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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 4

Schäbiger Schlußstrich

Zwangsarbeit

Deutsche Konzerne wollen einen Milliardenfonds für ihre Zwangsarbeiter aus der Zeit des Nationalsozialismus einrichten. Der neue Kanzler aller Deutschen und der Vorstandssprecher der Deutschen Bank sonnen sich im Blitzlichtgewitter der Bonner Presse und verkünden die Bereitschaft deutscher Großkonzerne, Geld an ihre früheren Arbeitssklaven zu zahlen. Und der Coup gelingt: Dem unbedarften Fernsehzuschauer wird am Abend eine deutsche Industrie präsentiert, die reuig zu ihrer Vergangenheit zu stehen scheint.
  Aber wird das nun wirklich die große deutsche Entschädigungsstiftung, die Helmut Kohl verhindert und Gerhard Schröder versprochen hat? Hat die neue Bundesregierung die deutschen Konzernherren tatsächlich überzeugt, sich "dem dunkelsten Kapitel der Firmengeschichte zu stellen"? - Oder war da noch was?
  Der sogenannte Zwei-plus-vier-Vertrag zwischen dem wiedervereinigten Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs hatte die Wende gebracht. Er war der Friedensvertrag, der den überlebenden Zwangsarbeiterinnen un Zwangsarbeitern der Nazifirmen nach fast einem halben Jahrhundert endlich die Möglichkeit öffnete, Entschädigungen von ihren Ausbeutern einzklagen. Sammelklagen auf Milliardensummen sind seitdem bei Gerichten in den USA, in Israel und in Polen eingegangen, und weitere werden folgen.
  Nach deutschem "Recht" ist das Kapitel Zwangsarbeit mit dem Bundesentschädigungsgesetz seit Jahrzehnten abgeschlossen, doch die Richter anderer Länder könnten das anders sehen. In den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft spürt man totgeglaubte Schatten nach den Geldtöpfen greifen.
  Helmut Kohl hatte sich noch persönlich bei Bill Clinton um die Abweisung der ersten Klage gegen deutsche Firmen bemüht. Einen von der Bundesregierung koordinierten Entschädigungstopf hatte er aber blockiert und so setzten die Konzernherren in dieser Frage gleich auf seinen Nachfolger.
  Schon Stunden nach der Bundestagswahl im Herbst 1998 hatten sie Gerhard Schröder auf Linie gebracht: Er begrüßte die Bereitschaft der Unternehmen, Zahlungen an die Zwangsarbeiter zu leisten, tönte der designierte Bundeskanzler in die Fernsehkameras, aber dafür hätten sie "Anspruch auf Schutz durch die Bundesregierung vor unberechtigten Ansprüchen aus dem Ausland".
  Als Schröder dann im Februar 1999 mit Deutschbanker Rolf Breuer vor der Presse in Bonn thronte, definierte dieser den angekündigten Fonds auch gleich als "Schlußstrich" unter die leidige Diskussion um Zwangsarbeit bei deutschen Firmen.
  Und als Kritische Aktionäre kurz darauf in der Hauptversammlung der mitbetroffenen Firma Siemens nachfragten, wann und wieviel Entschädigungsgelder konkret zu erwarten seien, verwahrte sich Vorstandschef Heinrich von Pierer gegen dieses Mißverständnis. Ansprüche auf "Entschädigungen" bestünden doch gar nicht! Die Unternehmen würden lediglich "freiwillige soziale Hilfen" gewähren. Und überhaupt würden diese Gelder nur fließen, "wenn dafür Rechtsfrieden entsteht".
  Im Klartext: Den medienwirksam versprochenen Fonds wird es nur geben, wenn die rot-grüne Bundesregierung vom Ausland Garantien einholt, daß alle Klagen von überlebenden Zwangsarbeitern abgewiesen werden. "Die Bundesregierung hilft uns", bestätigte Pierer.
  Die Eigentümer von Bayer und Hoechst und Siemens und Krupp und von Deutscher wie Dresdner Bank und von all den anderen Firmen mit Nazivergangenheit laben sich weiterhin an dem Vermögen, daß hunderttausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter geschaffen haben. Jetzt wollen sich diese Konzerne von ihrer Geschichte freikaufen, und ein sozialdemokratischer Bundeskanzler schützt die Profiteure faschistischer Sklavenhaltung vor den gerechten Ansprüchen ihrer Opfer. Das ist und bleibt nur eins: schäbig!
 
  Henry Mathews
 
  Der Autor ist Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
 


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