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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite 14

Gerechtfertigt Verfolgte

Die "Rote Fahne" zu "Stalins Retuschen"

Die Zeitung der maoistischen MLPD widmet der Ausstellung zu David Kings Buch Stalins Retuschen (siehe SoZ 2/99) einen Artikel ("Rote Fahne", Nr.4/99). Die Jünger des Vorsitzenden Stefan Engel können sich dem überwältigenden Beweismaterial nicht entziehen: "Mit enormem Aufwand wurden Fotos von gerechtfertigt Verfolgten aus Büchern herausgerissen, geschwärzt oder mit Federmesser, Pinsel und Tinte unkenntlich gemacht, aber auch von Opfern ungerechtfertigter, teilweise verbrecherischer Verfolgung."
  Wir konstatieren die Einteilung der Opfer des stalinistischen Terrors in "gerechtfertigt" und "ungerechtfertigt" Verfolgte, wobei letztere wieder zu unterteilen sind in verbrecherisch ungerechtfertigt oder weniger verbrecherisch ungerechtfertigt Verfolgte.
  Insgesamt habe die Schau "kein anderes Motiv, als Vorbehalte gegen den Sozialismus zu schüren". Wie besser aber kann man "Vorbehalte gegen den Sozialismus schüren" als die "Rote Fahne": "Sie [die Schau] unterstellt, es habe im Kampf der Bolschewiki mit ihren politischen Gegnern in der Partei nur die Methode des blutigen Auslöschens gegeben..." Dies hieße, die Bolschewiki hätten gegen innerparteiliche Gegner (also gegen eigene Mitglieder) hin und wieder auch einmal andere Methoden als die des "blutigen Auslöschens" angewandt. Dem Antikommunismus kein Fußbreit! Stellen wir also klar: Vor der Stalinisierung wandten die Bolschewiki niemals solche Methoden gegen innerparteiliche Gegner an.
  "...während doch tatsächlich", fährt die "Rote Fahne" fort, "die Auseinandersetzung mit Trotzki, Bucharin und anderen Verrätern öffentlich geführt wurde." Die Schauprozesse waren öffentlich, auch die Produkte der Verfälschung der Positionen ihrer Opfer, der Geschichte der Revolution und der Partei. Was nicht öffentlich wurde, das waren die wirklichen Ansichten der Verfolgten und die geschichtliche Wahrheit.
  Die von der MLPD noch heute als "Verräter" verleumdeten Revolutionäre waren die bolschewistische "Alte Garde" zur Zeit Lenins. Sie mußten vernichtet werden, um jede lebendige Erinnerung an die revolutionäre und internationalistische Identität des Bolschewismus auszulöschen. Daher die Fälschungen in Bild und Schrift.
  Laut "Rote Fahne" war für den stalinistischen Terror die "Denkweise von kleinbürgerlichen Bürokraten in Partei- und Staatsfunktionen ausschlaggebend", deren "tiefes Mißtrauen in die Massen". Daraus entstand ein "regelrechter Verfolgungswahn entarteter Bürokraten", und dafür hatte "die Partei unter Stalins Führung die Weichen gestellt, indem sie mit dem aufgeblähten Geheimdienst gegen die Bürokratie" vorging, "anstatt die Massen zu aktivieren".
  Die MLPD-Führung, die den Stein der materialistisch-dialektischen Weisen in der Tasche hat, erklärt die ganze Welt mit "Denkweisen", ohne sich zu fragen, ob "Denkweisen" nicht manchmal eine materielle Grundlage haben. Mit stalinistischen bürokratischen Mitteln, systematischen Fälschungen und terroristischen Methoden wurde nicht gegen die privilegierte, herrschende, durch und durch konservativ gewordene stalinistische Bürokratie vorgegangen, sondern gegen ihre (wirklichen und vermeintlichen) Kritiker. So einfach löst sich das Rätsel.
  Doch auch zu Stefan Engel und den Seinen, hätten sie damals ihre heutigen Ansichten über die Partei- und Staatsführung unter Stalin geäußert, wäre im Morgengrauen jemand anderes als der Milchmann gekommen.
 


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