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Die Zeitung der maoistischen MLPD widmet der
Ausstellung zu David Kings Buch Stalins Retuschen (siehe SoZ 2/99) einen Artikel
("Rote Fahne", Nr.4/99). Die Jünger des Vorsitzenden Stefan Engel
können sich dem überwältigenden Beweismaterial nicht entziehen:
"Mit enormem Aufwand wurden Fotos von gerechtfertigt Verfolgten aus
Büchern herausgerissen, geschwärzt oder mit Federmesser, Pinsel und
Tinte unkenntlich gemacht, aber auch von Opfern ungerechtfertigter, teilweise
verbrecherischer Verfolgung."
Wir konstatieren die Einteilung der Opfer des stalinistischen Terrors in
"gerechtfertigt" und "ungerechtfertigt" Verfolgte, wobei
letztere wieder zu unterteilen sind in verbrecherisch ungerechtfertigt oder weniger
verbrecherisch ungerechtfertigt Verfolgte.
Insgesamt habe die Schau "kein anderes Motiv, als Vorbehalte gegen den
Sozialismus zu schüren". Wie besser aber kann man "Vorbehalte
gegen den Sozialismus schüren" als die "Rote Fahne":
"Sie [die Schau] unterstellt, es habe im Kampf der Bolschewiki mit ihren
politischen Gegnern in der Partei nur die Methode des blutigen Auslöschens
gegeben..." Dies hieße, die Bolschewiki hätten gegen innerparteiliche
Gegner (also gegen eigene Mitglieder) hin und wieder auch einmal andere Methoden
als die des "blutigen Auslöschens" angewandt. Dem
Antikommunismus kein Fußbreit! Stellen wir also klar: Vor der Stalinisierung
wandten die Bolschewiki niemals solche Methoden gegen innerparteiliche Gegner
an.
"...während doch tatsächlich", fährt die "Rote
Fahne" fort, "die Auseinandersetzung mit Trotzki, Bucharin und anderen
Verrätern öffentlich geführt wurde." Die Schauprozesse
waren öffentlich, auch die Produkte der Verfälschung der Positionen ihrer
Opfer, der Geschichte der Revolution und der Partei. Was nicht öffentlich wurde,
das waren die wirklichen Ansichten der Verfolgten und die geschichtliche
Wahrheit.
Die von der MLPD noch heute als "Verräter" verleumdeten
Revolutionäre waren die bolschewistische "Alte Garde" zur Zeit
Lenins. Sie mußten vernichtet werden, um jede lebendige Erinnerung an die
revolutionäre und internationalistische Identität des Bolschewismus
auszulöschen. Daher die Fälschungen in Bild und Schrift.
Laut "Rote Fahne" war für den stalinistischen Terror die
"Denkweise von kleinbürgerlichen Bürokraten in Partei- und
Staatsfunktionen ausschlaggebend", deren "tiefes Mißtrauen in die
Massen". Daraus entstand ein "regelrechter Verfolgungswahn entarteter
Bürokraten", und dafür hatte "die Partei unter Stalins
Führung die Weichen gestellt, indem sie mit dem aufgeblähten
Geheimdienst gegen die Bürokratie" vorging, "anstatt die Massen zu
aktivieren".
Die MLPD-Führung, die den Stein der materialistisch-dialektischen Weisen in
der Tasche hat, erklärt die ganze Welt mit "Denkweisen", ohne sich
zu fragen, ob "Denkweisen" nicht manchmal eine materielle Grundlage
haben. Mit stalinistischen bürokratischen Mitteln, systematischen
Fälschungen und terroristischen Methoden wurde nicht gegen die privilegierte,
herrschende, durch und durch konservativ gewordene stalinistische Bürokratie
vorgegangen, sondern gegen ihre (wirklichen und vermeintlichen) Kritiker. So einfach
löst sich das Rätsel.
Doch auch zu Stefan Engel und den Seinen, hätten sie damals ihre heutigen
Ansichten über die Partei- und Staatsführung unter Stalin
geäußert, wäre im Morgengrauen jemand anderes als der
Milchmann gekommen.