Sozialistische Zeitung |
In El Salvador ist nun jeder Initiative für eine Straffreiheit von Abtreibungen ein Riegel vorgeschoben.
Obwohl Abtreibungen in jedem Fall verboten sind und es keine aussichtsreichen breiteren Stimmen für eine Lockerung oder gar eine
Aufhebung dieser Bestimmung gibt, ist das "Recht auf Leben" vor kurzem in die Verfassung aufgenommen worden - das
"Recht" der Föten...
Verfassungsänderungen müssen in El Salvador in zwei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden vom Parlament verabschiedet
werden. Ohne große vorherige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hatten die Abgeordneten von ARENA, der regierenden
konservativen bis rechtsextremen Partei, am 30.April 1997, dem letzten Sitzungstag der alten Nationalversammlung (in dem ARENA seit 1994
über 39 von 84 Sitze verfügte, während sie nach den Wahlen vom 16.März 1997 nur noch 28 Abgeordnete stellt), einen
entsprechenden Antrag als Teil eines Pakets mit Änderungen an 24 Verfassungsartikeln durchgebracht.
Eineinhalb Jahre später, Ende 1998, ergriff dann ein Comité para la Defensa de la Vida Humana y la Dignidad de la Persona
(Komitee für den Schutz des Lebens und die Würde der Persönlichkeit) die Initiative zur Ratifizierung der
Verfassungsänderung. Am 1.Februar, mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs für die Präsidentschaft, wurde dem
Parlament eine Petition mit mehreren Tausend Unterschriften übergeben, in der die Ratifizierung der Verfassungsänderung gefordert
wird. Die Lebensschützerinnen und Lebensschützer konnten am 3.Februar, dem Tag der Abstimmung im Parlament, mehrere hundert
Menschen, in der Mehrzahl Frauen, darunter viele Schülerinnen und Schüler und kirchliche Gruppen, vor das Gebäude der
gesetzgebenden Versammlung in San Salvador mobilisieren.
Die Verfassungsänderung ging glatt über die Bühne: 72 der 84 Abgeordneten stimmten dafür; 56 Stimmen wären
notwendig gewesen, um die Verfassung zu ändern. Die Verantwortung liegt bei den Parlamentariern der größten und
wichtigsten Partei der salvadorianischen Linken, der Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) - sie hätten
diesen Beschluß wahrscheinlich sogar verhindern können, stellt sie doch 27 Abgeordnete. Sie hätte vermutlich einige
Verbündete oder Zweifelnde aus anderen Parteien mitziehen können.
Das Gegenteil war der Fall: nur zwölf stimmten bei der namentlichen Abstimmung nicht dafür. Die Parlamentsfraktion der
"Frente" hatte die Entscheidung den einzelnen überlassen. Das Gewissen der Parlamentarier veranlaßte sie zu einem
Verhalten, das sich exakt mit der allgemeinen politischen Orientierung deckt: Die 15 Abgeordneten, die sich dem rechten Flügel der
FMLN unter Führung des Generalkoordinators und Präsidentschaftskandidaten Facundo Guardado zuordnen lassen, stimmten mit
den Parteien der Rechten und der "Mitte"; die 12, die zu dem linken Flügel gehören, scherten aus dem Konsens der
politischen Elite und der "Zivilgesellschaft" aus. Die neun Frauen der Parlamentsfraktion - ein Drittel, etwa gleich viel wie unter
den Parteimitgliedern - stehen in beiden Lagern. Die Minderheit der FMLN-Fraktion stimmte aber nicht etwa gegen die
Verfassungsänderung, sondern enthielt sich.
El Salvador, Kolumbien und Chile sind die einzigen Länder in Lateinamerika, in denen jegliche Form von Schwangerschaftsabbruch,
auch der sogenannte "therapeutische" (bei Gefahr für das Leben der Mutter, im Fall einer sehr hohen Unwahrscheinlichkeit
des Überlebens eines Babys), verboten ist. Lorena Peña Mendoza, besser bekannt unter ihrem Kriegsnamen "Rebeca
Palacios", hat in einem Interview die Situation beschrieben:
"Hier ist die Abtreibung illegal. Das ist einer der Punkte, an dem unsere Gesetzgebung zurückgeblieben ist. Das ist eine große
Schwierigkeit, denn auf der einen Seite ist es illegal, und die Kirche ist dagegen, aber auf der anderen Seite findet es täglich statt. Und
die Leute sterben daran. Nur die ganz Reichen haben ihren Arzt, der geheime Abtreibungen durchführt. Hier gibt es eine Menge
Privatkliniken, die sowas machen. Wenn du gut zahlst, gibt es kein Problem, alles klar. Aber die übergroße Mehrheit macht es, wie
es irgend geht - denn in den öffentlichen Krankenhäusern praktizieren sie keine Abtreibungen, weil es illegal ist. Auf dem Land ist
es entsetzlich verbreitet. So schlimm, daß hierum ein Kampf geführt werden muß. Die Kirche wird sich in diesem Punkt
modernisieren und akzeptieren müssen, daß sie ihre Vorstellungen mit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung kombinieren
muß, wie sie es in ihrer Geschichte getan hat."
Entscheidung der Frauen
"Rebeca", die 1973 im Alter von 17 Jahren als radikalisierte Christin in die revolutionäre Bewegung eintrat und sich den
Fuerzas Populares de Liberación (FPL) anschloß, gehört jetzt dem Consejo Nacional (etwa: Vorstand) der FMLN an und ist
Abgeordnete - während der Abstimmung über die Änderung der Verfassung war sie im Ausland, so daß ihre offene
Kritik an den Kolleginnen und Kollegen der "Frente" erst zwei Tage später in der Zeitung zu lesen war. Sie verbindet ihre
Aktivität als Sozialistin mit einem Engagement in der feministischen Bewegung.
Sie war von Anfang an führend an der Bildung einer autonomen Frauenorganisation beteiligt, die im Juli 1992 von FPL-Frauen ins Leben
gerufen wurde, dem Movimiento Mélida Anaya Montes (MAM), jedoch von deren Organisationsstrukturen und denen der FMLN
unabhängig ist und sich nicht als Instrument der Partei versteht - und auch nicht so verhält. Die "Mélidas", wie
sie sich selber nennen, sind ein interessanter Ansatz für sozialistisch-feministischer Aktivitäten.
Während die Frauen seit den 70er Jahren bedeutende Funktionen in den legal wie illegal arbeitenden Volksorganisationen hatten, war es
bis in die 90er Jahre selten der Fall, daß sie sich als Feministinnen verstanden und sich mit den Geschlechterverhältnissen
befaßten, die traditionellen Rollen als Frauen und Männer in Frage stellten - während des Krieges standen andere Fragen im
Vordergrund. Die Todesgefahr war allgegenwärtig - Umgang mit Waffen, militärische Disziplin, Kämpfertum, Heroismus,
Opferbereitschaft waren die weithin akzeptierten Werte und Haltungen, die im Einflußbereich der FMLN das Überleben sicherten;
Gefühle waren zurückzustellen.
Nach den Friedensvereinbarungen von 1991/92 und der Integration der früheren Guerilla in das legale politische Leben ist in Salvador
eine neue Frauenbewegung entstanden. Sie setzt sich nachdrücklich für die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen am
öffentlichen Leben, auch in den hohen Ämtern in Verbänden, Parteien, Institutionen ein, die traditionell den Männern
vorbehalten waren; seltener und nur von wenigen werden Fragen des "Privaten" und der Beziehungen zwischen den Geschlechtern
aufgegriffen.
Neben den "Mélidas" sind es vor allem die "Dignas", die sich trauen, offen für die Entkriminalisierung der
Abtreibung einzutreten. "Las Dignas" (Die Würdigen), eigentlich Mujeres por la Dignidad y la Vida" (Frauen für
die Würde und das Leben), sind eine kleinere Frauenorganisation, die 1990 von Aktivistinnen gegründet wurde, die damals, noch
während der Periode des bewaffneten Kampfes, aus der Resistencia Nacional, einer anderen Organisation der FMLN,
austraten.
In den Jahren des bewaffneten Kampfes (1981-1992) haben einige Tausend überwiegend jugendliche Frauen der FMLN angehört;
bei der offiziellen Demobilisierung der combatientes (Kämpfer und Kämpferinnen) waren es knapp 4500 von ca. 15000.
Mutterschaft und revolutionärer Kampf galten als unvereinbar; daher praktizierten Ärztinnen der Frente in den Camps und
Hospitalen der Frente Abbrüche. Die Frauen aus dem Bauernschaft lehnten Abtreibungen vielfach ab; auch diejenigen, die dem Eingriff
zustimmten (vor allem Frauen mit führenden Positionen in der FMLN und in der Stadt illegal operierende Frauen), ließen sich oft
gegen ihre eigentliche innere, religiöse Überzeugung dazu überreden.
In einer Untersuchung, für die 60 Frauen befragt wurden, die in den Reihen der FMLN kämpften bzw. sie unterstützten (und
von denen 37 während des Krieges mindestens ein Kind bekamen), heißt es: "In der Guerilla war das Thema
Schwangerschaftsabbruch derselben Logik unterworfen wie in der übrigen Gesellschaft auch: Geheimhaltung, Schuldzuweisung an die
Frauen, die ihn praktizierten, Schweigen und oft ein lebensbedrohendes Risiko für die Frauen."
Am bedeutendsten war das breite Bündnis mit der Plattform "Mujeres 94". Nachdem die Frauen in den
Friedensvereinbarungen nur am Rande berücksichtigt worden waren, bildete es sich Ende August 1993 nach einem längeren
Diskussionsprozeß unter Beteiligung von zahlreichen Frauenorganisationen und Frauenstrukturen von gemischten Verbänden (und
der Überwindung des Mißtrauens zwischen "Parteifrauen" und autonomen Feministinnen, meist ehemalige Mitglieder
der einen oder anderen FMLN-Fraktion).
Auf einer Versammlung von über 3000 Frauen wurde die Plattform verabschiedet. Über sowie unter dem Text mit einer
Lagebeschreibung und einer Liste von 78 Forderungen steht die Parole: "Mujeres... Decidamos por nosotras mismas!" (Frauen,
entscheiden wir selber!) Die Lage wird dort so beschrieben: "Das Fehlen von Sexualerziehung und das Fehlen von Wissen in bezug auf
die Reproduktion verhindern die Ausübung einer verantwortlichen Vaterschaft und Mutterschaft. Die unerwünschten
Schwangerschaften, die zur Abtreibung führen, stellen die vierthäufigste Ursache für den Tod von Müttern
dar."
Was mit "Mujeres 94" im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen vom März 1994 gelungen war, konnte zu den
Parlaments- und Gemeindewahlen vom März 1997 nicht wiederholt werden. Nicht zuletzt wegen eines unterschiedlichen
Verständnisses von Autonomie konnten sich die mehr oder minder der Frente nahe stehenden Frauenorganisationen erst im Februar auf
eine Plattform einigen, die dann erst sechs Tage vor dem Wahltermin veröffentlicht wurde.
Allgemein wird über Abtreibung und der Forderung nach Legalisierung eher noch weniger geredet als 1993/94; die meisten
Äußerungen beziehen sich auf bessere Gesundheitsversorgung für Frauen, Familienpolitik, Gewalt gegen Frauen, ohne
daß das heikle Thema der Abtreibung direkt angesprochen wird.
Dabei hat sich innerhalb der Linken seit den 70er und 80er Jahren einiges geändert. Beispielsweise hat nun jede Gewerkschaft, jeder
Bauernverband, jede Nichtregierungsorganisation eine "gender"-Verantwortliche oder ein Frauensekretariat.
Ein anderes Beispiel: Schafik Handal, der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei El Salvadors (PCS), jetzt
Vorsitzender der Parlamentsfraktion der FMLN, der große alte Mann der linken FMLN-Strömung, beginnt seine Reden inzwischen
selbstverständlich mit der Anrede "Compañeros y compañeras".
Auf der anderen Seite wird in El Salvador die (bei beiden Geschlechtern) tief verwurzelte Vorstellung, daß eine Frau nur als Mutter
Erfüllung finden kann, nur selten in Frage gestellt, auch in der FMLN und den meisten Frauenverbänden gilt die Familien als die
selbstverständliche, nicht hinterfragte Form des Zusammenlebens.
Und angesichts der Stärke und des Einflusses katholischer Moralvorstellungen unter einer zu einem beträchtlichen Teil noch
bäuerlichen Bevölkerung, der Kultur des "machismo" und der Schwierigkeiten und der anhaltenden Apathie der
sozialen Bewegungen nach 1992 wird noch ein langer und schwieriger Weg zurückzulegen sein, bis über selbstbestimmte
Sexualität nicht mehr vorwiegend im Zusammenhang mit Gesundheitspolitik oder Gewalt gegen Frauen gesprochen werden
wird.
Federico Espina