Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 2

Taz-Jubiläum

Soldaten-Taz

Die frisch gebackene Chefredakteurin der Tageszeitung, Bascha Mika, hatte für ihre Begrüßungsrede auf der Taz-Geburtstagsfete am 17.April im Berliner Tacheles ein paar alte Ausgaben der Taz ausgesucht. Zum Vorzeigen. Seht nur, wie verrückt wir mal waren! Besonders angetan hatte es ihr eine Nummer aus den 80er Jahren, die mit der Schlagzeile "Raus zum 1.Mai" erschienen war. Doch mit dem spontanen Applaus eines großen Teils der Anwesenden hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. "Raus zum 1.Mai, das hättet ihr wohl gern wieder?"
  Es blieb nicht bei dieser einen Irritation. Einer der Gratulanten, Sebastian Turner von der Werbeagentur Scholz & Friends, erinnerte an das derzeit regierende rot-grüne Kriegskabinett und machte klar, daß er nicht gekommen war, um Komplimente zu verteilen: Die gnadenlose Vermischung von Meinung und Kommentar hätten heute Werbung, die Bild-Zeitung und die Taz gemein, deren Leser im übrigen überdurchschnittlich viel verdienen, überdurchschnittlich viel Auto fahren und überdurchschnittlich viel Flugreisen unternehmen. Die Taz läsen sie zur Kompensation ihrer Sünden.
  "Jede Jesuslatsche, die zum Bleifuß wird, jede Latzhose, die sich in einen dreiteiligen Maßanzug verwandelt und jeder Friedensbewegte, der Bomben werfen läßt, braucht für sein Gewissen jeden Tag eine gute Taz", schloß er. Manchem blieb das Lachen im Halse stecken. So genau wollte man es eingentlich nicht wissen.
  Mit beinahe frenetischem Beifall wurde Christian Ströbele begrüßt, der vor über zwanzig Jahren den Anstoß zur Gründung einer linken Tageszeitung gegeben hatte, heute für Jäger 90/Die Grünen im Bundestag sitzt und innerhalb der Partei den verbliebenen pazifistischen Rest repräsentiert. Vom Moderator Hans-Jörg Rosenbauer vom ORB auf die Reise Gysis nach Belgrad angesprochen - in der Taz war tags zuvor von "nationalem Verrat" die Rede, den Gysi begangen habe-, nannte Ströbele diese Reise einen Versuch, etwas zu bewegen, der leider gescheitert sei.
  Ströbele berichtete dann von einem Vorfall aus der Geschichte der Taz: Ein Bundeswehrkommandeur hatte einem Rekruten verboten, die Taz in der Kaserne offen herumliegen zu lassen. Der damalige Bundesverteidigungsminister Hans Apel (SPD) begründete das Verbot in einem Brief an Ströbele mit der Gefahr der politischen Beieinflussung anderer Soldaten. "Heute wäre, glaube ich, so ein Brief nicht denkbar. Heute wird man in vielen Kasernen und Soldatenunterkünften die Taz offen ausliegen sehen. Ich glaube", so Stöbele weiter, "das liegt nicht nur daran, daß wir heute einen anderen Verteidigungsminister haben als 1981, sondern ich fürchte, das liegt auch an der Taz."
Uwe Soukup
 

Anm.d.Red.: Vier Sonderseiten präsentierte die Taz in ihrer nächsten Ausgabe. Christian Ströbele und Sebastian Turner waren, obwohl beide zu den Hauptrednern des Abends gehörten, auf keinem Bild zu sehen und ihre Namen mit keiner Silbe im Text erwähnt.

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