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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 18.02.1999, Seite

Vom Pop-Underground zum Schmuselied

"Daß die Hauptpersonen so unbefangen, herzlich und leichtsinnig einander die Hände drücken, findet er sehr wahrheitsgetreu" (Franz Kafka, "Blumfeld, ein älterer Junggeselle").
  Es gibt zur Zeit auf dem bundesdeutschen Plattenmarkt wohl keine aktuelle Produktion, die annähernd so unterschiedlich bewertet wird wie Blumfelds Old Nobody. Da jubelt Tobias Thomas in der Januar-Ausgabe von Spex, dem Sprachrohr der Poplinken: "Protestsongs und Liebeslieder sind auf dieser Platte derart ineinander verschlungen, daß man sie gar nicht auseinanderdividieren sollte, sondern tatsächlich ‚einfach so‘ lesen, hören und verstehen kann, ohne direkt Pop-Professor sein zu müssen." In der Jungle World, dem wöchentlichen Zentralorgan der Antideutschen, hält Harald Peters dagegen: "Die vorgeschobene Ernsthaftigkeit ist hier durch eine doppelt ironische Wendung schon wieder reaktionär." Mein Plattenverkäufer kommentiert die Scheibe mit einem schnöden: "Von da ist es nicht mehr weit bis Wolfgang Petri."
  Blumfeld haben bei der Produktion unter mächtigem Druck gestanden. Ohne Zweifel war L‘Etat et Moi von 1994 eine der stärksten deutschsprachigen Platten der 90er Jahre. Nachdem sich 1996 Eike Bohlen (Baß) von Jochen Distelmeyer (Gesang, Gitarre) und Andre Rattay (Schlagzeug) getrennt hatte, um sich seinem Philosophiestudium zu widmen, stießen Peter Thiessen (Baß) und Michael Mühlhaus (Keyboard) zum verbliebenen Duo. Daß eine solche Umbesetzung nicht ohne Einfluß auf die Musik bleibt, ist selbstverständlich. Doch die Texte stammen weiterhin aus der Feder Distelmeyers. Daß Old Nobody dann dermaßen anders ist, als die beiden vorausgegangenen Scheiben, überrascht beim ersten Hören (L‘Etat et Moi war 1991 die Ich-Maschine vorausgegangen).
  Nicht nur die Anzahl der Liebeslieder (neun von elf) überrascht, sondern auch die Nähe zum Schlager. Jochen Distelmeyer relativiert die Neuartigkeit der Lieder des neuen Albums: "Die Art der Komposition und des Arrangements hat sich im Vergleich zu L‘Etat et Moi kaum geändert, nur die Art wie das in Szene gesetzt und durch neue Klangfarben ausgemalt wird." Zur Entwicklung der Texte meint er: "Die Platte ist der derzeitige Zustand meines Versuchs, es einfacher zu machen."
  Dabei auf der Strecke geblieben ist die lockere Art und Weise, die die Texte Blumfelds früher ausmachte. Die Frage ist: kann Popmusik das Ergebnis einer intellektuellen Annäherung an Pop sein. Blumfelds Old Nobody beantwortet diese Frage nicht eindeutig. Die Musik versucht letzte Elemente des früheren, einfach strukturierten Gitarrenrocks einzubringen in den Sound etwa eines George Michael. Die Texte sind nicht nur einfacher, sondern auch flacher. Dennoch weit davon entfernt, sich auf das Niveau von Schlager oder Moses P. herabzulassen. Das Arrangement ist eben durchdachter als bei diesen und auch Liebeslieder kann man sich bei Blumfeld mehrfach anhören, ohne daß es peinlich wird.
  Die eingangs zitierten Widersacher sagen in ihren Kritiken mehr über sich selbst aus, als über die Platte. Der Poplinke über seinen Zugang zur Musik, der ein ähnlicher ist wie Blumfelds, der Antideutsche, dem deutsch gesungene Liebeslieder sicherlich erst einmal suspekt sind, und der Plattenhändler, der nur die Zeit hat, mal oberflächlich in die Musik hineinzuhören. Gerecht werden sie der Platte alle nicht.
  Diese ist eben der Versuch von Intellektuellen eine Popscheibe zu produzieren, sie zeugt davon, daß dies schwierig ist. Ich werde wohl wie viele alte Fans von Blumfeld eher bei den beiden ersten Scheiben bleiben.
  DJ Tommy
 


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