Sozialistische Zeitung |
Wecken, waschen, füttern - husch, zu mehr reichts nicht beim Pflegepfusch!" So und
ähnlich schallte es am Abend des 23.März durch die Essener Fußgängerzone. Wenn über 300 Schwestern,
Ärzten, Küchenfrauen und Schreibkräften der Geduldsfaden reißt, wenn sie aus den Krankenhäusern auf die
Straße gehen und die Bürger aufschrecken, dann muß sie jemand wohl bis aufs äußerste gereizt haben…?
Stimmt.
Die Krankenhausunternehmer wollen nach dem gemeinsamen Tarifabschluß im öffentlichen Dienst nun erstmals in hastigen
Sonderrunden die Branche vom Rest der Republik abkoppeln: Drastisches Kürzen bei den Einkommen um Weihnachts- und Urlaubsgeld,
Einfrieren von Alters- und Bewährungsaufstiegen, Verlängern der täglichen Arbeitszeit auf 12 bis 13 Stunden,
Verkürzen der Pausen auf Zigarettenlänge ... Ihr Forderungskatalog läßt erahnen, in welch enthemmter und wohl auch
mitternächtlicher Laune ihn die Arbeitgeber mit grober Keule zusammengezimmert haben.
Sie sind - wenn es um das Aushandeln und Durchsetzen von Tarifverträgen geht - genauso ungeübt wie ihre Beschäftigten.
Und noch schlechter organisiert: Die 14 Essener Krankenhäuser sind noch zersplittert in private, in die einzelnen Kirchen als
Träger, in die - noch - vom Land verantwortete Uniklinik. Jahrzehntelang genügte es, als Trittbrettfahrer den streikenden
Straßenbahnschaffnern und Müllwerkern zuzuschauen und hinterher die erkämpften Ergebnisse murrend
abzuschreiben.
Doch die neue Bundesgesundheitsminsterin Andrea Fischer knüpft weitgehend bruchlos bei ihrem Vorgänger an und schreibt die
rigide Deckelung der Krankenhausbudgets fort - eine Politik zu Lasten der Gesundheit von Patienten und Personal. Um eine ausreichende und
qualitativ gute Versorgung sicherzustellen, fehlen 40.000 Arbeitsplätze in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, so rechnete Peter
Blechschmidt vom ÖTV-Bundesvorstand vor. Übernächtigte Ärzte werden noch um die Bezahlung ihrer
Überstunden geprellt. Patienten warten menschenunwürdig in Notbetten auf den Klinikgängen, bis sie in ein bereits belegtes
Zimmer dazugeschoben werden.
Kein Klinikchef in Essen möchte jedoch die Notstände im eigenen Haus an die "große Glocke" hängen. Sie
geben kein klares Signal an die Krankenkassen - "Die Qualität leidet!" Sie melden nicht an die Politiker: "Halt -
Gesundheit, Leib und Leben in Gefahr!"
Sie glauben stattdessen, mit besonders deftigen Einschnitten beim Personal einen leichteren Weg zu wählen. Dr. Rudolf Hartwig,
Geschäftsführer der Krupp Klinik, brachte es im Namen der Krankenhausdirektoren Deutschlands - deren Sprecher er ist - auf den
Punkt: "Schlechtere Arbeitsbedingungen oder Streichen von Stellen" (Radio Essen am 18.3.99). Die letzte Tariferhöhung von
3,1% ist da nur der willkommene Anlaß, um für die nächsten 19.000 weggesparten Stellen die Beschäftigten selbst und
ihre Gewerkschaften verantwortlich zu machen.
Die Quittung kam prompt und vom - sonst so duldsamen - Krankenhauspersonal auch ungewohnt deutlich. Seit Mitte März hängt in
den Kliniken der Betriebsfrieden schief. Und angesichts einer Belegschaft, die mobil macht, wird auch ein Direktor beweglich. Beeindruckt
kündigten die kommunalen Arbeitgeber an, sich nun wie die Gewerkschaften ÖTV und DAG bei der Bundesregierung für ein
Gesetz einzusetzen, das die tariflichen Personalkosten voll finanziert.
Ein Teilerfolg - aber keine neuen Bündnispartner. Um eine Bundesministerin so ins Wanken zu bringen - wie jüngst den
Finanzminister Lafontaine - braucht es eine Unternehmerlobby von ganz anderem Kaliber als unsere Krankenhauschefs. Und bei den
andauernden Verhandlungen, jetzt über Arbeitszeiten und Härtefallklauseln, müssen wir ihnen klare Grenzen
aufgezeigen.
Und doch: Wir können auf diesen ersten Erfolg aufbauen. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern beginnen, zu einer
Sprache zu finden, die in den oberen Verwaltungsetagen verstanden wird. Und wenn es bald - gemeinsam und breit mobilisiert - Richtung Bonn
geht, vielleicht werfen uns dann die Klinikleiter doch keine Steine in den Weg.
Tobias Michel