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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 12

Irrungen und Wirrungen

Kaum etwas sorgt in der deutschen Linken für so viel Verwirrung wie die nationale Frage. Die sog. "Antinationalen" haben inzwischen sogar die einfache Wahrheit vergessen, daß der Nationalismus der Unterdrückten und Besiegten anders zu beurteilen ist als derjenige der Unterdrücker und Sieger. Nachdem das "deutsche Volk" für sie zum "Hauptfeind" wurde (die deutsche Bourgeoisie war es dann leider nicht mehr), sind die Hauptfeinde jetzt Iren, Basken, Kosovaren, alles Barbaren, Stammeskrieger, Verbrecher und Terroristen. Demgegenüber sind NATO-, US- und sogar BRD-Imperialismus nur noch ebensoviele Zivilisatoren. Und diejenigen, die Auflehnung gegen nationale Unterdrückung unterstützen, werden als Nationalisten denunziert.
  Werner Pirker denkt nicht so. Doch in seiner Erwiderung auf den Beitrag "Balkan - Alternative zum Krieg" von Catherine Samary (SoZ 3/99) fällt er auf die genannten Muster herein. Dazu gehört die Verfälschung der kritisierten Position. Nirgends jubelt Catherine Samary die UCK hoch, nirgends bezeichnet sie sie als antiimperialistisch, nirgends als Stoßtrupp der Weltrevolution. Und natürlich muß Pirker die Sache selbst schönreden: Da die deutsche Regierung gegen die Serben ist, kann es keine serbische Unterdrückung der Kosovo-Albaner geben, und daß man letzteren den Autonomiestatus genommen hat, ist kein kritisches Wort wert.
  Hinzu kommt der bekannte deutsch-sektiererische Reflex: In der Hauptsache für die Politik hierzulande sind sich Pirker und Samary einig, nämlich in der strikten Gegnerschaft zu jeder imperialistischen Intervention, aber das ist "nicht wichtig". Pirker überschreibt seine Polemik trotzdem mit "Selbstbestimmung im Nato-Reservat?", als ob Samary sich für so etwas ausgesprochen hätte.
  Die Mehrheit der deutschen Linken war lange Zeit nicht fähig zur kritischen Solidarität. Ihrem kindischen Weltbild entsprechend durfte man nur Heilige verteidigen und Teufel verurteilen. Jetzt erkennt die deutsche Linke, daß es keine reinen Heiligen und keine reinen Teufel gibt. Konsequent verteidigt sie niemanden mehr. Egal wieviele Kugeln verschossen und Bomben geworfen werden, man sieht diese Linken nicht mehr auf der Straße. Wozu auch? Es gibt keine Unschuldigen, mögen doch alle verrecken.
  Das Herangehen von Catherine Samary war schon zur Zeit des Vietnamkriegs anders. Sie kritisierte die Verbrechen und Fehler der vietnamesischen Führung schonungslos und verteidigte Nordvietnam und den Vietkong trotzdem bedingungslos gegen den US-Imperialismus. Die Moskau-Peking-Tirana-geschädigte Mehrheit der linken Kräfte in Deutschland hingegen fuhren jedem über‘s Maul, der etwas zu kritisieren hatte - so was, mit Verlaub, nannte man dämonisierend "Trotzkismus". Dieselben Leute, soweit sie überhaupt noch links sind, fallen einem heute in den Arm, wenn man irgend jemanden verteidigt, der nicht haargenau so denkt und handelt, wie sie es sich im Moment gerade wünschen.
  Werner Pirker macht sich die serbische Bezeichnung "Terroristen" für die UCK zu eigen. Würde er PKK und PLO auch so nennen? Wann haben wir es mit Befreiungskampf zu tun, wann mit Terrorismus? Entscheidet darüber Sieg oder Niederlage? Entscheiden darüber Programme? Wurde in den Lagern des ANC nicht gefoltert? Was unterschied das Häuflein eines gewissen Guevara in Bolivien von einer Terroristenbande?
  Catherine Samary bezeichnet die UCK als eine politische Kraft unter vielen. Mit politischer Unterstützung für die UCK hat das nichts zu tun. Samary selbst tritt für das demokratische Recht auf nationale Selbstbestimmung ein, ordnet dies aber nicht ihren allgemeinen emanzipatorischen Ansprüchen unter. Deshalb fordert sie mit besonderem Nachdruck die "Wahrung aller Rechte der serbischen Minderheit" im Kosovo und tritt für einen "Staatenbund" ein, der "allen seinen Bevölkerungsteilen einen gleichberechtigten Status einräumt".
  Die Forderung der UCK nach Unabhängigkeit als "ethnoterroristisch" zu bezeichnen ist Willkür. Die Argumente gegen diese Forderung können nur in andere Vorschläge münden (z.B. in Pirkers Vorschlag, "serbisch bleiben", oder in Samarys Vorschlag eines "Staatenbunds"). Nationalismus aber wird nicht erfolgreich bekämpft, indem man den Menschen das Recht abspricht, selbst zu entscheiden.
 


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