen, entrechteten
und unterdrückten Teilen der Gesellschaft von seiten der Kirchenleute. Sie ruft
dazu auf, den Menschen zu dienen und den Nachbarn zu lieben. Diese Linie des
Denkens verbindet den christlichen Glauben mit der aktiven Anteilnahme an den realen
Lebensverhältnissen der Menschen, einschließlich ihrer soziopolitischen
und ökonomischen Aspekte. Kirchenleute, die sich zu dieser Theologie
bekennen, finden in ihrem christlichen Glauben die Motivation, sich für die
Abschaffung ungerechter sozialer Strukturen und die radikale Veränderung der
Gesellschaft einzusetzen.
In einigen lateinamerikanischen Ländern wurde die Befreiungstheologie nach
und nach mit dem revolutionären bewaffneten Kampf und politischen
Aktivitäten identifiziert. Aktive zitierten Dokumente der katholischen Kirche, in
denen der revolutionäre Aufstand als eine legitime Wahl unter Bedingungen
bezeichnet wird, "wo es eine offensichtliche, langandauernde Tyrannei gibt, die
die grundlegenden Menschenrechte schwerwiegend verletzt und dem allgemeinen Wohl
des Landes gefährlichen Schaden zufügt..." [3]
Opposition des Vatikan
Der Vatikan hat sich entschieden gegen die Beteiligung von Kirchenleuten an der
aktiven Politik, insbesondere an Befreiungsbewegungen gewandt. Die katholische
Hierarchie lehnt nach wie vor die Befreiungstheologie und jedes angeblich vom
Marxismus beeinflußte Denken ab. Die Hierarchie der christlichen Kirchen hat
ihren Einfluß dazu benutzt, marxistische Aktivität zu bekämpfen
und Atheisten und Kommunisten zu diskriminieren. Bischöfe und
Kirchenführer haben die christliche Religion dazu benutzt, die scharfe Schneide
des Klassenkampfs des Proletariats stumpf zu machen.
Ihr Haß auf die Befreiungstheologie ist nicht überraschend. Sie erkennen
ihr Potential, das Bewußtsein zu heben und die Kirchenleute zu politisieren. Auf
den Philippinen haben sich viele Kirchenleute und ausländische Kleriker, die
Anhänger der Befreiungstheologie sind, offen für marxistische Literatur
und Ideen gezeigt. Viele haben sich in Richtung auf marxistisch-leninistische
Vorstellungen bewegt oder sind sogar kommunistischen Gruppen
beigetreten.
Christliche Basisgemeinden
Das Programm des Aufbaus kirchlicher Basisgemeinden erhält seine Inspiration
aus dem Leben der urchristlichen Gemeinden in Jerusalem. Nach den Worten der Bibel
waren die Gläubigen "ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von
seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles
gemeinsam ... Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen
Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld
für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab
einem jeden, was er nötig hatte." [4]
Das subversive Wesen dieser Bewegung rührt von dem Aufruf an die
Bevölkerung, zu teilen, was die Christen als die dreifache Funktion Jesu Christi
betrachten: Priester, Prophet und König, und aktiv an den verschiedenen
geistlichen Ämtern teilzunehmen. Dazu gehören das Bemühen um
Gerechtigkeit und die Beteiligung an sozialer Veränderung. Dies wird als
konstitutiver Bestandteil der Predigt des Evangeliums und der christlichen Mission
betrachtet.
Gemeinden und lokale Kirchen repräsentieren gewöhnlich einen
Querschnitt der Klassen der Gesellschaft. Doch die mit der Kirche verbundenen
Basisgemeinden bestehen fast ausschließlich aus Angehörigen des
Proletariats und Halbproletariats.
In den Anfangsjahren benutzten viele der am Aufbau der Basisgemeinden Beteiligten
fortschrittliche Organisationsmethoden. Manche verwendeten sogar die Schriften
Antonio Gramscis als Mittel zur Untersuchung und Veränderung der
philippinischen Gesellschaft. Während der Periode des Kriegsrechts fand dieses
Programme eine breite Akzeptanz und finanzielle Förderung seitens
ausländischer kirchlicher Agenturen.
Seit kurzem sind jedoch auch Konservative an der Methode der Basisgemeinden
interessiert. Das 2.Plenum der philippinischen katholischen Bischofskonferenz rief zu
einem nationalen Programm für den Aufbau von Basisgemeinden auf.
In den Augen der konservativen Bischöfe ist dieses Programm eine
zweischneidige Sache. Sie hoffen so, den Einfluß der radikalen Aktivisten in den
Kirchengemeinden zu verringern. Sie hoffen auch, daß die offizielle Annahme
dieser Strategie es ihnen ermöglicht, ihre schnell schwindende Kontrolle
über die Kirchenbasis wiederzuerlangen oder zumindest zu
konsolidieren.
Ihre Panik ist nicht bloß das Resultat marxistischer Agitation. Christliche
Fundamentalisten vom evangelikalen Flügel des Protestantismus, die oft von
reichen Gruppen aus den USA unterstützt werden, sind dabei, in Asiens
größte katholische "Herde" einzubrechen.
Leben vor dem Tod
Konservative Theologen und Priester lehren diejenigen, die arbeiten und im Elend
leben, in Demut zu leben und auf Erden geldudig zu sein. In der Hoffnung auf
Belohnung im Himmel sollen sie Trost suchen. Gleichzeitig werden diejenigen, die von
der Arbeitskraft anderer leben, ermahnt, Wohltätigkeit zu praktizieren. Dies gibt
ihnen einen billigen Ausweg, ihr Gewissen zu beruhigen und ihre gesamte Existenz als
Ausbeuter zu rechtfertigen.
Indem sie den christlichen Humanismus und den christlichen Frieden predigen,
verbergen manche Priester wirksam die Realität antagonistischer
Klassenverhältnisse.
Natürlich möchte die Bourgeoisie gerne ein Bild allgemeinen
wirtschaftlichen Friedens und der Harmonie propagieren. Doch der echte Humanismus
kann nur aus der Abschaffung des Kapitals und der Abschaffung der Klassen
resultieren.
Dies ist die Perspektive der proletarischen Revolution. Die Arbeiterpartei fordert die
Kirchenleute auf, der Realität ins Auge zu sehen. Jeden zu zwingen, die
menschliche Würde und den persönlichen Wert anzuerkennen ungeachtet
der Klasse, ohne das Kapital und die ganze kapitalistische Ordnung anzurühren,
die die Wurzel der Ungleichheit und Erniedrigung bestimmter Klassen der Gesellschaft
ist, ist lächerlich. Schlimmer, es ist für die menschliche Gesellschaft
zerstörerisch.
Es ist die Aufgabe der Arbeiterpartei, die unabhängigen Klasseninteressen der
Arbeiterklasse zu wahren, der Menschenrechtsbewegung einen proletarischen Stempel
aufzudrücken und die sozialistischen Ziele zu betonen, die allein die
demokratischen Rechte für die gesamte Menschheit sichern
können.
Doch nachdem die Partei ihre Position verdeutlicht hat, sollte sie Bündnisse
schließen und Solidarität mit Kirchenleuten, Individuen und Gruppen,
lokal wie international, ausüben, die gleiche Würde, demokratische
Rechte und politische Freiheiten für alle fordern.
Theologie der Ganzheit
Der protestantische Pastor Oscar Suÿrez hat versucht, den christlichen Glauben
mit dem Marxismus zu versöhnen. Er vertritt die Auffassung, daß es beim
Glauben darum geht, mit der sakralen Dimension der Menschheit ins Reine zu
kommen. Diese sakrale Dimension offenbart sich in unserem letztlichen
Bemühen um Gerechtigkeit. Beim Streben nach Gerechtigkeit wird man mit der
Theorie konfrontiert, die sich mit wissenschaftlich meßbaren und historisch
eindeutigen politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen
beschäftigt. Glaube und Theorie zu verbinden heißt die vollständige
menschliche Entwicklung fördern. [5]
Wir müssen von der Ganzheit ausgehen, anstatt uns mit bloßen
Fragmenten zufrieden zu geben. "Nicht nur vom Brot allein!" Diese
Entwicklung beginnt und endet nicht, wie im Kapitalismus, im Individuum, sondern
wird kollektiv, wie im Sozialismus.
In diesem Konzept von Theologie ist die Revolution selbst die Förderung von
Gottes Plan für die Menschheit - die Bewahrung der Schöpfung, der
Fülle des Lebens. Die gegenwärtige Theologie der Befreiung ist
unvollständig, da sie sich nur mit dem Prozeß der Transformation
befaßt. Die Theologie der Ganzheit befaßt sich nicht nur mit dem
Prozeß, sondern auch mit der Vision und dem Ziel dieses Prozesses. Ein neuer
Himmel und eine neue Erde. Das neue Jerusalem, das christliche Sozialisten zu
errichten suchen.
Wie die sozialistischen Ideen motiviert der Glaube Menschen, sich sozial zu
engagieren, oft auf einer sehr elementaren Ebene. Dies kann sich zu Teilnahme an
revolutionärer Arbeit entwickeln. Letztlich geht es bei der Revolution um die
Bewahrung und Entwicklung von Humanität und Schöpfung. Das
Christentum, so Suÿrez, sollte sich als eine entschieden humanistische Religion
präsentieren.
Die Befürworter der Theologie der Ganzheit sind bestrebt, alle Formen
fundamentalistischer und mystischer Theologie und des Obskurantismus zu
bekämpfen. Manche sind weiter gegangen und versuchen den Glauben als etwas
von der Religion getrenntes zu begreifen oder ihn zumindest von einem besonderen
Gott zu trennen.
(Gekürzt aus: "International Viewpoint", Nr.308, Februar
1999.)
Anmerkungen
[1] Siehe Friedrich Engels, "Zur Geschichte des Urchristentums" (1894),
in: K.Marx/F. Engels, Werke, Bd.22, Berlin 1963, S.447ff.
[2] Apostelgeschichte Kapitel 2-3.
[3] Papst Paul VI., "Entwicklung der Völker".
[4] Apostelgeschichte Kapitel 4, Vers 32-35.
[5] "Theologie der Ganzheit", Vorlesungsreihe von Dr. Oscar
Suÿrez.