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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 15

"Aimée und Jaguar"

Deutschland 1998, Regie: Max Färberböck; mit Maria Schrader, Juliane Köhler, Johanna Wokalek, Heike Makatsch.

Der Film beginnt im heutigen Berlin. In der Nähe des neuen Regierungsviertels wird eine alte Frau aus ihrer Wohnung geräumt, um Neu- HauptstädterInnen Platz zu machen. Es ist Lilly Wust. Sie wird in ein Altenheim verfrachtet. Dort trifft sie auf eine alte Bekannte: Ilse. Die beiden alten Frauen sind durch die Liebe zu einer dritten Frau verbunden: Felice Schragenheim.
  Rückblende, Berlin 1943: Felice ist Jüdin und lebt illegal in Berlin. Sie versteckt sich bei ihrer Freundin Ilse. Doch Felice hat nach dem Urteil ihrer Zeitgenossen noch einen weiteren Makel: sie ist lesbisch. Ilse ist ihre Geliebte. Außer Felice leben noch zwei weitere junge jüdische Frauen mit der Hilfe Ilses illegal in Berlin. Felice ist es gelungen, als Sekretärin bei einer Zeitung angestellt zu werden. Wie sie das ohne gültige Papiere geschafft hat, verrät der Film nicht und läßt so einen kleinen Zweifel an der behaupteten Authentizität der Handlung aufkommen.
  In denkbar scharfem Kontrast zu Felice verläuft das Leben der Lilly Wust: verheiratet mit einem Nazi, vier Kinder, Trägerin des bronzenen Mutterkreuzes - eine brave Mitläuferin. Wie ist es möglich, daß sich zwei so unterschiedliche Lebenskreise berühren? Das Bindeglied ist Ilse. Sie ist als Hausmädchen dienstverpflichtet im Haushalt der Wusts. So treffen sich Lilly und Felice, und so wird aus ihnen das Liebespaar Aimée und Jaguar.
  Felice ist trotz der für sie lebensgefährlichen Situation optimistisch und lebenslustig. Sie will jeden Moment ihres Lebens auskosten. So schafft sie es, mit Lilly trotzdem glücklich zu werden. Am Schluß wird Felice verraten und ins KZ Theresienstadt deportiert. Auf einem der Todesmärsche kommt sie am Ende des Zweiten Weltkriegs ums Leben, wie die ZuschauerInnen im Abspann erfahren.
  Das Regiedebut von Max Färberböck zeigt Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Stadt liegt schon halb in Trümmern, die Brutalität des Nazi-Regimes erreicht ihren Höhepunkt. Die Deportation von Juden geht weiter. Die Suche nach versteckt Lebenden wird noch verstärkt. Das alles wird aber überwiegend nur angedeutet. Trauriger Höhepunkt im Film ist die Ermordung einer Jüdin auf offener Straße durch die Gestapo.
  Inmitten all dieses Elends suchen viele BerlinerInnen immer noch ihr Vergnügen. Ob sie damit dem Elend ein Schnippchen schlagen wollen oder ob sie sich so vor der Verantwortung für die Zustände drücken wollen, läßt der Film offen. Das Verhältnis der Menschen zum Nazi-Faschismus wird nicht wirklich thematisiert. Zwar beschönigt der Film die Zustände nicht, aber ein wenig wirkt es so, als sei der Nationalsozialismus so etwas wie eine Naturkatastrophe, mit der die Leute in ihrem Alltag irgendwie zurecht kommen müßten, ohne daß sie wirklich etwas ändern könnten.
  Das eigentlich besondere an diesem Film ist die Thematisierung einer lesbischen Liebe vor dem Hintergrund des deutschen Faschismus. Nach Bent ist dies der zweite Film dieses Jahres, der das Thema Homosexualität im Dritten Reich zum Thema hat. Während Bent den Versuch unternimmt, die Liebe zwischen zwei Männern im KZ Dachau zu schildern, wählt Färberböck das noch im Untergang vergnügungssüchtige Berlin als Hintergrund seiner Erzählung. Dabei entsteht der Eindruck, daß die Suche nach persönlichem Glück alles sei, was man der faschistischen Barbarei entgegensetzen könne.
  Politischer Widerstand wird nur am Rande gestreift. Ilses Vater ist Kommunist und gewährt der Jüdin Felice Unterschlupf. Als er erfährt, daß Ilse und Felice ein lesbisches Verhältnis haben, setzt er Felice auf die Straße. Die Schilderung im Film kommt aber daher, als handele es sich um eine ganz normale familiäre Auseinandersetzung und nicht darum, daß Felice dadurch in noch größere Lebensgefahr gerät. Auch als Lillys Vater einen politischen Witz erzählt und ihm daraufhin ein Offizier die Denunziation androht, hat das merkwürdigerweise keine Folgen. Der Charakter einer Gruppe, die falsche Papiere für "Illegale" besorgt, bleibt unklar. Handeln sie aus politischen oder finanziellen Motiven?
  Auch die Verfolgung Homosexueller durch die Nazis wird nicht direkt thematisiert. Der Film verharmlost die Zustände zwar nicht, aber sie geben nur den Hintergrund ab, vor dem eine zwar anrührende aber letztlich beliebige Liebesgeschichte spielt. So ist der Film zwar eindrucksvoll in Szene gesetzt und auch die Leistungen der SchauspielerInnen, allen voran Maria Schrader, überzeugen, aber die Aussage bleibt dürftig.
  Andreas Bodden
 


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