Artikel |
Kurdenkrieg" und "Wehrloses Deutschland" titelte Bild,
"Krieg auf Deutschlands Straßen - Wo ist der Kanzler?" fragte der Express. Der grüne
Landespolitiker und selbsternannte "Kurdistanexperte" Siegfried Martsch fürchtet in der
Süddeutschen Zeitung, "daß sich die Kader der in Deutschland agierenden kurdischen
Arbeiterpartei zu einer Art Rote Armee Fraktion entwickeln könnten", und warnt vor Sprengstoff-
und Waffenlagern, mit deren Hilfe "der bewaffnete Kampf in die deutschen Metropolen" getragen
werden könnte.
Auch in der Taz beschwört ein Kommentar drohende Bombenattentate gegen israelische Einrichtungen.
Und der Tagesspiegel sieht mit Schrecken, wie es "in allen größeren Städten
brennt", wie "Aufständische" es verstehen, "innerhalb weniger Stunden ein
friedliches Land in den Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges" zu verwandeln.
Die rassistische Hetze gegen kurdische Flüchtlinge tobt. In Fernsehinterviews erklären der bayrische
Innenminister Beckstein und sein bundespolitisches Pendant Schily einmütig ihr Verlangen,
"kurdische Straftäter" so schnell wie möglich in den Verfolgerstaat abzuschieben und
äußern Bedauern, daß die europäische Menschenrechtskonvention dies eigentlich
verbietet. Aber die Innenministerkonferenz weiß, wie man Menschenrechte umgeht. In guter Kantherscher
Manier soll Schily nun mit der Türkei verhandeln, daß sie für aus der BRD ausgelieferte
Kurden bei beabsichtigter Folter und Todesstrafe ein Auge zudrückt.
Wohltuend sachlich nehmen sich da die Erklärungen des nordrhein-westfälischen
Verfassungsschutzes, die Interviews mit Bundesanwalt Kay Nehm und die Leserbriefe von Vertretern der BAG
Kritischer PolizistInnen aus.
Während der Verfassungsschutz die Aufhebung des PKK-Verbots nahelegt, weist der Bundesanwalt
darauf hin, daß die PKK im juristischen Sinne auch nach den jüngsten Auseinandersetzungen nicht
als terroristisch einzustufen sei. "Ich habe schon Zweifel, ob das was im Hamburger SPD-Haus geschehen
ist, eine Geiselnahme war", erklärt Nehm gegenüber der Taz.
Und für die Kritischen PolizistInnen weist Jürgen Korell darauf hin, daß "nicht
Bundesinnenminister Schily gefragt" sei, "sondern Außenminister Fischer, der sich endlich
für einen Friedensprozeß in Kurdistan einsetzen muß".
Doch derartige Stimmen wirken wie Geflüster vor dem konzertierten Schrei nach Repression.
Rassistische Kreise, nicht nur aus CDU und CSU, versuchen mit aller ihnen zur Verfügung stehenden
Demagogie, die Auseinandersetzungen nach der Entführung Öcalans zu nutzen, um ihre Hetze
gegen Flüchtlinge und MigrantInnen in Deutschland zu verstärken. Jeder zum potentiellen sie viele
weiterer Unterschriften unter ihre fanatische Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Die Regierungsparteien hingegen versuchen mit derselben Rhetorik davon abzulenken, daß sie eine
gehörige Portion Mitschuld an der Eskalation der Situation trifft. Waren es doch Fischer, Vollmer, Beer
und Roth, die es versäumt haben, die Anwesenheit Öcalans in Europa für eine politische
Lösung des Kurdistankonflikts zu nutzen. Heute fordern sie scheinheilig die Täter auf, den Opfern
ein faires Verfahren zukommen zu lassen.
Noch vor wenigen Monaten, waren es diese Grünen, die im Namen der Menschenrechte die Türkei
angeklagt, eine friedliche Lösung gefordert und sich vehement für einen Abschiebestopp
ausgesprochen haben. Heute klingt ihr taktisches Schweigen zu den Massenverhaftungen und Bombardements,
zu Folter, Vergewaltigung und Hinrichtung um vieles lauter, als es ihre vormals guten Worte je
vermochten.
Zum Zeitpunkt dieser Bankrotterklärung kommen die Straßenschlachten nur gelegen, um als
grüner Außenminister mit der Berufsbezeichnung "ehemaliger
Straßenkämpfer" die Opfer zu Tätern zu erklären und sie aufzufordern,
schweigend zu leiden, um nicht Ruhe und Ordnung auf deutschen Straßen zu stören.
Die Friedhofsruhe jenes immer unbeteiligten Deutschland, aus dessen Waffenschmieden die Panzer stammen,
die kurdische Menschen in die Flucht treiben und in dessen Akademien folternde Polizisten auf türkischen
Polizeiwachen ausgebildet wurden.
Bei soviel Verlogenheit kann es der rechten Opposition nicht schwerfallen, die Regierungsparteien vor sich
herzutreiben und sie zu immer neuen rassistischen und menschenrechtsverachtenden Zugeständnissen bei
Abschiebepraxis und Staatsbürgerschaftsrecht zu zwingen.
In Anbetracht dieser Entwicklungen gilt es heute einmal mehr, den Gegendruck zu verstärken, den
KommentatorInnen das Lamento um den Krieg auf Deutschlands unbeteiligten Straßen in den Hals
zurückzustopfen und die Forderungen nach einem bedingungslosen Abschiebestopp sowie nach einer
politischen Lösung des Kurdistankonflikts mit aller Kraft zu fordern.
Zahlreiche Friedens- und Menschenrechtsgruppen aus der gesamten BRD haben sich zusammengefunden, um
der Entwicklung mit einer koordinierten Kampagne entgegenzutreten.
Die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum hat über das Büro Jelpke (PDS) einen Antrag auf
sofortigen Abschiebestopp in den Bundestag eingebracht. Er wird Mitte März verhandelt und muß von entsprechender
Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden.
Auch in die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen soll ein solcher Antrag eingebracht werden. Unabhängig davon hat Pro Asyl in
den letzten Tagen ebenfalls eine entsprechende Kampagne begonnen. Ein Aufruf des Flüchtlingrats Berlin, unterstützt u.a. von
Günter Grass, fordert gleichermaßen den Abschiebestopp.
Wer nicht schweigend zusehen will, wie Flüchtlingsschutz und Menschenrechte auch unter "Rot"-Grün bedenkenlos auf
dem Altar zunehmender Kriminalisierung geopfert werden, muß sich jetzt diesen Aktivitäten anschließen.
Knut Rauchfuss