Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 29.04.1999, Seite 10

Traditionslinien deutscher Außenpolitik

Schon lange bevor der Konflikt im Kosovo so richtig heiß lief, beschäftigte man sich im hohen Norden, an der dänischen Grenze, von berufswegen mit der einstigen autonomen Provinz in Jugoslawien: "Die moderne Geschichte Europas lehrt uns, daß der Prozeß der Nationenbildung noch nicht abgeschlossen ist", gab im Dezember 1996 ein gewisser Stefan Troebst bei der Einweihung des Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen (EZM) in Flensburg zum besten. Es war quasi seine Antrittsrede. Troebst wurde zum Direktor bestellt. Die Zahl der Nationen in Europa sei unendlich, ließ er sein Publikum wissen. So wie das Recht auf Ehescheidung heute allgemein anerkannt werde, müsse auch das Recht auf Sezession akzeptiert werden. Und als wollte er die heutige Situation vorwegnehmen: "Auch souveräne Staaten haben Interventionen der internationalen Gemeinschaft zu akzeptieren."
  Der Mann kannte sich aus. Er war längere Zeit im Auftrag von Bundesregierung und OSZE auf dem Balkan tätig. Sein Schwerpunkt: Kosovo. Daß diese Ausführungen schon damals auf Jugoslawien gemünzt waren, ging auch aus einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hervor, den Troebst kurz zuvor veröffentlicht hatte: Im Gegensatz zu den südslawischen Nationalismen "ist der albanische Nationalismus bis heute nicht über den Stand von 1913, d.h. über die Existenz eines einzigen albanischen Nationalstaats in der Westhälfte des Siedlungsgebiets der Albaner, hinausgekommen. Ob hier herkömmliche Mittel wie Kultur-, Personal- oder Territorialautonomie noch Abhilfe schaffen können, ist zumindest, was das Hauptproblem Kosovo betrifft, fraglich."
  Unter anderem wegen dieser Äußerungen hatte es seinerzeit von einem Teil der Linken heftigen Protest gegen die Gründung des EZM gegeben. Die Kritiker sahen in der Institutsgründung den Versuch, Minderheiten in Osteuropa für deutsche Interessen zu instrumentalisieren und Sezession zu begünstigen. Immerhin wird das EZM zur Hälfte aus Mitteln des Bundesinnenministeriumms finanziert und da macht die frühzeitige Festlegung seines Direktors auf Lostrennung des Kosovos zumindest stutzig.
  Die Meinungen über das Wirken der Flensburger und die Absichten, die hinter der EZM-Gründung steckten, gehen auseinander. Das Institut hat seitdem einige Seminare vor allem mit Vertretern von Minderheiten aus Osteuropa organisiert und einige Studien herausgegeben. In der schleswig-holsteinischen PDS gab es seinerzeit eine kurze aber heftige Debatte, in der sich die Standpunkte kaum annäherten. Den Kritikern wurde unter anderem entgegengehalten, daß das Institut schließlich auch vom dänischen Staat mitgetragen und -finanziert wird. Dem kleinen Nachbarn aber wird man schwerlich unterstellen können, sehenden Auges deutsche Großmachtpolitik unterstützten zu wollen.
  Auffällig bleibt allerdings das Interesse, daß man in der Bundesregierung seinerzeit am Zustandekommen des EZM hatte. Die war es auch die letztendlich den Minderheitenbegriff durchsetzte, der die Grundlage der heutigen Arbeit des Instituts ist. Entgegen ursprünglichen Absichten der schleswig-holsteinischen Initiatoren, die im engen Kontakt zur dänischen Minderheit standen, werden die eingewanderten Minderheiten in Westeuropa ausdrücklich ausgenommen. Gemeint sind vielmehr "nationale Minderheiten sowie andere traditionelle - autochthone - Volksgruppen" die auf "angestammten Land" leben, wie es der seinerzeitige Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, Kurt Schelter, bei der Eröffnung ausdrückte.
  Solche Formulierungen lassen aufhorchen. Sie kommen nicht von ungefähr, sondern wurzeln in einer in die Kaiserzeit zurückreichenden Tradition deutscher Außenpolitik. Bereits vor der Jahrhundertwende begann ein im deutschen Schulverein (später Verein für das Deutschtum im Ausland - VDA) zusammengeschlossenes Bündnis aus Ultra-Nationalisten und Industriellen eine aggressive Nebenaußenpolitik mit deutschen Minderheiten in Osteuropa, zunächst v.a. in Österreich- Ungarn. Während im deutschen Reich bis 1918 alle Minderheiten kulturell unterdrückt wurden und selbst muttersprachlicher Unterricht in den polnischen Gebieten im Osten verboten war, versuchte der Verein nach Kräften deutsche Auslandsschulen zu fördern.
  Aber die Ambitionen gingen weit über Unterstützung und Aufbau von Schulen hinaus. Schon bald nahm man nicht unwesentlichen Einfluß auf die offizielle Außenpolitik, nicht selten zum Verdruß Wiens. In den deutschen Minderheiten auf dem damals teilweise von der k.u.k. Monarchie beherrschten Balkan sah man Brückenköpfe für deutsche Einflußnahme auf Rohstoffquellen und für die Erschließung neuer Märkte. Der VDA gehörte 1913 auch zu jenen Kräften, die für die rassistisch Neufassung des deutschen Staatsbürgerechts eintraten, nach der das deutsche Volk nicht territorial, sondern über vermeintliche Blutsbannde definiert ist. Die gleiche Definition wird seit eben jener Zeit auch für die sog. Volksgruppen angewendet.
  Nach dem ersten Weltkrieg erfuhr dieses Konzept in der "Volksgruppenpolitik" eine Erweiterung. Nun wollte man sich im Außenministerium der neuen Republik nicht mehr nur die deutschen Minderheiten zu Nutze machen, sondern auch je nach Zweckdienlichkeit andere. Ziel war die Überwindung des Versailler Vertrages. "Die staatlichen Bemühungen um Grenzrevision gipfelten in dem Plan, neben den deutschsprachigen ‚Volksgruppen‘ sämtliche übrige Minderheiten Europas für die Berliner Absichten einzuspannen", beschrieben 1997 Walter von Goldenbach und Hans-Rüdiger Minow diese Politik in ihrem Buch Von Krieg zu Krieg. Anläßlich der Gründnug des EZM legten sie mit diesem Beitrag eine engagierte Auseinanderstezung mit der traditionellen Instrumentalisierung von Minderheiten vor.
  Der "Nationalitäten Kongreß" wurde gegründet - von deutschen Organisationen dominiert.1925 legte Außenminister Gustav Stresemann in einer Denkschrift die Ziele deutscher Volksgruppenpolitik dar, die schon wegen der Auflagen des Versailler Vertrages verdeckt, über scheinbar private Vorfeldorganisationen wie den "Nationalitäten Kongreß" abgewickelt werden mußte: Bei den Minderheitenrechten müsse die "großzügigge Lösung des Problems" verlangt werden. Es handele sich um "nichts anderes ... als die Anwendung auf einen besonderen Fall des ... Selbstbestimmungsrechtes der Völker" (zitiert nach Goldenbach/Minow). Was das im konkreten hieß, zeigte sich schon bald. 1927 traten die Vetreter der Dänen, Sorben, Polen, Letten, Tschechen und Litauer aus der Organisation aus, weil die deutschen Gruppen gedrängt hatten in den jeweiligen Ländern Autonomieforderungen aufzustellen. Das sahen diejenigen, die nun dem verlängerten Arm des Berliner Außenministeriums den Rücken kehrten, als "expansionistische Politik" an.
  In Berlin ließ man sich durch die Austritte der Feigenblätter nicht beirren. Im März 1928 trafen sich in Berlin Vertreter der Ministerien für Inneres, Finanzen und Äußeres mit den "Führern des Grenz- und Auslandsdeuttschtums" um die weitere Linie abzusprechen. Das Protokoll dieser Konferenz ist im Hinblick auf Ziele und zugrundeliegende Ideologie äußerst aufschlußreich (nachzulesen in Reinhard Opitz Standardwerk über die Europastrategien des deutschen Kapitals): "die heute in Europa herrschende Staatsauffassung ... ist zumeist nationalstaatlich. Diese Staatsauffassung und die ihr entsprechenden Verfassungstypen ... sind ... den Tatsachen der Völkermischung und
  -schichtung schlecht angepaßt. Sie tragen der geschichtlichen Entwicklung nicht Rechnung und gewähren der einzelnen Volkspersönlichkeit kein befriedigendes Eigenleben..." Schlußfolgerung: "für das geschlossene Siedlungsgebiet jedes Volkes das Recht auf einen eigenen Staat". Natürlich dachte man zu keiner Zeit daran, zum Beispiel den in Deutschland lebenden Sorben oder gar schlesischen Polen oder gar Sinti solche Rechte zuzugestehen.
  Ein Jahrzehnt später konnten die Nazis bei der Aufteilung Europas nahtlos an diese Poltik anknüpfen und die mit den "Nationalitäten Kongressen" aufgebauten Kontakte nutzen, wo es um die Zerlegung anderer Staaten ging. Zunächst in der Tschechoslowakei, dann in Jugoslawien, schließlich in der Sowjetunion, wo man schon seit den zwanziger Jahren ukrainische Seperatisten unterstützt hatte.
  Daß nach 45 in den diversen Menschenrechtserklärungen niemals von kollektiven Minderheitenrechten die Rede war, sondern diese jeweils vom Individuum her definiert werden (das Recht auf Schutz vor Diskriminierung hat usw.) ist auch den Erfahrungen mit der Politik Nazi-Deutschlands geschuldet. Sogenannte Volksgruppenrechte waren von der Regierung Hitlers exzessiv als Rechtfertigung für die Aggressionen gegen andere Staaten eimngesetzt worden, deren "einseitige Überspannung des Souveränitätsgedankens" (Protokoll der besagten Berliner Konferenz) man aus dem Weg fegte.
  Im Westdeutschland wurde nach 1945 nahtlos an die Traditionen der Berliner Außenpolitik angeknüpft. Der VDA konnte seine Tätigkeit bald wieder aufnehmen. Nach dem Zerfall des Ostblocks verzehnfachte sich sein Etat auf ca. 100 Millionen DM jährlich. Auch die "Nationalitäten Kongresse" fanden in der Förderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) ihre Fortsetzung. 1996 gehörte die FUEV zu den Ziehvätern des EZM. Und die Zerstückelungen Ost- und Südosteuropas unter takräftiger Bonner Mithilfe bescherte uns praktisch ein Déjà-vu-Erlebnis.
  Da wundert es schon, daß vielen Linken das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" immer noch so mühelos von den Lippen kommt, ohne das sich viel um die Abgrenzung zur unappetitlichen Nachbarschaft mit ihren "Volksgruppenrechten" gekümmert wird. Entsprechende Diskussionen Anfang der 90er Jahre scheinen an vielen vorbeigegangen zu sein, wohl auch deshalb, weil mancher ihrer Protagonisten sich alsbald in eine eigentümlich nationalbornierte antinationale Isolation zurückgezogen hat. Eine Neuauflage dieser Debatte ist daher angezeigt. Ein wenig Rückbesinnung auf die Französiche Revolution und deren Idee vom Nationalstaat wird dabei nichts schaden.
 
Wolfgang Pomrehn


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