Sozialistische Zeitung |
Gegen internationales Recht verstoßend, hat ein staatlich gelenktes Bündnis von Geheimdiensten den Vorsitzenden der
Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, illegal in die Hände ausgerechnet des Staates überführt, der am
allerwenigsten ein rechtsstaatliches Verfahren garantieren kann. [...]
Vor dem türkischen Gericht ist kein "fair trial" denkbar. Nicht nur die bisherige totale Isolationshaft Abdullah Öcalans,
seine 24stündige Videoüberwachung, die entwürdigende Ausstrahlung ausgesuchter Filmaufnahmen in den Medien und die
anhaltende massive Behinderung anwaltlicher Tätigkeit belegen dies. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(Straßburg) hat dem Staatssicherheitsgericht der Türkischen Republik bescheinigt, gegen den Art.6 der Europäischen
Menschenrechtskonvention zu verstoßen: "Die erforderliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter wird verletzt
durch den Status der bei diesen Gerichten tätigen Militärrichter." (Urteil vom 9.6.98.)
Wir befürchten, daß das Urteil gegen Abdullah Öcalan längst gefällt ist und ihm nur noch ein kurzer
Schauprozeß gemacht werden wird. An die Stelle der Beweisaufnahme tritt die Verlesung des Urteils, das auf Todesstrafe lauten
dürfte und wahrscheinlich sofort vollstreckt werden soll.
Die Europäischen Regierungen haben bisher vollständig darin versagt, zur Beendigung des Krieges in der Türkei und zur
Lösung der kurdischen Frage eine konstruktive Initiative zu ergreifen. Während sie alle diplomatischen Hebel in Bewegung gesetzt
haben, um den Palästinensern in Madrid, den Bosniern in Dayton und den Kosovo-Albanern in Rambouillet eine politische und friedliche
Lösung ihrer Konfikte zu ermöglichen, warten wir seit 15 Jahren vergeblich auf eine ähnliche Initiative für die
Kurden.
Die momentane angespannte Situation beinhaltet jedoch immer noch eine Chance: der Kurdenführer Abdullah Öcalan muß als
Schlüsselperson in der anzustrebenden politischen Lösung des Kriegs um Kurdistan angesehen und demgemäß
behandelt werden. Die Sicherheit und Unversehrtheit Abdullah Öcalans, seine Freiheit, ist eine Prüfung für die Türkei,
die hier beweisen muß, daß sie als EU-Anwärter die europäischen, demokratisch-rechtsstaatlichen Werte anerkennt
und berücksichtigt.
Wir appellieren an die internationale Staatengemeinschaft und ihre Institutionen:
- eine internationale Beobachterdelegation in Begleitung einer unabhängigen Ärztedelegation zu entsenden;
- ein rechtsstaatliches Verfahren für Abdullah Öcalan vor einem internationalen Gerichtshof zu ermöglichen; für die
Dauer seines Aufenthalts in der Türkei müssen die menschenrechtlichen Standards gewährleistet werden;
- sich unverzüglich einzusetzen für die Beendigung des Krieges, für die Beseitung der Konfliktursachen und die Einberufung
einer Internationalen Kurdistankonferenz;
-die Türkei muß sofort ihre militärischen Operationen in den kurdischen Gebieten einstellen und mit der kurdischen Seite in
Dialog treten.
ErstunterzeichnerInnen: (Auswahl)
Prof. Dr. Elmar Altvater; Uri Avnery; Tony Benn; Prof. Dr. Helmut Dahmer; Adolfo Perez Esquivel; Dario Fo; Walid Joumblatt; Prof. Dr.
Uwe Jens Heuer; Danielle Mitterrand; Gianna Nannini; Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr; Prof. Dr. Norman Paech; Franca Rame; José
Saramago; Prof. Dr. Gerhard Stuby; Prof. Dr. Jean Ziegler