Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 18.03.1999, Seite 5

Stahltarifrunde

Nicht weniger als bei Metall!

Am 16. und 17.März laufen Warnstreiks in der Stahlbranche. Wenn die Unternehmerseite sich nicht bewegt, wird es zu Urabstimmung und regulärem Streik kommen. Wir bringen im folgenden Auszüge aus dem ersten Teil einer Rede des Betriebsratsmitglieds HERMANN DIERKES vom 10.März auf der Betriebsversammlung der Eisenbahn und Häfen GmbH (EH) in Duisburg. Im weiteren Verlauf ging der Redner auch auf verschiedene Aspekte der Regierungspolitik ein.

Ende Februar sind unsere derzeitigen Entgelttarifverträge ausgelaufen. Die große Tarifkommission Stahl hat am 23.Februar unsere Forderungen beschlossen: 6,5 Prozent Erhöhung der Löhne und Gehälter, 80 DM mehr für alle Ausbildungsjahre der Azubis, Laufzeit 12 Monate. In der ersten Verhandlungsrunde, am 2.März, gab es kein Angebot des Arbeitgeberverbands Stahl. Heute wurden die Verhandlungen ergebnislos vertagt.
  Nach zwei sehr guten Geschäftsjahren mit hoher Auslastung, massiven Investitionen, weltweiten Übernahmen, Zusammenschlüssen sowie Stärkung der Marktposition - nicht zuletzt bei Thyssen-Krupp-Stahl - und Rekordgewinnen wird es höchste Zeit, daß auch die Beschäftigten ihren Anteil daran haben. Vereinzelte Einmalzahlungen in der Branche dürfen auf keinen Fall als Vorauszahlung auf den neuen Tarifvertrag mißverstanden werden. Sie waren nichts anderes als eine verspätete Wiedergutmachungsgeste für einen Tarifabschluß, der für uns mäßig, für die Konzerne und Großaktionäre aber sehr vorteilhaft war. Bei der heutigen Verhandlung haben die "Arbeitgeber" folgendes - es fällt mir schwer, dieses Wort auszusprechen - "Angebot" gemacht: 2,2 Prozent ab 1.3. auf 15 Monate zuzüglich 0,6 Prozent ab Januar 2000. Für die Azubis entsprechend. Diese Zahlen können nur als Provokation verstanden werden.
  Nun wissen wir, daß die wirtschaftliche Lage in allen Branchen uneinheitlich ist, auch in der Stahlindustrie. So haben wir aktuell "glänzende Bilanzen" beim Branchenersten Thyssen-Krupp-Stahl (TKS) und - nach einer Phase des Rückgangs - ein Wiederanziehen der Mengenkonjunktur und Preiserhöhungen bei wichtigen Produkten. Finster sieht es aus im Geschäft mit nahtlosen Röhren. Mäßig verlaufen auch die Geschäfte bei Edelstahl. Aber solche Uneinheitlichkeit war nie und ist auch heute kein Grund, auf den Flächentarifvertrag zu verzichten. Unsere Forderung ist vertretbar und begründet. Sie orientiert sich an der Produktivitätsentwicklung und an der Preissteigerungsrate. Und wir übersehen auch nicht, daß hinter den schwächeren Unternehmen - Ausnahmen bestätigen die Regel - Banken und Konzerne stehen, die überhaupt keinen Grund haben, über schlechte Gewinne zu klagen.
  Forderungen sind bekanntlich noch nicht das Ergebnis. Mit dem Schlichtungsergebnis von Böblingen für den Metallbezirk Stuttgart wurde für die gesamte Tariflandschaft eine Marke gesetzt, die in der Stahlindustrie auf gar keinen Fall unterschritten werden darf. Wir wollen uns nicht an dem Gezerre über das tatsächliche Volumen beteiligen, ob 3,6 Prozent, wie aus dem Arbeitgeberlager behauptet, oder "4+", wie es von gewerkschaftlicher Seite kommt. Leider erlaubt die Struktur des Abschlusses wieder einmal verschiedene Rechnungen. Bedeutsam an diesem Ergebnis ist noch etwas, und das ist unzweifelhaft ein ganz großer Erfolg:
  - Die Tarifrunde ist nicht mit den laufenden Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen vermischt worden, auch wenn Herr Henkel als Oberscharfmacher der Arbeitgeber schon wieder mit seiner Nichtteilnahme droht. Soll er wegbleiben. Ein Bündnis mit seiner Zustimmung würde nichts Gutes für die abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen bedeuten.
  - Die Unternehmerseite konnte ihren Traum von gewinnabhängigen Bestandteilen im laufenden Entgelt nicht verwirklichen. Das wäre ein ganz dicker Nagel im Sarg des Flächentarifvertrags gewesen!
  Dieser Erfolg geht maßgeblich auf die Kampfentschlossenheit und Mobilisierung von fast einer Million Kolleginnen und Kollegen in der metallverarbeitenden Industrie zurück, die sich an den Warnstreiks beteiligt haben. Bei ihnen haben wir uns vor allen anderen zu bedanken. Kein Wunder, daß aus dem Arbeitgeberlager prompt die Forderung nach einer Streikverhinderungsbehörde aufgestellt wurde. Das wäre ja noch schöner! Mit uns jedenfalls nicht.
  Wäre es innerhalb des 38-Stunden-Ultimatums der IG Metall nicht zu einem akzeptablen Ergebnis gekommen, hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit den großen Streik gegeben, den Unternehmer und Bundesregierung unter allen Umständen vermeiden wollten. Und: Das Ergebnis von Böblingen war möglich, weil die Unternehmer die Streikfähigkeit der IG Metall richtig eingeschätzt hatten. Das sei allen nochmal ins Stammbuch geschrieben, die mit Gewerkschaftsbeiträgen knausern oder sogar meinen, auch ohne Gewerkschaft klar zu kommen. Diese Kollegen täuschen sich.
  Der Abschluß von Böblingen ist allerdings noch nicht das Ende der Bescheidenheit. Er liegt zwar höher als die vorangegangenen Tarifabschlüsse, ist aber immer noch bescheiden schön, wenn wir uns die krasse Schieflage in der Vermögensverteilung während 16 Jahren Kohlregierung und Globalisierungsschwindel anschauen.
 


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