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Kaum etwas sorgt in der deutschen Linken für so viel Verwirrung wie die nationale Frage. Die sog. "Antinationalen" haben inzwischen sogar
die einfache Wahrheit vergessen, daß der Nationalismus der Unterdrückten und Besiegten anders zu beurteilen ist als derjenige der Unterdrücker und Sieger. Nachdem das
"deutsche Volk" für sie zum "Hauptfeind" wurde (die deutsche Bourgeoisie war es dann leider nicht mehr), sind die Hauptfeinde jetzt Iren, Basken, Kosovaren,
alles Barbaren, Stammeskrieger, Verbrecher und Terroristen. Demgegenüber sind NATO-, US- und sogar BRD-Imperialismus nur noch ebensoviele Zivilisatoren. Und diejenigen, die
Auflehnung gegen nationale Unterdrückung unterstützen, werden als Nationalisten denunziert.
Werner Pirker denkt nicht so. Doch in seiner Erwiderung auf den Beitrag "Balkan - Alternative zum Krieg" von Catherine Samary (SoZ 3/99) fällt er auf die genannten
Muster herein. Dazu gehört die Verfälschung der kritisierten Position. Nirgends jubelt Catherine Samary die UCK hoch, nirgends bezeichnet sie sie als antiimperialistisch, nirgends
als Stoßtrupp der Weltrevolution. Und natürlich muß Pirker die Sache selbst schönreden: Da die deutsche Regierung gegen die Serben ist, kann es keine serbische
Unterdrückung der Kosovo-Albaner geben, und daß man letzteren den Autonomiestatus genommen hat, ist kein kritisches Wort wert.
Hinzu kommt der bekannte deutsch-sektiererische Reflex: In der Hauptsache für die Politik hierzulande sind sich Pirker und Samary einig, nämlich in der strikten Gegnerschaft zu
jeder imperialistischen Intervention, aber das ist "nicht wichtig". Pirker überschreibt seine Polemik trotzdem mit "Selbstbestimmung im Nato-Reservat?", als ob
Samary sich für so etwas ausgesprochen hätte.
Die Mehrheit der deutschen Linken war lange Zeit nicht fähig zur kritischen Solidarität. Ihrem kindischen Weltbild entsprechend durfte man nur Heilige verteidigen und Teufel
verurteilen. Jetzt erkennt die deutsche Linke, daß es keine reinen Heiligen und keine reinen Teufel gibt. Konsequent verteidigt sie niemanden mehr. Egal wieviele Kugeln verschossen und
Bomben geworfen werden, man sieht diese Linken nicht mehr auf der Straße. Wozu auch? Es gibt keine Unschuldigen, mögen doch alle verrecken.
Das Herangehen von Catherine Samary war schon zur Zeit des Vietnamkriegs anders. Sie kritisierte die Verbrechen und Fehler der vietnamesischen Führung schonungslos und verteidigte
Nordvietnam und den Vietkong trotzdem bedingungslos gegen den US-Imperialismus. Die Moskau-Peking-Tirana-geschädigte Mehrheit der linken Kräfte in Deutschland hingegen
fuhren jedem übers Maul, der etwas zu kritisieren hatte - so was, mit Verlaub, nannte man dämonisierend "Trotzkismus". Dieselben Leute, soweit sie
überhaupt noch links sind, fallen einem heute in den Arm, wenn man irgend jemanden verteidigt, der nicht haargenau so denkt und handelt, wie sie es sich im Moment gerade
wünschen.
Werner Pirker macht sich die serbische Bezeichnung "Terroristen" für die UCK zu eigen. Würde er PKK und PLO auch so nennen? Wann haben wir es mit
Befreiungskampf zu tun, wann mit Terrorismus? Entscheidet darüber Sieg oder Niederlage? Entscheiden darüber Programme? Wurde in den Lagern des ANC nicht gefoltert? Was
unterschied das Häuflein eines gewissen Guevara in Bolivien von einer Terroristenbande?
Catherine Samary bezeichnet die UCK als eine politische Kraft unter vielen. Mit politischer Unterstützung für die UCK hat das nichts zu tun. Samary selbst tritt für das
demokratische Recht auf nationale Selbstbestimmung ein, ordnet dies aber nicht ihren allgemeinen emanzipatorischen Ansprüchen unter. Deshalb fordert sie mit besonderem Nachdruck
die "Wahrung aller Rechte der serbischen Minderheit" im Kosovo und tritt für einen "Staatenbund" ein, der "allen seinen Bevölkerungsteilen einen
gleichberechtigten Status einräumt".
Die Forderung der UCK nach Unabhängigkeit als "ethnoterroristisch" zu bezeichnen ist Willkür. Die Argumente gegen diese Forderung können nur in andere
Vorschläge münden (z.B. in Pirkers Vorschlag, "serbisch bleiben", oder in Samarys Vorschlag eines "Staatenbunds"). Nationalismus aber wird nicht
erfolgreich bekämpft, indem man den Menschen das Recht abspricht, selbst zu entscheiden.