Sozialistische Zeitung |
Die Verhaftung Öcalans hat in der Türkei zu zahlreichen Repressalien gegen Kurden geführt. Die ÖDP kandidiert
zu den Parlamentswahlen, die am 18.April stattfinden sollen. Hat die neue politische Lage zu einer Veränderung ihrer Schwerpunkte im
Wahlkampf geführt?
Die Kontrolle der Regierung über die Gesellschaft hat sich seit der Ergreifung Öcalans sehr verstärkt; die Regierungspartei
DSP (Mitte-Links) hat dadurch sogar an Ansehen und Stärke gewonnen. Die Regierung ist besonders brutal vorgegangen, weil sie sich
davon erhofft hat, den Einfluß der islamistischen Partei zurückdrängen zu können.
Wir konnten die Aktionen der Regierung nicht verhindern, darauf haben wir keinen Einfluß. Für uns ist das Wichtigste, daß
wir für eine multikulturelle, multinationale und multireligiöse Gesellschaft eintreten, das ist unsere Hauptparole. Unsere
Wahlpolitik hat sich nicht verändert; durch die Zurückdrängung der Islamisten hat sich das Kräfteverhältnis in
der Gesellschaft aber verändert und wir hoffen, mit unseren Forderungen jetzt mehr Gehör zu haben.
Fordert die ÖDP Autonomie für das kurdische Volk?
Wir fordern die Einführung von Demokratie in der Türkei, damit die Kurden in der Lage ist, ungehindert ihre Forderungen zu
stellen. Die Kurdinnen und Kurden müssen frei sagen können, was sie wollen, und dürfen dafür nicht verfolgt werden.
Wir kämpfen für die Demokratisierung der Türkei.
Die ÖDP macht sich die kurdische Forderung nach Autonomie nicht direkt zu eigen?
Wir fühlen uns nicht berechtigt, für andere etwas zu fordern. Es muß sich die Gesellschaft aber so ändern, daß
alle Teile der Bevölkerung ihre Forderungen stellen können.
Leistet die ÖDP eine aktive Unterstützung für die derzeitigen Aktionen der Kurdinnen und Kurden in der Türkei?
Die ÖDP fordert die Einrichtung eines unabhängigen Gerichts für Öcalan. Wir wollen eine politische Lösung des
Konflikts und treten deshalb dafür ein, daß ein Klima geschaffen wird, in dem eine solche Lösung möglich ist und
Schritte zu einem Frieden eingeleitet werden können. Wir fordern deshalb einen demokratischen Prozeß für Öcalan. Er
soll vor ein Gericht gestellt werden, das nach internationalen Rechtsmaßstäben arbeitet.
Unterstützt die ÖDP die Forderung nach einer internationalen Friedenskonferenz?
Wir finden eigentlich, daß das Problem in der Türkei gelöst werden muß. Erst mal muß es Frieden in der
Türkei geben, dann kann es eine Debatte über eine politische Lösung geben. Dazu müssen sich aber die politischen
Strukturen in der Türkei ändern. Seit der Gründung der ÖDP ist die Forderung nach Frieden und nach Rechten
für die Unterdrückten ihre Hauptparole.
Bei den vorhergehenden Wahlen ist die ÖDP ein Wahlbündnis mit der kurdischen Partei HADEP eingegangen. Das ist diesmal
nicht zustandegekommen. Warum?
Wir wollten mit allen linken Kräften in der Türkei ein Bündnis haben. Wir hatten auch mit HADEP verschiedene
Diskussionen darüber. HADEP hat gefordert, daß das Wahlbündnis wieder ihren Namen trägt; das haben wir aus zwei
Gründen nicht akzeptieren können. Der eine ist ein formaler: wir haben schon das letzte Mal unter dem Namen von HADEP
kandidiert; beim zweiten Mal würde die ÖDP verboten werden.
Der zweite Grund war ein politischer. In der Türkei gibt es eine starke nationalistische Welle, die können wir mit einer Kandidatur
unter dem Emblem von HADEP nicht brechen. Wir haben mit HADEP darüber diskutiert, daß wir - vor allem im westlichen Teil
des Landes - unabhängig von ihnen, unter eigenem Siegel, der nationalistischen Welle entgegentreten müssen. Wir haben leider
keine gemeinsame Lösung gefunden, wir bedauern das.
HADEP kandidiert auch?
Ja, in allen Landesteilen.
Mit welchem Wahlergebnis für die ÖDP rechnet ihr?
Ungefähr 3 Prozent, es gibt auch Anzeichen, daß wir mehr, vielleicht 5 Prozent, bekommen könnten. Es kann auch passieren,
daß die CHP (hervorgegangen aus der Spaltung der früheren, von Bülent Ecevit geführten, CHP nach dem
Militärputsch) die Zehn-Prozent-Klausel nicht schafft. Dann würde sie sich aller Voraussicht nach spalten - ein Teil würde
zur DSP abwandern, der andere Teil zu uns kommen, das würde die linken Kräfte in der Türkei stärken. Die Zehn-
Prozent-Klausel ist auch der Grund dafür, daß Linke ihre Stimmen zumeist auf die CHP konzentrieren.
Bei den Umfragen schneidet zur Zeit Ecevits Partei (die regierende DSP) am stärksten ab, sie liegt noch vor den Islamisten. Die
Islamisten wollen die Wahlen deshalb auch zeitlich hinauszögern, während die Regierung sie so schnell wie möglich
durchführen will. Das Militär will das auch.
Gibt es auf der Linken noch andere Kandidaturen?
Es gibt außer der ÖDP noch zwei andere linke Parteien in der Türkei: die EMEP (hinter ihr steht DIDF) und die SIP, die aus
der moskauorientierten KP hervorgegangen ist; sie werden unter 1% bleiben. Außerdem gibt es noch eine sog.
"Arbeiterpartei" (IP), aber die ist nationalistisch und man kann sie deshalb nicht zur Linken rechnen.
Das Interview führte Angela Klein
Anmerkung der Redaktion: Es gibt in der ÖDP unterschiedliche Auffassungen zur kurdischen Frage. Einige möchten den Dialog mit
Vertretern des Kemalismus führen; andere, die ebenfalls in der Minderheit sind, möchten eine deutlichere Identifikation mit dem
Kampf des kurdischen Volkes und meinen, daß jetzt die Zeit gekommen ist zu sagen: "Wir sind alle Kurden!" Die ÖDP-
Führung hat auch abgelehnt, mit HADEP eine gemeinsame politische Erklärung zu den Wahlen herauszugeben.