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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 13

Philippinen

Revolutionäre Linke und progressive Christen

Fortschrittliche Christen sind auf den Philippinen ein wichtiger Bestandteil der progressiven Kräfte. Jean Dupont sprach in Amsterdam mit philippinischen Marxisten, die über ihr Herangehen an die "Kirchenleute" reflektieren.
  Die katholische Kirche wird von reaktionären und reformistischen Kräften dominiert. Aber es gibt keine Region des Landes (oder der Welt), wo die Kirchenhierarchie die christliche Tradition der Beteiligung an Bewegungen, die für soziale Veränderungen eintreten, vollständig unterdrückt hat.
  Das Urchristentum war eine Bewegung der rechtlosen Massen. [1] Seine Vision, Mission und Ziel war die vollständige Veränderung der Individuen und der Gesellschaft, eine Art utopischer Sozialismus. Es war der Verfolgung ausgesetzt und produzierte viele Märtyrer. [2]
  Die darauffolgende Geschichte des Christentums war geprägt von einem historischen und theologischen Revisionismus. Es verband sich mit der bestehenden sozioökonomischen Ordnung, und seine Hierarchie war bestrebt, der herrschenden Elite eine ideologische Rechtfertigung zu liefern. Dies galt für Sklavenhaltergesellschaften wie dem späten Römischen Reich ebenso wie für die Eroberung der Philippinen durch die spanischen, später US- amerikanischen Kolonisatoren.
  Während dieser "babylonischen Gefangenschaft" der Kirche durch die herrschenden Klassen hielten progressive und revolutionäre Elemente die Flamme der Revolution am brennen. Manche stellten sich innerhalb der Kirche auf die Seite der Unterdrückten, andere verließen zu diesem Zweck die etablierte Kirche. Europa hatte Jan Hus und Thomas Müntzer. Auf den Philippinen gab es Hermano Pules christliche Laienbewegung der Bauern. Während der Revolution von 1896 gegen Spanien spielten Aglipay und viele andere Priester eine bedeutende Rolle.
  Unter der Marcos-Diktatur gab es unter christlichen Laien, Nonnen und Priestern eine starke progressive Bewegung. Diese Bewegung hätte noch stärker und einflußreicher sein können, hätte die maostalinistische CPP (Communist Party of the Philippines) ihren Einfluß nicht dazu benutzt, ihre nationaldemokratische Linie der fortschrittlichen christlichen Bewegung aufzuzwingen.
  Die christliche Kirche ist zu sehr mit der Reaktion verbunden, als daß sie en bloc zu ihrem ursprünglichen revolutionären Weg zurückfinden könnte. Aber die Bemühungen und das Erbe des revolutionären Elements in der Kirche dürfen nicht verschwendet werden. Es muß unterstützt und verstärkt werden.
  Die Religion ist Teil der kulturellen Dynamik der Gesellschaft. Mittels ihrer kulturell- ideologischen Ressourcen - Theologie, Spiritualität, Liturgie, Zeichen und Symbole, politischer Einfluß, Missionarstätigkeit und Wohltätigkeit - spielt die Religion bei der Prägung der Herzen und Köpfe der Menschen eine Rolle. Sie kann ein Opium des Volkes sein oder ein Katalysator, der das Volk zu revolutionärer Tätigkeit führt. Sie hat sowohl zähmende und mystifizierende Aspekte als auch solche der Befreiung und Veränderung.
  Kirchen sind einflußreiche Institutionen innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinden. Da wo die lokalen Führer progressiv sind, können die Kirchen eine Quelle der Inspiration und der Unterstützung für revolutionäre und Volksbewegungen sein.
 
  Befreiungstheologie
  Die Befreiungstheologie basiert auf der Vorstellung vom Volk Gottes, das, wie das alte Volk Israels, versucht sich vom modernen Pharaoh zu befreien, den unterdrückenden und ausbeutenden Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft - Strukturen, die es hindern, eine vollkommene menschliche Entwicklung zu erreichen.
  Der südamerikanische Theologe Gustavo Gutiérrez erarbeitete die grundlegenden Ideen der Theologie der Befreiung. Er schrieb zu einer Zeit, als sich nationale Befreiungsbewegungen vehement gegen die von den USA unterstützten diktatorischen Regime der rückschrittlicheren Länder der Region erhoben.
  Die Befreiungstheologie beinhaltet die Solidarität mit den armen, entrechteten und unterdrückten Teilen der Gesellschaft von seiten der Kirchenleute. Sie ruft dazu auf, den Menschen zu dienen und den Nachbarn zu lieben. Diese Linie des Denkens verbindet den christlichen Glauben mit der aktiven Anteilnahme an den realen Lebensverhältnissen der Menschen, einschließlich ihrer soziopolitischen und ökonomischen Aspekte. Kirchenleute, die sich zu dieser Theologie bekennen, finden in ihrem christlichen Glauben die Motivation, sich für die Abschaffung ungerechter sozialer Strukturen und die radikale Veränderung der Gesellschaft einzusetzen.
  In einigen lateinamerikanischen Ländern wurde die Befreiungstheologie nach und nach mit dem revolutionären bewaffneten Kampf und politischen Aktivitäten identifiziert. Aktive zitierten Dokumente der katholischen Kirche, in denen der revolutionäre Aufstand als eine legitime Wahl unter Bedingungen bezeichnet wird, "wo es eine offensichtliche, langandauernde Tyrannei gibt, die die grundlegenden Menschenrechte schwerwiegend verletzt und dem allgemeinen Wohl des Landes gefährlichen Schaden zufügt..." [3]
 
  Opposition des Vatikan
  Der Vatikan hat sich entschieden gegen die Beteiligung von Kirchenleuten an der aktiven Politik, insbesondere an Befreiungsbewegungen gewandt. Die katholische Hierarchie lehnt nach wie vor die Befreiungstheologie und jedes angeblich vom Marxismus beeinflußte Denken ab. Die Hierarchie der christlichen Kirchen hat ihren Einfluß dazu benutzt, marxistische Aktivität zu bekämpfen und Atheisten und Kommunisten zu diskriminieren. Bischöfe und Kirchenführer haben die christliche Religion dazu benutzt, die scharfe Schneide des Klassenkampfs des Proletariats stumpf zu machen.
  Ihr Haß auf die Befreiungstheologie ist nicht überraschend. Sie erkennen ihr Potential, das Bewußtsein zu heben und die Kirchenleute zu politisieren. Auf den Philippinen haben sich viele Kirchenleute und ausländische Kleriker, die Anhänger der Befreiungstheologie sind, offen für marxistische Literatur und Ideen gezeigt. Viele haben sich in Richtung auf marxistisch-leninistische Vorstellungen bewegt oder sind sogar kommunistischen Gruppen beigetreten.
 
  Christliche Basisgemeinden
  Das Programm des Aufbaus kirchlicher Basisgemeinden erhält seine Inspiration aus dem Leben der urchristlichen Gemeinden in Jerusalem. Nach den Worten der Bibel waren die Gläubigen "ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam ... Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte." [4]
  Das subversive Wesen dieser Bewegung rührt von dem Aufruf an die Bevölkerung, zu teilen, was die Christen als die dreifache Funktion Jesu Christi betrachten: Priester, Prophet und König, und aktiv an den verschiedenen geistlichen Ämtern teilzunehmen. Dazu gehören das Bemühen um Gerechtigkeit und die Beteiligung an sozialer Veränderung. Dies wird als konstitutiver Bestandteil der Predigt des Evangeliums und der christlichen Mission betrachtet.
  Gemeinden und lokale Kirchen repräsentieren gewöhnlich einen Querschnitt der Klassen der Gesellschaft. Doch die mit der Kirche verbundenen Basisgemeinden bestehen fast ausschließlich aus Angehörigen des Proletariats und Halbproletariats.
  In den Anfangsjahren benutzten viele der am Aufbau der Basisgemeinden Beteiligten fortschrittliche Organisationsmethoden. Manche verwendeten sogar die Schriften Antonio Gramscis als Mittel zur Untersuchung und Veränderung der philippinischen Gesellschaft. Während der Periode des Kriegsrechts fand dieses Programme eine breite Akzeptanz und finanzielle Förderung seitens ausländischer kirchlicher Agenturen.
  Seit kurzem sind jedoch auch Konservative an der Methode der Basisgemeinden interessiert. Das 2.Plenum der philippinischen katholischen Bischofskonferenz rief zu einem nationalen Programm für den Aufbau von Basisgemeinden auf.
  In den Augen der konservativen Bischöfe ist dieses Programm eine zweischneidige Sache. Sie hoffen so, den Einfluß der radikalen Aktivisten in den Kirchengemeinden zu verringern. Sie hoffen auch, daß die offizielle Annahme dieser Strategie es ihnen ermöglicht, ihre schnell schwindende Kontrolle über die Kirchenbasis wiederzuerlangen oder zumindest zu konsolidieren.
  Ihre Panik ist nicht bloß das Resultat marxistischer Agitation. Christliche Fundamentalisten vom evangelikalen Flügel des Protestantismus, die oft von reichen Gruppen aus den USA unterstützt werden, sind dabei, in Asiens größte katholische "Herde" einzubrechen.
 
  Leben vor dem Tod
  Konservative Theologen und Priester lehren diejenigen, die arbeiten und im Elend leben, in Demut zu leben und auf Erden geldudig zu sein. In der Hoffnung auf Belohnung im Himmel sollen sie Trost suchen. Gleichzeitig werden diejenigen, die von der Arbeitskraft anderer leben, ermahnt, Wohltätigkeit zu praktizieren. Dies gibt ihnen einen billigen Ausweg, ihr Gewissen zu beruhigen und ihre gesamte Existenz als Ausbeuter zu rechtfertigen.
  Indem sie den christlichen Humanismus und den christlichen Frieden predigen, verbergen manche Priester wirksam die Realität antagonistischer Klassenverhältnisse.
  Natürlich möchte die Bourgeoisie gerne ein Bild allgemeinen wirtschaftlichen Friedens und der Harmonie propagieren. Doch der echte Humanismus kann nur aus der Abschaffung des Kapitals und der Abschaffung der Klassen resultieren.
  Dies ist die Perspektive der proletarischen Revolution. Die Arbeiterpartei fordert die Kirchenleute auf, der Realität ins Auge zu sehen. Jeden zu zwingen, die menschliche Würde und den persönlichen Wert anzuerkennen ungeachtet der Klasse, ohne das Kapital und die ganze kapitalistische Ordnung anzurühren, die die Wurzel der Ungleichheit und Erniedrigung bestimmter Klassen der Gesellschaft ist, ist lächerlich. Schlimmer, es ist für die menschliche Gesellschaft zerstörerisch.
  Es ist die Aufgabe der Arbeiterpartei, die unabhängigen Klasseninteressen der Arbeiterklasse zu wahren, der Menschenrechtsbewegung einen proletarischen Stempel aufzudrücken und die sozialistischen Ziele zu betonen, die allein die demokratischen Rechte für die gesamte Menschheit sichern können.
  Doch nachdem die Partei ihre Position verdeutlicht hat, sollte sie Bündnisse schließen und Solidarität mit Kirchenleuten, Individuen und Gruppen, lokal wie international, ausüben, die gleiche Würde, demokratische Rechte und politische Freiheiten für alle fordern.
 
  Theologie der Ganzheit
  Der protestantische Pastor Oscar Suÿrez hat versucht, den christlichen Glauben mit dem Marxismus zu versöhnen. Er vertritt die Auffassung, daß es beim Glauben darum geht, mit der sakralen Dimension der Menschheit ins Reine zu kommen. Diese sakrale Dimension offenbart sich in unserem letztlichen Bemühen um Gerechtigkeit. Beim Streben nach Gerechtigkeit wird man mit der Theorie konfrontiert, die sich mit wissenschaftlich meßbaren und historisch eindeutigen politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen beschäftigt. Glaube und Theorie zu verbinden heißt die vollständige menschliche Entwicklung fördern. [5]
  Wir müssen von der Ganzheit ausgehen, anstatt uns mit bloßen Fragmenten zufrieden zu geben. "Nicht nur vom Brot allein!" Diese Entwicklung beginnt und endet nicht, wie im Kapitalismus, im Individuum, sondern wird kollektiv, wie im Sozialismus.
  In diesem Konzept von Theologie ist die Revolution selbst die Förderung von Gottes Plan für die Menschheit - die Bewahrung der Schöpfung, der Fülle des Lebens. Die gegenwärtige Theologie der Befreiung ist unvollständig, da sie sich nur mit dem Prozeß der Transformation befaßt. Die Theologie der Ganzheit befaßt sich nicht nur mit dem Prozeß, sondern auch mit der Vision und dem Ziel dieses Prozesses. Ein neuer Himmel und eine neue Erde. Das neue Jerusalem, das christliche Sozialisten zu errichten suchen.
  Wie die sozialistischen Ideen motiviert der Glaube Menschen, sich sozial zu engagieren, oft auf einer sehr elementaren Ebene. Dies kann sich zu Teilnahme an revolutionärer Arbeit entwickeln. Letztlich geht es bei der Revolution um die Bewahrung und Entwicklung von Humanität und Schöpfung. Das Christentum, so Suÿrez, sollte sich als eine entschieden humanistische Religion präsentieren.
  Die Befürworter der Theologie der Ganzheit sind bestrebt, alle Formen fundamentalistischer und mystischer Theologie und des Obskurantismus zu bekämpfen. Manche sind weiter gegangen und versuchen den Glauben als etwas von der Religion getrenntes zu begreifen oder ihn zumindest von einem besonderen Gott zu trennen.
  (Gekürzt aus: "International Viewpoint", Nr.308, Februar 1999.)
 
  Anmerkungen
  [1] Siehe Friedrich Engels, "Zur Geschichte des Urchristentums" (1894), in: K.Marx/F. Engels, Werke, Bd.22, Berlin 1963, S.447ff.
  [2] Apostelgeschichte Kapitel 2-3.
  [3] Papst Paul VI., "Entwicklung der Völker".
  [4] Apostelgeschichte Kapitel 4, Vers 32-35.
  [5] "Theologie der Ganzheit", Vorlesungsreihe von Dr. Oscar Suÿrez.
 


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