Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 1

Euromärsche gegen Krieg

Die Ausweitung des Billiglohnsektors und der Sozialabbau in Europa standen ursprünglich im Mittelpunkt der Protestaktionen der "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Ausgrenzung und Rassismus". Die Mobilisierung gegen den kommenden EU-Regierungsgipfel in Köln lief bereits auf Hochtouren, als die NATO ihre Luftangriffe auf die Bundesrepublik Jugoslawien startete. Wenige Wochen später traf sich die europäische Koordination der EuroMärsche und beschloß, am 29.Mai, dem Tag der europäischen Großdemonstration, auch gegen den Balkankrieg zu protestieren. Nun heißt das Netzwerk "EuroMärsche gegen Erwerbslosigkeit … und Krieg".
  Nur oberflächlich betrachtet ist es eine einfache Aneinanderreihung. Absehbar sind die sozialen Kosten des Krieges. Sie werden nicht auf den Balkan beschränkt bleiben, sondern auch die EU und Nordamerika erfassen. Sogar Afrika wird nicht verschont bleiben. Auf absehbare Zeit, so erklärte Ludger Volmer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, vor südafrikanischen Gastgebern, sei damit zu rechnen, daß die Mittel für humanitäre und Entwicklungshilfe außerhalb Europas knapp sein würden.
  Am 8.Mai demonstrierten mehrere zehntausend Menschen in Berlin gegen den Krieg im Balkan. Horst Schmitthenner, Vorstandsmitglied der IG Metall, machte darauf aufmerksam, daß weder die Unternehmen, "die seit Jahren Waffen in die Region liefern", noch die "politischen Eliten" den Militäreinsatz bezahlen werden. "Auch diesmal werden die offenen Rechnungen den abhängig Beschäftigten, den Arbeitslosen und den sozial Bedürftigen präsentiert werden", so Schmitthenner.
  Der EU-Gipfel vom 3. und 4.Juni wird beide Themen behandeln: Er plant einen "Beschäftigungspakt", mit dem die Erwerbslosigkeit durch Ausweitung von Billigjobs bekämpfen werden soll; und den Aufbau einer europäischen Militärstruktur unter dem Dach der NATO. Die gleichen Politiker, die sich für eine weitere Demontage der Sozialsysteme aussprechen, sind umstandslos bereit, Milliarden für den Krieg auszugeben.
  Trotz streng von der EU verordneter Haushaltsdisziplin hat allein der Bundestag schon mehr als 780 Millionen Mark über den Wehretat hinaus für den Bundeswehreinsatz bewilligt. Das wird nicht reichen. Die täglichen Ausgaben für die Angriffe der NATO auf Jugoslawien betragen nach Angaben der US-Geschäftsbank Merrill Lynch 368 Millionen Mark. Bisher tauchen die Kosten des Krieges in der öffentlichen Debatte aber allenfalls als Randbemerkung auf.
  Gleichzeitig soll in der EU der "Faktor Arbeit" billiger werden, verkündet die EU-Kommission. Sie ordnet weitere Absenkungen der Lohnnebenkosten und zusätzliche Kürzungen von Sozialleistungen an. Die Heraufsetzung des Rentenalters und zusätzliche Qualifikationsprogramme sollen die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärfen und dadurch auch für höher qualifizierte Arbeit das Lohnniveau senken.
  Für Solidarität statt Konkurrenz plädieren die EuroMärsche. Die gilt heute vor allem auch den zivilen Opfern, sozialen Initiativen und Gewerkschaften in der Kriegsregion. Den EuroMärschen geht es außerdem darum, über die grundsätzliche Gegnerschaft zu diesem Krieg hinaus deutlich zu machen, daß die Folgen nicht nur auf die Balkanregion begrenzt bleiben werden. In ganz Europa hat der Krieg auf dem Balkan die Kriegsbereitschaft gesteigert. Zahlreiche EU-Politiker betonen immer wieder, die Interventionspolitik dürfe nicht den USA allein überlassen bleiben, und plädieren für eine Stärkung des "EU-Pfeilers in der NATO". Es liegt auf der Hand, daß diesen Verlautbarungen neue und kostspielige Aufrüstungsprogramme folgen werden. Die daraus resultierenden Kriege werden nicht lange auf sich warten lassen.
  "Allein eine starke und koordinierte internationale soziale Bewegung kann soziale Veränderungen und eine Umverteilung der Reichtümer erzwingen", heißt es in einem Aufruf zur europaweiten Demonstration. Neben zahlreichen Erwerbslosenorganisationen und Gewerkschaftsvorständen aus Frankreich, Italien und Griechenland rufen in Deutschland der Hauptvorstand der IG Medien und der Gewerkschaft Nahrung, Genuß und Gaststätten, Vorstandsmitglieder der HBV und GEW, sowie zahlreiche Vertrauenskörperschaften, Betriebs- und Personalräte der IG Metall, ÖTV und anderer Gewerkschaften zur Demonstration am 29.Mai auf. Auch der ostdeutsche Arbeitslosenverband, die gewerkschaftliche Koordinierungsstelle der Arbeitslosen in Bielefeld, die antirassistische Kampagne "Kein Mensch ist illegal", die antifaschistische Organisation AA/BO und die Bundesarbeitsgemeinschaften der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen wollen gegen Sozialdumping, Rassismus und Krieg demonstrieren.
Gerhard Klas


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