Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 18.03.1999, Seite 4

Staatsspitzel:

Buchveröffentlichung als Grund für Überwachung

Über einen längeren Zeitraum hat die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts das Rheinische JournalistInnenbüro in Köln überwacht. Der offizielle Grund: eine Buchveröffentlichung. Das erklärten niedersächsische LKA-Beamten, die als Zeugen zum Prozess gegen die "Antiimperialistischen Zellen" Ende Januar vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf geladen waren.
 
  In dem bereits 1991 veröffentlichten Buch Wind, Sand und Mercedessterne beschäftigt sich Karl Rössel, Mitarbeiter im Rheinischen JournalistInnenbüro und SoZ-Autor, mit dem Kampf der Sahrauis für ihre Unabhängigkeit. Ein Kapitel widmet der Journalist der Bundesrepublik und ihrer Unterstützung des vom marokkanischen Regime geführten Krieges in der Westsahara. In diesem Zusammenhang kommt die Sprache u.a. auf den ehemaligen Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), Volkmar Köhler (CDU), der zum damaligen Zeitpunkt als eine der Schlüsselfiguren der marokkanischen Verbindungen in der Bundesrepublik galt. Unter dem Vorwand der Neutralität verhinderte dieser Ministerialbeamte Ende der 80er Jahre humanitäre Hilfsleistungen in die Westsahara. Außerdem enthüllt das Buch die Verwicklungen Köhlers in Waffengeschäfte mit der marokkanischen Diktatur.
  Mehrere Jahre später, Anfang 1995, beschädigte ein Sprengstoffanschlag das Wolfsburger Haus des ehemaligen Staatssekretärs. Nach der Auswertung des "Selbstbezichtigungsschreibens" der "Antiimperialistischen Zellen", so LKA-Beamte vor dem Oberlandesgericht, seien sie bei einer Literaturrecherche auf das Buch von Karl Rössel gestoßen, das als "eventuelle Vorlage in Betracht komme".
  Nachdem sich die Beamten ihre Klischees im Rahmen der Rasterfahndung zurechtgelegt hatten, folgten weitere Ermittlungen. Neben den Abhörmaßnahmen beim Rheinischen Journalistenbüro gerieten auch private und politische Kontakte von Karl Rössel ins Visier der Staatsschützer. Doch damit nicht genug: Sie durchforsteten außerdem eine Million Datensätze der Stadtbibliothek in Bremen. Die Stadt sei Sitz der "Freunde des sahrauischen Volkes", der einzigen Gruppe der "linksextremistischen Szene" mit "inhaltlichen Bezügen zu diesem Thema". Die Stadtbibliothek in Hannover war ebenfalls Objekt der Ermittlungen. Auch die Verlagsinhaberin des Horlemann-Verlags sei aufgefordert worden, eine detaillierte Auslieferungsliste vorzulegen. Sie habe sich jedoch geweigert, beklagten die Beamten.
  Das Rheinische JournalistInnenbüro protestiert gegen die "offensichtlich grenzenlose Fahndungswut der staatlichen Ermittler". Sie wollen sich auch juristisch dagegen wehren, daß wegen der "kritischen Bestandaufnahme bundesdeutscher Entwicklungspolitik" der Staatschutz "einen Autor sowie sein gesamtes persönliches, berufliches und politisches Umfeld überwachen" läßt.
  Die Absurdität der staatlichen Ermittlungen ist offensichtlich. "Folgte man der Logik der Staatsschützer", erklärt das Rheinische JournalistInnenbüro, "könnten z.B. alle potentiellen HörerInnen des WDR-Radios durchleuchtet werden". Denn am 16.September 1990 hat Karl Rössel auch in einem Hörfunkfeature auf WDR3 über die politische Lobby für die marokkanische Diktatur in der Bundesrepublik berichtet.
  Das Rheinische JournalistInnenbüro hat bei der Industriegewerkschaft Medien einen Antrag auf Rechtsschutz gestellt. Sie wollen Akteneinsicht verlangen, den Zeitraum und Umfang der Bespitzelung erfahren und "die Löschung aller Daten in den Archiven von LKA und Verfassungsschutz erwirken".
  Die Rechtsabteilung des Hauptvorstands in Stuttgart hat Anfang März Rechtsschutz für die erste Instanz vor dem Verwaltungsgericht gewährt. Eine Kulanzentscheidung, denn gerichtliche Auseinandersetzungen dieser Art sind nicht im Katalog der Rechtsstreitigkeiten enthalten, die von der IG Medien abgedeckt werden. Die MitarbeiterInnen des Rheinischen JournalistInnenbüros haben die Nachricht positiv aufgenommen. Allerdings sehen sie bei einem Prozeß in der ersten Instanz "keine großen Aussichten auf Erfolg".
 
  Gerhard Klas
 


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