Sozialistische Zeitung |
Es gibt Begriffe, deren wahre Bedeutung sich erst in der Praxis erschließt. Wer erinnert sich nicht an die
so warmherzig empfohlene Streitkultur? Heute wissen wir: Dies bedeutet, in ein fremdes Land deutsche Tornados zu schicken, um es in Schutt
und Asche zu legen. Die letzte sprachliche Erfindung - sie stammt vom ÖTV-Vorsitzenden Herbert Mai - heißt: "neue
Gesprächskultur". Sie soll zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaft und Regierung im "Bündnis für Ausbildung,
Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" eingeübt werden, um "am gleichen Strang zu ziehen". Das aber sei nur
möglich, meint Kollege Mai, wenn in den Gesprächen "ein anderes Klima" herrscht, man nicht in der "Kultur des
Mißtrauens" verharrt. Er tritt darum für eine "Benchmarking" getaufte Arbeitsgruppe ein, die in einem sogenannten
"Datenkranz" Rahmenbedingungen vorlegt. Wissenschaftler und Regierungsvertreter sollen Statistiken über Bereiche wie
Investitionen, Finanzpolitik, Lohnkostenfaktoren vorlegen, alle Beteiligten sollen "bis an die Grenze des Zumutbaren" bei der Suche
nach Lösungen gehen.
Was aber bedeutet das in der neoliberalen Politik erfundene "Benchmarking"? Es geht dabei um die Auswahl von Daten. Aber je
nachdem, welche Wertmaßstäbe an eine ideale Leistung der Volkswirtschaft angelegt wird, kommen Wissenschaftler zu
unterschiedlichen Ergebnissen. Gehen sie von möglichst geringer Staatsquote, Steuersenkung für Unternehmer, Reduzierung von
Arbeitskosten aus, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, sind die Ergebnisse vorprogrammiert. Sie lauten: mäßige
Lohnabschlüsse, weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und noch weniger Steuern für Unternehmer.
In der Frage der "Einbeziehung der Lohnpolitik in das Bündnis für Arbeit" geht es nicht um einen
"innergewerkschaftlichen Streit", sondern um Glaubwürdigkeit und Zukunft der Gewerkschaftsbewegung. Klaus Lang, Leiter
der tarifpolitischen Abteilung der IG Metall, hat dies offenbar begriffen. Er schreibt: "In einer Zeit, in der weite Teile der
veröffentlichten und öffentlichen Meinung von neoliberaler Angebotsdoktrin durchtränkt sind, wo der
Sachverständigenrat und die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute fast ausnahmslos und einfallslos Jahr für Jahr das
Credo angebotsorientierter Wirtschaftspolitik und Lohnpolitik herunterbeten, wollen die Metallarbeitgeber nicht nur in
Tarifauseinandersetzungen ihre Position vertreten, was legitim ist." Sie wollen "die IG Metall durch öffentlichen und
politischen Druck zu einer tarifpolitischen Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) drängen, die auf eine klare Forderungsbegrenzung
unterhalb des sozial Angemessenen und volkswirtschaftlich Vernünftigen hinausläuft".
Das angebotspolitische Dogma, eine moderate Lohnpolitik werde automatisch zu mehr Arbeits- und Ausbildungsplätzen führen, sei
doch durch die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts widerlegt worden, schreibt Klaus Lang. Er vergißt auch nicht, die neue Koalition
daran zu erinnern, daß sie sich verpflichtet hat, die "Waffengleichheit im Arbeitskampf" wieder herzustellen, sprich den alten
§116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) wieder so zu ändern, daß alle von Arbeitskampffolgen Betroffenen
außerhalb eines umkämpften Tarifgebietes einen Anspruch auf Kurzarbeiter- bzw. Arbeitslosengeld haben.
Vor wenigen Monaten nannte BDI-Vorsitzender Henkel das "Bündnis für Arbeit" schlicht
"Konsenssoße". Wollte Kollege Mai sie ihm durch seine "neue Gesprächskultur" schmackhaft
zubereiten?
Jakob Moneta