Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 4

Gewerkschaftsdemo für Atomkraft

Anfang März, als die "Energiekonsensgespräche" der Bundesregierung angesetzt waren, um möglicherweise über Schritte zum Ausstieg aus der Kernenergie zu beraten, hatten die Gewerkschaften ÖTV und IGBCE zu einer Demonstration nach Bonn aufgerufen. Die Initiative war von BetriebsrätInnen der Energieversorgungsunternehmen ausgegangen, die in der ÖTV organisiert sind, und die sich mit keinerlei Maßnahmen zum Ausstieg abfinden wollten. Insbesondere die süddeutschen Unternehmen, aber auch RWE und PreussenElektra, schickten ihre Betriebsräte und Vertrauensleute vor, um gegen mögliche Arbeitsplatzverluste wegen Ausstieg aus der Kernenergie Front zu machen.
  Dazu kam, daß die Regierung Pläne verlauten ließ, die für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Kernbrennstäbe zurückgestellten Mittel der Energieversorgungsunternehmen besteuern zu wollen, da die Wiederaufarbeitung beendet werden soll. So sehr auch Trittin schon zurückgepfiffen worden war: hier ging es den Unternehmen ans Eingemachte - etwa 20 Milliarden Mark waren im Gespräch.
  Auch diesen Punkt griffen die Gewerkschafter auf. Und hier zogen sie auch die Kollegen von der IG BCE hinzu. Hatte doch das RWE mitsamt der Tochtergesellschaft Rheinbraun angekündigt, sämtliche Investitionen zu überprüfen, einschließlich des Braunkohlentagebaus Garzweiler, wenn die Ökosteuerreform wie geplant durchgeführt würde.
  Die Braunkohlebetriebsräte hatten damit - nach der grünen Fraktion in NRW - ihren nächsten Lieblingsgegner Trittin gefunden. Ob sie nicht gemerkt haben, daß Lafontaine der eigentliche Gegner ihrer Konzerne war? Während die ÖTVler schon länger zur Gegendemo aufgerufen hatten, wurde bei der IGBCE im Bergbaubereich die Bonner Demonstration erst drei Tage vorher - an einem Wochenende - an der Basis "bekannt". Sie war also eine Sache von Eingeweihten.
  Nun ist seit Jahren die Position der Vorläufergewerkschaften IG Chemie und IG Bergbau zur Atomenergie bekannt. Chemie braucht billigen Strom - also Atomstrom. Bergbau brauchte angeblich den "Energiemix" aus teurer Kohle und billiger Atomenergie zur Existenz. Selbstverständlich gab es Arbeitsplatzsicherheit nur bei Treue zu den Unternehmensinvestitionen. Daß die gemeinsame Gewerkschaft IG BCE diese Positionen übernahm, dafür wurde schon vor der Fusion durch Entschließungen gesorgt.
  Ebenfalls ist bekannt, daß insbesondere die IG-BCE-Funktionäre in ihrer großen Mehrheit ablehnend gegen "rot"-grüne Koalitionen stehen und daß unter ihnen die "große Koalition" immer als der eigentliche Wendezweck gehandelt wurde.
  Folgerichtig wurde die Demonstration am 9. März gegen die "rot"-grünen Atom- und Steuerpläne zur Demo "für den Energiestandort Deutschland" erklärt und den Kumpels in einem Flugblatt "der bewährte Energiemix aus heimischer Steinkohle, Braunkohle, Öl, Gas, Kernenergie und regenerativen Energiequellen" angepriesen, der "gesichert und behutsam fortentwickelt werden" müsse. "Ein überstürzter Ausstieg aus der Kernenergie gefährdet den Energiemix, vernichtet Zehntausende von Arbeitsplätzen ... und führt zur Abwanderung der Stromproduktion ins Ausland", griff das Flugblatt die Argumentation der Energiebosse in Bonn nahtlos auf und gab sie als eigene an die IG BCE weiter.
  Offensichtlich wollte man der ÖTV, die nicht durchgängig atomkraft-freundlich ist, das Feld nicht allein überlassen, nachdem vor Jahren schon einmal die IG Bergbau über die bestehenden Gewerkschaftsgrenzen hinweg in den Atomkraftwerken Mitglieder geworben hatte, weil die ÖTV nach Tschernobyl Ausstiegsbeschlüsse faßte.
  Sorgen über die Arbeitsplatzsicherheit bei den Beschäftigten sind sicher das eine - aber die vollkommene Übernahme der Unternehmerargumentation durch Gewerkschafter ist ein Skandal. Genauso ist es mit dem Protest gegen die Folgen der Ökosteuer. Anfang März war schon klar, daß die Unternehmen nur ein Viertel der Steuersätze zu zahlen hätten. Und die Forderung, die riesigen Rückstellungen der
  Energieversorger zu besteuern, war schon unter Finanzminister Waigel aufgebracht worden, weil diese Rückstellungen für Aufbereitung und Endlagerung den Unternehmen unter anderem zu einem günstigen Einstieg in die Telefondienste verholfen hatten.
  Die Pläne verschwanden damals vorläufig in der Versenkung, bis sie unter Lafontaine wieder ausgegraben wurden, weil die Steuerreform ja auch von den Unternehmen gegenfinanziert werden sollte. 35.000 Gewerkschafter marschierten also unter der Parole der Arbeitsplatzsicherheit für die Steuervorstellungen der reichsten Unternehmen der Republik!
  Und sie gaben damit Lafontaine einen letzten Tritt, nachdem er aufgrund der Pressionen der Unternehmen schon fast reif zum Rücktritt war. Die Demo der ÖTV- und IG-BCE-Leute gegen die Steuerreform war auch ein Anlaß, daß Oskar Lafontaine zwei Tage später den Hut nahm. Und es ist nur noch ein Treppenwitz der Geschichte, daß IG-Bergbau-Funktionäre sich und ihre Kollegen nur wenige Tage und Wochen vorher noch beruhigten, daß mit dem ehemaligen Saar-Ministerpräsidenten ja "einer von uns" in der Regierung säße, der um die Sorgen der Kumpel wüßte...
  In unserem Nachbarland Frankreich hat sich übrigens die Arbeitslosenbewegung AC! konsequent dagegen ausgesprochen, Forderungen der CGT und der Französischen Kommunistischen Partei nach Erhalt der Atom- und Rüstungsfabriken zur angeblichen Sicherung von Arbeitsplätzen zu unterstützen. Sie sagen: "Wir sind nicht bereit, irgendeinen Arbeitsplatz anzunehmen, um irgendwas zu produzieren" - vielleicht ein nachdenkenswerter Einwurf für die Gewerkschafter, die in Bonn, teilweise vielleicht in guter Absicht, für ihre Arbeitsplätze einstehen wollten, dabei aber doch nur das Geschäft ihrer Konzerne besorgten.
  Adam Reuleaux
 


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