Sozialistische Zeitung |
Am 19.Juni 1999 ist Köln die Bühne für ein Weltmedienereignis. Über die
Bildschirme flimmern allseits bekannte Gesichter. Die Staatschefs der sieben reichsten Industrienationen und der Präsident
Rußlands geben sich ein Stelldichein im Museum Ludwig. Doch von weit her sind diesmal auch noch andere angereist und es sieht so aus,
als könnten sie der Politprominenz die Show stehlen. Draußen, auf der Straße vor einem Polizeikordon, demonstrieren
wütende Menschen.
Mehr als 500 Landlose und Kleinbauern aus Indien, Brasilien, Kenya, der Ukraine und Bangladesh haben sich zur "Interkontinentalen
Karawane" durch Europa zusammengeschlossen. Mit vielen Freunden und Begleitern befinden sie sich auf dem Weg zum Tagungsort der
Regierungschefs, die sie für das Elend in ihren Ländern mitverantwortlich machen. Sie wollen den Repräsentanten der Macht
möglichst nahe kommen. Doch Polizei und Bundesgrenzschutz lassen niemanden in die mit Gittern abgesperrte Sicherheitszone.
Solche oder ähnliche Situationen könnten sich Anfang Juni in Köln abspielen. Denn anläßlich des Doppelgipfels
werden nicht nur Tausende offizielle Vertreter der EU-Regierungen, der G7-Staaten und der Wirtschaftslobbys den Gürzenich und das
Museum Ludwig füllen, um mit sorgenvoller Miene ihre Politik zu verteidigen. Neben Erwerbslosen, Gewerkschaftern, Migranten und
Flüchtlingen hat die "Interkontinentale Karawane" den Besuch in Köln als Höhepunkt ihrer vierwöchigen
Europatour angkündigt.
Das größte Kontingent stellt mit vierhundert Teilnehmern die indische Bauernorganisation KRRS (Karnataka Raiya Raita Sangha).
Nach eigenen Angaben gehören ihr in Indien mehr als 10 Millionen Menschen an. Ziel der Europatour ist es, dem "Norden zu
vermitteln, wie der Süden das System der Ausbeutung" erlebt, das ihnen von den Regierungen des Nordens, der
Welthandelsorganisation (WTO) und den multinationalen Konzernen aufgezwungen wird. Die Kleinbauern sind "wütend über
die Arroganz, mit der andere über ihr Leben bestimmen", heißt es in einem Aufruf.
Die Arroganz der Macht hat viele Facetten. Eine ist z.B. das gentechnisch manipulierte Saatgut des US-amerikanischen Agrarkonzerns
Monsanto. Für Monsanto ist das Saatgut ein Werkzeug, um die Kleinbauern langfristig als Kundschaft an den Konzern zu binden. Es ist
nämlich nicht nur resistent gegen den Baumwollwurm, einen gefürchteten Schädling, sondern auch steril. Normalerweise
lassen die Bauern einen Teil der angebauten Baumwolle ausreifen, um Saatgut für den nächsten Anbau zu gewinnen. Das genetisch
manipulierte Saatgut kann sich jedoch nicht selbst reproduzieren und vermehren. Die Bauern müßten ihr neues Saatgut jedes Mal
von Monsanto kaufen und sich weiter verschulden.
Eine perfide Methode: Jeder Bauer, der das Monsanto-Saatgut aussät, hätten zunächst einen Vorteil gegenüber ihren
Konkurrenten. Da der Baumwollwurm ihre Ernteerträge nicht mehr schmälern kann, können sie den Textilrohstoff
günstiger auf dem Markt anbieten. Andere, die mit dem herkömmlichen Saatgut arbeiten, sind gezwungen nachzuziehen.
Auch in der Vergangenheit nutzten die Agarmultis die durch weitreichende Handelsliberalisierungen entstandenen Spielräume und trieben
viele Kleinbauern mit ihrer Politik in den wirtschaftlichen Ruin und sogar in den Selbstmord. Allein im Winter 1997/98 haben im indischen
Bundesstaat Andhra Pradesh mehr als 400 vom Baumwollanbau abhängige Kleinbauern aus Verzweiflung Selbstmord begangen.
Tausende indischer Kleinbauern besetzten im vergangenen November Monsanto-Felder, auf denen der Konzern Feldversuche mit genetisch
manipuliertem Baumwollsaatgut durchführte. Das war der Auftakt einer Kampagne der KRRS, mit der sie Monsanto aus dem Land
vertreiben wollen. Die Besetzer setzten ein klares Zeichen und verbrannten die gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen vor
laufenden Kameras.
Die KRRS ist in Indien jedoch nicht nur für Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen biotechnologische Versuche und gegen die
Anwendung von Chemie in der Landwirtschaft bekannt. Im Süden Karnatakas plant die KRRS zusammen mit anderen Bauernorganisation
ein Zentrum für traditionelle Anbauweisen und Medizin. Auch wenn die KRRS dem technischen Fortschritt kritisch gegenübersteht,
lehnt sie doch neue Technologien nicht grundsätzlich ab: Das Zentrum soll von einem mit Solarenergie betriebenen elektrischen Zaun vor
wilden Elephanten geschützt werden.
Die Proteste gegen die Politik der Agrarmultis führt die KRRS zwangsweise in die industrialisierten Länder des Nordens, denn
dort haben die Konzerne ihren Hauptsitz und sind Institutionen wie die Welthandelsorganisation angesiedelt. Einige Gruppen aus den
Niederlanden, Großbritannien und Deutschland arbeiten mit an der Europatour. Sie alle gehören wie die KRRS zur internationalen
Koordinationsplattform PGA (Peoples Global Action), die neben vielen Bauernorganisationen auch andere soziale Bewegungen
umfaßt. Auf dem Parkett der internationalen Politik ist PGA eine neue Erscheinung und zweifellos ein Versuch der Selbstorganisation der
Opfer des neoliberalen Welthandels. Im Februar 1998 von über 300 VertreterInnen verschiedener Basisbewegungen aus allen
Kontinenten in Genf gegründet hat sich PGA zum Ziel gesetzt, den Widerstand gegen "Freihandel und die
Welthandelsorganisation" weltweit zu koordinieren.
In ihrem Selbstverständnis grenzt sich PGA von den herkömmlichen "Nichtregierungsorganisationen" ab. Dazu
gehört eine konsequente Konfrontationshaltung gegenüber den Multis und ihren Institutionen. "Die in PGA vernetzten
Basisbewegungen und Organisationen sind davon überzeugt, daß Lobbyismus keine starke Wirkung auf solch undemokratische
Organisationen haben kann, in welchen das transnationale Kapital das einzige wichtige Kriterium ist", heißt es in einer
Selbstdarstellung.
"Im Süden ist die Dringlichkeit einer radikalen politischen Veränderung offensichtlich. Wir hoffen, daß dieses Projekt
dazu beitragen wird, dieses Bewußtsein in der europäischen Öffentlichkeit zu verbreiten", formuliert KRRS das Ziel
der Europatour.
Weil die Auswirkungen der neoliberalen Politik auch in Europa selbst zu spüren sind, wird ein Teil der Inder gemeinsam mit den
"Europäischen Märschen gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Ausgrenzung und
Rassismus" bereits ab dem 24.Mai von Brüssel aus nach Köln marschieren. Dort werden sie mit mehreren tausend Menschen
am 29.Mai gegen den EU-Gipfel demonstrieren.
Neben der Teilnahme an weiteren Demonstrationen in Köln und einer Aktion vor den Bayer-Werken in Leverkusen werden sie in Genf
Station machen. Dort befindet sich der Hauptsitz der Welthandelsorganisation.
Gerhard Klas
Kontakt und Termin: 22.Mai Empfang in Düsseldorf; Infos: ICC99@gmx.de; Fon (030) 61401999.