Sozialistische Zeitung

SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 2

Der nächste Feind

von WOLFGANG POMREHN

Die internationale Gemeinschaft führt Krieg gegen Jugoslawien. Heißt es. War da nicht noch was? Ach ja, die UNO und die restlichen 85% der Weltbevölkerung. Was sich da so arrogant in Bonn, Washington und London als Gewissen der Welt aufspielt, repräsentiert vielleicht die Mehrhrheit der Giftmüllproduzenten, Rohstoffverbraucher, Überfischer der Weltmeere, Waffen- und Landminenexporteure, ist hauptverantwortlich für Treibhauseffekt und die Verheerungen des freien Weltmarkts, aber für die Menschheit kann diese "Wertegemeinschaft" kaum sprechen. Deshalb übergehen hiesige Medien den Dissenz in den Vereinten Nationen geflissentlich mit Schweigen. Wen interessiert es schon, daß Indien und China mit ihrer Bevölkerung von fast 2,5 Milliarden Menschen heftig gegen den Angriffskrieg der NATO protestieren?
  Rußland gehört auch nicht zur "internationalen Gemeinschaft", aber von Rußland spricht man in letzter Zeit wieder. Rußland soll eingebunden werden, nachdem man es genug gedemütigt hat. Einen Krieg mit ihm will natürlich keiner; Rohstoffquellen und Anlagemärkte des desolaten Riesen kann man sich auch mittels der Kreditschraube erschließen. Moskau wird also weitere "Hilfs"-Pakete bekommen und dafür im Sicherheitsrat der Politik des Westens zustimmen.
  Damit wäre der Schwarze Peter bei China. Grüne Menschenrechtler wissen natürlich längst, daß man mit den Pekinger "Kommunisten" nicht verhandeln darf, weshalb die UNO dringent reformiert werden muß (Angelika Beer). Es ist ja auch wirklich eine Zumutung, daß ein außereuropäisches Land im Sicherheitsrat eine Vetostimme hat. Zudem noch ein selbstbewußtes, das sich demnächst zum ernsthaften Konkurrenten mausern könnte. Die Washingtoner Vorkämpfer der Menschenrechte haben das längst erkannt und betreiben "containment", d.h. sie basteln an Militärbündnissen, Flottenabkommen und Raketenabwehrsystemen, um im nächsten Jahrtausend die Freiheit Tibets oder vielleicht Xingkiangs - das wäre näher an unseren Ölquellen in Zentralasien - zu verteidigen. Für die "westliche Wertegemeinschaft" wäre das ein Segen, denn schließlich ist auch untereinander nicht alles eitel Sonnenschein und da kann ein äußerer Feind gelegentlich ganz nützlich sein. Ein Schelm, wer da bei den Bomben auf die Botschaft in Belgrad an Absicht denkt.
 


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