Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 15

Interkontinentale Karawane

500 Kleinbauern und Landlose aus der Dritten Welt touren durch Europa

Am 19.Juni 1999 ist Köln die Bühne für ein Weltmedienereignis. Über die Bildschirme flimmern allseits bekannte Gesichter. Die Staatschefs der sieben reichsten Industrienationen und der Präsident Rußlands geben sich ein Stelldichein im Museum Ludwig. Doch von weit her sind diesmal auch noch andere angereist und es sieht so aus, als könnten sie der Politprominenz die Show stehlen. Draußen, auf der Straße vor einem Polizeikordon, demonstrieren wütende Menschen.
  Mehr als 500 Landlose und Kleinbauern aus Indien, Brasilien, Kenya, der Ukraine und Bangladesh haben sich zur "Interkontinentalen Karawane" durch Europa zusammengeschlossen. Mit vielen Freunden und Begleitern befinden sie sich auf dem Weg zum Tagungsort der Regierungschefs, die sie für das Elend in ihren Ländern mitverantwortlich machen. Sie wollen den Repräsentanten der Macht möglichst nahe kommen. Doch Polizei und Bundesgrenzschutz lassen niemanden in die mit Gittern abgesperrte Sicherheitszone.
  Solche oder ähnliche Situationen könnten sich Anfang Juni in Köln abspielen. Denn anläßlich des Doppelgipfels werden nicht nur Tausende offizielle Vertreter der EU-Regierungen, der G7-Staaten und der Wirtschaftslobbys den Gürzenich und das Museum Ludwig füllen, um mit sorgenvoller Miene ihre Politik zu verteidigen. Neben Erwerbslosen, Gewerkschaftern, Migranten und Flüchtlingen hat die "Interkontinentale Karawane" den Besuch in Köln als Höhepunkt ihrer vierwöchigen Europatour angkündigt.
  Das größte Kontingent stellt mit vierhundert Teilnehmern die indische Bauernorganisation KRRS (Karnataka Raiya Raita Sangha). Nach eigenen Angaben gehören ihr in Indien mehr als 10 Millionen Menschen an. Ziel der Europatour ist es, dem "Norden zu vermitteln, wie der Süden das System der Ausbeutung" erlebt, das ihnen von den Regierungen des Nordens, der Welthandelsorganisation (WTO) und den multinationalen Konzernen aufgezwungen wird. Die Kleinbauern sind "wütend über die Arroganz, mit der andere über ihr Leben bestimmen", heißt es in einem Aufruf.
  Die Arroganz der Macht hat viele Facetten. Eine ist z.B. das gentechnisch manipulierte Saatgut des US-amerikanischen Agrarkonzerns Monsanto. Für Monsanto ist das Saatgut ein Werkzeug, um die Kleinbauern langfristig als Kundschaft an den Konzern zu binden. Es ist nämlich nicht nur resistent gegen den Baumwollwurm, einen gefürchteten Schädling, sondern auch steril. Normalerweise lassen die Bauern einen Teil der angebauten Baumwolle ausreifen, um Saatgut für den nächsten Anbau zu gewinnen. Das genetisch manipulierte Saatgut kann sich jedoch nicht selbst reproduzieren und vermehren. Die Bauern müßten ihr neues Saatgut jedes Mal von Monsanto kaufen und sich weiter verschulden.
  Eine perfide Methode: Jeder Bauer, der das Monsanto-Saatgut aussät, hätten zunächst einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Da der Baumwollwurm ihre Ernteerträge nicht mehr schmälern kann, können sie den Textilrohstoff günstiger auf dem Markt anbieten. Andere, die mit dem herkömmlichen Saatgut arbeiten, sind gezwungen nachzuziehen.
  Auch in der Vergangenheit nutzten die Agarmultis die durch weitreichende Handelsliberalisierungen entstandenen Spielräume und trieben viele Kleinbauern mit ihrer Politik in den wirtschaftlichen Ruin und sogar in den Selbstmord. Allein im Winter 1997/98 haben im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh mehr als 400 vom Baumwollanbau abhängige Kleinbauern aus Verzweiflung Selbstmord begangen.
  Tausende indischer Kleinbauern besetzten im vergangenen November Monsanto-Felder, auf denen der Konzern Feldversuche mit genetisch manipuliertem Baumwollsaatgut durchführte. Das war der Auftakt einer Kampagne der KRRS, mit der sie Monsanto aus dem Land vertreiben wollen. Die Besetzer setzten ein klares Zeichen und verbrannten die gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen vor laufenden Kameras.
  Die KRRS ist in Indien jedoch nicht nur für Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen biotechnologische Versuche und gegen die Anwendung von Chemie in der Landwirtschaft bekannt. Im Süden Karnatakas plant die KRRS zusammen mit anderen Bauernorganisation ein Zentrum für traditionelle Anbauweisen und Medizin. Auch wenn die KRRS dem technischen Fortschritt kritisch gegenübersteht, lehnt sie doch neue Technologien nicht grundsätzlich ab: Das Zentrum soll von einem mit Solarenergie betriebenen elektrischen Zaun vor wilden Elephanten geschützt werden.
  Die Proteste gegen die Politik der Agrarmultis führt die KRRS zwangsweise in die industrialisierten Länder des Nordens, denn dort haben die Konzerne ihren Hauptsitz und sind Institutionen wie die Welthandelsorganisation angesiedelt. Einige Gruppen aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland arbeiten mit an der Europatour. Sie alle gehören wie die KRRS zur internationalen Koordinationsplattform PGA (Peoples‘ Global Action), die neben vielen Bauernorganisationen auch andere soziale Bewegungen umfaßt. Auf dem Parkett der internationalen Politik ist PGA eine neue Erscheinung und zweifellos ein Versuch der Selbstorganisation der Opfer des neoliberalen Welthandels. Im Februar 1998 von über 300 VertreterInnen verschiedener Basisbewegungen aus allen Kontinenten in Genf gegründet hat sich PGA zum Ziel gesetzt, den Widerstand gegen "Freihandel und die Welthandelsorganisation" weltweit zu koordinieren.
  In ihrem Selbstverständnis grenzt sich PGA von den herkömmlichen "Nichtregierungsorganisationen" ab. Dazu gehört eine konsequente Konfrontationshaltung gegenüber den Multis und ihren Institutionen. "Die in PGA vernetzten Basisbewegungen und Organisationen sind davon überzeugt, daß Lobbyismus keine starke Wirkung auf solch undemokratische Organisationen haben kann, in welchen das transnationale Kapital das einzige wichtige Kriterium ist", heißt es in einer Selbstdarstellung.
  "Im Süden ist die Dringlichkeit einer radikalen politischen Veränderung offensichtlich. Wir hoffen, daß dieses Projekt dazu beitragen wird, dieses Bewußtsein in der europäischen Öffentlichkeit zu verbreiten", formuliert KRRS das Ziel der Europatour.
  Weil die Auswirkungen der neoliberalen Politik auch in Europa selbst zu spüren sind, wird ein Teil der Inder gemeinsam mit den "Europäischen Märschen gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Ausgrenzung und Rassismus" bereits ab dem 24.Mai von Brüssel aus nach Köln marschieren. Dort werden sie mit mehreren tausend Menschen am 29.Mai gegen den EU-Gipfel demonstrieren.
  Neben der Teilnahme an weiteren Demonstrationen in Köln und einer Aktion vor den Bayer-Werken in Leverkusen werden sie in Genf Station machen. Dort befindet sich der Hauptsitz der Welthandelsorganisation.
  Gerhard Klas

Kontakt und Termin: 22.Mai Empfang in Düsseldorf; Infos: ICC99@gmx.de; Fon (030) 61401999.


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