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Nach den Bundestagswahlen wähnten Westlinke die PDS in einer komfortablen Position: Von wenigen
Ausnahmen abgesehen hatte sie in Ost und West ihre besten Wahlergebnisse eingefahren. Sie erhielt in Bonn Fraktionsstatus und damit das
Recht auf einen erheblich vergrößerten Apparat, eine Bundestagsvizepräsidentin und eine öffentlich geförderte
Bundesstiftung, die mit über 8 Millionen DM dotiert ist. In Mecklenburg-Vorpommern war sie bei den gleichzeitig stattfindenden
Landtagswahlen zweitstärkste Partei geworden.
Dieses Ergebnis hätte einen Spagat ermöglicht, der zwar nicht den Aufgaben einer sozialistischen Oppositionspartei entsprochen,
aber doch die beiden Seelen in der Brust der PDS berücksichtigt hätte: in Mecklenburg-Vorpommern eine Regierungskoalition mit
der SPD (die die PDS-Wählerschaft auch will), im Bundestag eine geharnischte und lautstarke Opposition gegn sie, die
gesellschaftlichen Protest von links gegen die Fortsetzung neoliberaler Politik aufbaut. Angesichts der verbreiteten Westignoranz
gegenüber den Entwicklungen in Ostdeutschland hätte die Partei bei einem solchen Spagat im Osten keine Federn gelassen, im
Westen als Kristallisationspunkt fortschrittlicher Opposition Zulauf bekommen. Eine solche Linie hätte es einer systemoppositionellen
Linken in Westdeutschland schwer gemacht.
Aber diese Überlegungen waren ganz umsonst. Bisher ist die Partei vorwiegend mit der vor Prteitagen üblichen Nabelschau und
Selbstzerfleischung in Erscheinung getreten, man denke nur an die Affäre um die Einstellung des ehemaligen Top-Spions Rainer Rupp
als Mitarbeiter der Fraktion und an die Interviews von André Brie, in denen er wieder anmahnte, die PDS habe "zu wenig
Interesse an der Aufarbeitung der Geschichte und der DDR-Vergangenheit".
Hingegen vermißte man eine ausführliche Analyse der Ergebnisse der Bundestagswahl durch Parteivorstand oder Fraktion und eine
offene Diskussion zu solchen Fragen: Welche Schlußfolgerungen soll man aus der Tatsache ziehen, daß das Ergebnis in
Westdeutschland trotz des Zuwachses als "enttäuschend" empfunden wurde? Wie will sich die Partei/Fraktion zur neuen
Regierung positionieren? Das einzige Dokument, das etwas über die letztere Frage mitteilt, ist das nebenstehend in Auszügen
wiedergegebene Papier, das der Klausurtagung der Bundestagsfraktion Mitte Januar vorlag; dem Vernehmen nach gab es viel Kritik daran,
gleichzeitig muten öffentliche Äußerungen über die notwendige Erlangung von "Regierungsfähigkeit"
wie eine praktische Umsetzung seiner Empfehlungen an.
Innerparteiliche Auseinandersetzung mag man das, was in Partei oder Fraktion öffentlich oder hinter verschlossenen Türen
praktiziert wird, nicht nennen. Die medienwirksamen "Bomben", die von Zeit zu Zeit platzen, weisen eher daraufhin, daß eine
solche mehr und mehr abhanden kommt und einer Politik von öffentlichen Erklärungen Platz macht. Wolfram Adolphi beklagt
diesen Zustand in der neuen Ausgabe von Utopie konkret als "mehrfache Kommunikationsstörung", zitiert Dritte, die
"Unbehagen" über "ein Politik- und Demokratieverständnis (äußern), das so viele resignieren
läßt" und schreibt: "Auch ich kenne viele in meiner Generation, die, seit nunmehr neun Jahren außerhalb aller
professionellen Parteistrukturen ihrem Gelderwerb nachgehend und dennoch in all ihren Idealen und Hoffnungen der PDS verbunden, keinen
Zugang mehr finden zu den Debatten in der Partei und sich abgestoßen fühlen von Rundumschlägen wie den
Brieschen."
Die "Kommunikationsstörung" ist mehr als nur das; sie ist die unvermeidliche Begleiterscheinung eines
Entpolitisierungsprozesses, in dem die Beschäftigung mit Wahlkämpfen den Aufbau einer gesellschaftlichen Opposition ersetzt;
Personalpolitik mit verdecktem Visier den offenen Meinungsstreit; das Geschacher um Posten und die eigene "Karriere" den
ideellen Einsatz für die Parteiziele. Zu viele wollen von der Partei leben; der frische Geldsegen und die Orientierung auf die
institutionelle Präsenz der PDS verstärken den Trend.
Neben der Entpolitisierung und der Einengung des Politikverständnisses auf die Tätigkeit in Parlamenten und Verwaltungen
wäre noch die weitere Verlagerung des Gewichts weg vom Parteivorstand hin zu den Fraktionen (Bundestag und Landtage) zu nennen -
seit geraumer Zeit kommen die inhaltlichen Vorgaben von den Fraktionen, nicht mehr vom Parteivorstand. Von der Bundestagsfraktion
wiederum hört man, sie sei nach hierarchischen Prinzipien neu geordnet und eine Arbeitsteilung eingeführt worden, die eine
spontane Zusammenarbeit der Abgeordneten über ihre jeweiligen Arbeitsbereiche hinweg kaum noch ermögliche.
Die PDS ist auf dem Weg, eine stinknormale, d.h. nach bürgerlichen Effizienzbegriffen funktionierende Partei zu werden. Damit
paßt sie sich ihrem Selbstbildnis an, das sie künftig als Gleiche unter Gleichen im Parteiensystem verortet, und natürlich auch
ihrer bürgerlichen Umwelt, die solche Angleichung verlangt. Damit verliert sie allerdings auch ihren emanzipatorischen Gehalt und ihre
Fähigkeit, eine Neuformierung der sozialistischen Linken in Gang zu bringen.
Das Klausurpapier zur SPD macht das ganz deutlich. Es definiert Position, Aufgaben und politisches Profil der PDS in Abhängigkeit
davon, ob sie auf Koalitionsbildungen Einfluß nehmen kann - nicht in Abhängigkeit davon, welche gesellschaftspolitischen
Herausforderungen die krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus derzeit birgt, mit welchen Konsequenzen für die
Einkommensschwachen, und welche gesellschaftlicher Gegenmacht aufgebaut werden muß. Diese "Systemfrage" stellt sich
der im Papier enthaltene Ansatz nicht mehr.
Seine Empfehlungen, wie die Partei strategischen Einfluß gewinnen kann, fußen übrigens auf ziemlich irrealen
Voraussetzungen:
l Irreal ist die Annahme, die SPD könnte zwölf Jahre lang Regierungspartei bleiben - zumindest kann man darauf keine
Parteistrategie aufbauen. Wenn sie so weiter macht, schafft sie nicht einmal die nächste Legislaturperiode; jüngste Umfragen
behaupten, daß die Union sie zum erstenmal seit langem wieder überholt habe. Mit dem Rücktritt Lafontaines wird sich die
Bindung der Linken an die SPD weiter lockern. Es ist nicht ausgemacht, daß die PDS diese Schichten ohne weiteres auffangen
kann.
l Mindestens im Westen wird der Versuch ins Leere gehen, eine Ausweitung des Wählerpotentials nach rechts (bei den
"Gewinnern") zu suchen. In die Mitte drängen alle Parteien; die gesellschaftliche Entwicklung aber polarisiert sich. Die Frage
ist, ob die Rechten die einzigen sein werden, die davon profitieren.
l Irreal ist die Annahme, die SPD setze auf eine koalitionsfähige PDS, deshalb dürfe die PDS ihr gegenüber keine Haltung
der Frontalopposition einnehmen. Derzeit gibt es in der SPD keine Voraussetzungen dafür.
- Selbstmörderisch ist die gewählte "Arbeitsteilung" mit der SPD und die Selbstverpflichtung der PDS, für deren
Machterhalt zu sorgen. Die PDS muß, wenn sie eine sozialdemokratisch geführte Regierung wie auch immer stützt, auf einen
Punkt zusteuern, wo sie in der Lage ist, auf Konfrontation zur SPD zu gehen, sonst verliert sie ihre Daseinsberechtigung. Dort, wo sie im Osten
Regierungsverantwortung trägt, hat sie aber auch schon unsozialen Beschlüssen zugestimmt.
- Schließlich ist die ostdeutsche Hausmacht auch nicht unangefochten. Die PDS hat bei den Bundestagswahlen in Ostdeutschland 250.000
Stimmen von der CDU bekommen; die können auch ganz schnell wieder weg sein. Das bestätigen jüngste Umfragen in
Mecklenburg-Vorpommern.
Alles in allem umschreibt das Klausurpapier eine politische Orientierung, die die Fußfassung im Westen stark relativiert und eine
Stabilisierung der PDS im Parteiengefüge über ihre Einflußnahme im Bundesrat - d.h. ihre ostdeutsche Existenz - sucht. Eine
solche Orientierung schließt erstens ihren Frieden mit dem politischen und wirtschaftlichen System der BRD; zweitens hat sie den
fragwürdigen Vorteil, daß sie auf die Westlinke gut verzichten kann - denn für den Einfluß, der da gesucht wird, kann
diese nicht sorgen.
Man kann nicht sagen, die im Klausurpapier ausgegebene Orientierung sei Parteilinie. Offenkundig bestimmt es trotzdem den Handlungsrahmen
führender Kreise der Partei - zumindest ergibt die Stoßrichtung, in der die neue Programmdebatte begonnen wurde (siehe Artikel
von W.Wolf auf S.10/11) und auch die heftige Reaktion auf Wolfs Brief (siehe S.12) in diesem Lichte gesehen einen kohärenten
Zusammenhang.
Die Reaktion auf Lafontaines Rücktritt ist auch nicht beruhigend: Die Partei will den "Druck von links" auf die Regierung
erhöhen, auf keinen Fall aber eine "Strategie der Destabilisierung" fahren. "Unsere politische Entscheidung, nach
Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der SPD zu suchen, bleibt bestehen - auch wenn die Bedingunegn dafür nicht einfacher
geworden sind" (G.Gysi, 12.3.99).
Angela Klein