Artikel |
"Daß die Hauptpersonen so unbefangen, herzlich und leichtsinnig
einander die Hände drücken, findet er sehr wahrheitsgetreu" (Franz
Kafka, "Blumfeld, ein älterer Junggeselle").
Es gibt zur Zeit auf dem bundesdeutschen Plattenmarkt wohl keine aktuelle
Produktion, die annähernd so unterschiedlich bewertet wird wie Blumfelds Old
Nobody. Da jubelt Tobias Thomas in der Januar-Ausgabe von Spex, dem Sprachrohr
der Poplinken: "Protestsongs und Liebeslieder sind auf dieser Platte derart
ineinander verschlungen, daß man sie gar nicht auseinanderdividieren sollte,
sondern tatsächlich ‚einfach so lesen, hören und verstehen kann,
ohne direkt Pop-Professor sein zu müssen." In der Jungle World, dem
wöchentlichen Zentralorgan der Antideutschen, hält Harald Peters
dagegen: "Die vorgeschobene Ernsthaftigkeit ist hier durch eine doppelt ironische
Wendung schon wieder reaktionär." Mein Plattenverkäufer
kommentiert die Scheibe mit einem schnöden: "Von da ist es nicht mehr
weit bis Wolfgang Petri."
Blumfeld haben bei der Produktion unter mächtigem Druck gestanden. Ohne
Zweifel war LEtat et Moi von 1994 eine der stärksten deutschsprachigen
Platten der 90er Jahre. Nachdem sich 1996 Eike Bohlen (Baß) von Jochen
Distelmeyer (Gesang, Gitarre) und Andre Rattay (Schlagzeug) getrennt hatte, um sich
seinem Philosophiestudium zu widmen, stießen Peter Thiessen (Baß) und
Michael Mühlhaus (Keyboard) zum verbliebenen Duo. Daß eine solche
Umbesetzung nicht ohne Einfluß auf die Musik bleibt, ist
selbstverständlich. Doch die Texte stammen weiterhin aus der Feder
Distelmeyers. Daß Old Nobody dann dermaßen anders ist, als die beiden
vorausgegangenen Scheiben, überrascht beim ersten Hören (LEtat
et Moi war 1991 die Ich-Maschine vorausgegangen).
Nicht nur die Anzahl der Liebeslieder (neun von elf) überrascht, sondern auch
die Nähe zum Schlager. Jochen Distelmeyer relativiert die Neuartigkeit der
Lieder des neuen Albums: "Die Art der Komposition und des Arrangements hat
sich im Vergleich zu LEtat et Moi kaum geändert, nur die Art wie das in
Szene gesetzt und durch neue Klangfarben ausgemalt wird." Zur Entwicklung
der Texte meint er: "Die Platte ist der derzeitige Zustand meines Versuchs, es
einfacher zu machen."
Dabei auf der Strecke geblieben ist die lockere Art und Weise, die die Texte Blumfelds
früher ausmachte. Die Frage ist: kann Popmusik das Ergebnis einer
intellektuellen Annäherung an Pop sein. Blumfelds Old Nobody beantwortet
diese Frage nicht eindeutig. Die Musik versucht letzte Elemente des früheren,
einfach strukturierten Gitarrenrocks einzubringen in den Sound etwa eines George
Michael. Die Texte sind nicht nur einfacher, sondern auch flacher. Dennoch weit davon
entfernt, sich auf das Niveau von Schlager oder Moses P. herabzulassen. Das
Arrangement ist eben durchdachter als bei diesen und auch Liebeslieder kann man sich
bei Blumfeld mehrfach anhören, ohne daß es peinlich wird.
Die eingangs zitierten Widersacher sagen in ihren Kritiken mehr über sich selbst
aus, als über die Platte. Der Poplinke über seinen Zugang zur Musik, der
ein ähnlicher ist wie Blumfelds, der Antideutsche, dem deutsch gesungene
Liebeslieder sicherlich erst einmal suspekt sind, und der Plattenhändler, der nur
die Zeit hat, mal oberflächlich in die Musik hineinzuhören. Gerecht
werden sie der Platte alle nicht.
Diese ist eben der Versuch von Intellektuellen eine Popscheibe zu produzieren, sie
zeugt davon, daß dies schwierig ist. Ich werde wohl wie viele alte Fans von
Blumfeld eher bei den beiden ersten Scheiben bleiben.
DJ Tommy