Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 11

Friedensbewegung

Zwischen Embargo und UN-Vermittlung

Sie schreiben Briefe an Politiker, reichen beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Kriegstreiber ein, rufen Soldaten zur Desertation auf, organisieren Demonstrationen und Kundgebungen und wollen sich für die Hunderttausende von Flüchtlingen einsetzen: die Friedensbewegung in Deutschland hat sich seit Kriegsbeginn im Kosovo zurückgemeldet.
  Allein auf die Kundgebungen und Friedensmärsche während der Ostertage hat es insgesamt mehrere zehntausend TeilnehmerInnen an rund 150 Orten gezogen, berichtet das Koordinationsbüro der Ostermärsche in Frankfurt. Auch im europäischen Ausland gingen Tausende von Menschen auf die Straße: in Athen, Basel, Den Haag, Paris, Rom und Wien.
  Bis auf ganz wenige Ausnahmen geht keine der friedenspolitischen Organisationen in Deutschland der Kriegspropaganda "Luftangriffe gegen humanitäre Katastrophe" auf den Leim. Sie kritisieren die NATO-Bombardements gegen Jugoslawien, die zusammen mit der verschärften Vertreibungspolitik der Belgrader Regierung zu einer Massenflucht der Kosovaren geführt haben. Auch der offene Verstoß der "rot"-grünen Regierung gegen Völkerrecht, Grundgesetz und eigene Programmatik ist ihnen ein Dorn im Auge.
  Zu den wenigen Ausnahmen gehört die Aktion Sühnezeichen. "Nur ein schnelles Einlenken Milosevics hätte ansatzweise die militärischen Maßnahmen rechtfertigen können", meint der Vorsitzende Manfred Karnetzki. Auch Joachim Garstecki, Generalsekretär der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, ist der Ansicht, daß die Friedensbewegung ihre alten Positionen überprüfen müsse. "Gesinnungspazifismus" sei keine Antwort auf Situationen wie im Kosovo. Die Friedensbewegung müsse sich dem "tragischen Dilemma zwischen Friedensschutz und Menschenrechtsschutz" stellen. Auch wenn die Mehrheit bei Pax Christi Militäreinsätze prinzipiell ablehne, halte er sie für eine letzte Möglichkeit, betont Garstecki.
  Enttäuscht von der Bundesregierung sind die meisten der friedenspolitischen Gruppen, von denen viele zum klassischen Wählerklientel der Grünen gehören. Christian Golla vom Bonner Netzwerk Friedenskooperative spricht sich gegen die Gleichsetzung der Partei mit der Friedensbewegung aus, denn nunmehr sei "Gewaltlosigkeit" bei den Grünen nur noch eine "Phrase".
  Bei ihren Analysen sehen einige Gruppen der Friedensbewegung im Kosovo-Krieg eine Vorwegnahme der neuen NATO-Strategie, die am 24.April auf dem NATO-Gipfel in Washington verabschiedet werden soll. "Künftig wird sich die NATO bei ihren Militäreinsätzen weder vom UN-Sicherheitsrat leiten noch vom Völkerrecht behindern lassen", erklärt der Bundesausschuß Friedensratschlag.
  Nach Ansicht von Tobias Pflüger, Buchautor und Mitglied der Informationsstelle Militarisierung, will die NATO weg vom formalen "Verteidigungsbündnis" aus der Ära des Kalten Krieges hin zu einer "weiteren Verstärkung der Krisenreaktionskräfte und dem weiteren Aufbau von Kampfeinheiten". Die Frage, warum der Angriffskrieg im Kosovo geführt werde, könne "auch damit beantwortet werden, daß die neue NATO-Strategie jetzt schon mal getestet werden soll". In Deutschland sei mit dem Begriff "humanitärer" Hilfe der Bevölkerung eingebleut worden, "das Militär sei dazu da, Menschen weltweit in Krisen und Konflikten zu helfen". In diesem Zusammenhang zählt Pflüger die zahlreichen Auslandseinsätze "ohne militärischen Sinn" (O-Ton Bundeswehroffiziere), wie die in Kambodscha und Somalia, auf.
  "Die Inszenierung Jugoslawiens als Krisenherd diente der Durchsetzung eines schrankenlosen Interventionismus, der es den westlichen Industrienationen erlaubt, ihre ökonomischen Interessen qua Konstruktion von Krisenherden weltweit mit Waffengewalt durchzusetzen", schreibt eine Regensburger Gruppe der Informationsstelle Militarisierung.
  Horst-Eberhard Richter, Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, kritisiert den Westen wegen seiner Ignoranz gegenüber Vorschlägen der Friedensbewegung zu Gewaltvermeidung im Kosovo. Die Forderung nach Einrichtung von unabhängigen Konfliktberatungsgruppen mit UN-Mandat sei unerhört geblieben. Die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) ist ebenfalls der Ansicht, daß die NATO-Staaten nie "ernsthaft für eine friedliche und demokratische Lösung der Konflikte" eingetreten seien.
  Auch der Schriftsteller Walter Jens kritisiert, daß der Westen sich nicht für die Demokraten auf beiden Seiten eingesetzt habe, sondern Hardliner in Belgrad und die UCK im Kosovo unterstützt habe. Dieser Ansicht sind auch Vertreter der Informationsstelle Militarisierung.
  Ende des letzten Jahres bestätigte ein Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes gegenüber dem ARD-Nachrichtenmagazin Monitor, daß seit 1990 "militärische Ausrüstung im Wert von 2 Millionen Mark" aus der Bundesrepublik "ins albanische Krisengebiet entsandt" worden sei. "Ende Juni 1998 wurde erstmals entdeckt, daß die UCK plötzlich uniformiert ist. Und zwar mit deutschen Feldanzügen", berichtete Monitor.
  Der einzigen parlamentarischen Kraft, die sich konsequent gegen den Kriegseinsatz ausspricht, räumen einige Sprecher von Friedensgruppen wenig Chancen ein. Christan Golla kann sich nicht vorstellen, daß die PDS das Erbe der Grünen antritt. Der Pax Christi Geschäftsführer Garsteki bezeichnet die PDS als "Trittbrettfahrerin" und meint, als Nachfolgerin der SED habe sie keinen pazifistischen Hintergrund.
  Die alternativen Lösungsvorschläge der einzelnen Gruppen der Friedensbewegung sind äußerst heterogen. Während Gruppen wie die Aktion Sühnezeichen die Fortsetzung der Rambouillet-Verhandlungen als gangbaren Weg ansehen, handelt es sich für Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung bei dem Abkommen um einen "unannehmbaren Diktat-Frieden der westlichen Staaten".
  Der Bund für soziale Verteidigung hält die ethnische Kategorisierung für eine falsche Grundlage, denn bei den Konflikten im südslawischen Raum handele es sich "im Kern nicht um ethnische Konflikte, sondern um das Machtstreben und den Machterhalt politischer Cliquen und Persönlichkeiten wie Milo?sevi´c".
  Ungeachtet der Tatsache, daß Wirtschafts- und Handelsembargos vor allem die Zivilbevölkerung treffen, propagiert allein die Aktion Sühnezeichen ein "radikales Embargo", das über Serbien zu verhängen sei. Nahezu alle Gruppen setzen jedoch auf die UNO als Vermittler, obwohl gerade die UNO mit dem NATO-Einsatz bewußt ins Abseits gestellt wurde.
  Andreas Buro vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Horst-Eberhard Richter und die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) setzen trotzdem namentlich auf den UN-Generalsekretär Kofi Annan. Der übte jedoch am 9.April endgültig den Kotau vor dem Westen und schwenkte auf NATO-Linie ein. In seinem "dringenden Appell" fordert er die jugoslawische Regierung auf, die Vertreibung zu beenden, die Flüchtlinge heimkehren zu lassen, die jugoslawischen Streitkräfte aus dem Kosovo abzuziehen und der internationalen Gemeinschaft die Erlaubnis zu erteilen, all diese Schritte zu überwachen. An die Adresse der NATO richtete Annan die Aufforderung, die Luftangriffe einzustellen. Aber erst, wenn Präsident Milosevic seine Verpflichtungen erfüllt hat.
  Gerhard Klas
 


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