Sozialistische Zeitung |
Man kann den Chinesen nur dankbar sein, daß sie den Beschuß ihrer Botschaft in Belgrad mit
Massenprotesten und einem Steinhagel auf die US-Botschaft in Peking beantwortet haben. Das trägt die Antikriegsbewegung mit
einemmal weit über Europa hinaus und verschafft ihr mächtige Verbündete in den Ländern, über die die USA
meinen, sich bei der Planung ihres global play selbstherrlich hinwegsetzen zu können - in erster Linie die Staaten im UN-Sicherheitsrat,
die gegen die NATO-Angriffe waren, Rußland und China.
Im NATO-Hauptquartier hat man nicht begriffen, was man angerichtet hat. Die beiläufige Entschuldigung ist in der Betonung ihrer
Nebensächlichkeit unglaublich arrogant. Was ist schon dabei, wenn China und Rußland sich aufregen, hängen sie nicht beide
am Tropf des IWF? Essen sie nicht beide das Gnadenbrot des Westens? Rußland darf ein bißchen den Hampelmann spielen, weil
es in Europa liegt und den europäischen Bündnispartnern das Verhältnis zu diesem Staat nicht egal ist. Aber sonst? Die
Aufregung wird sich bald legen und ein Anlaß, die Bombardierungen einzustellen, besteht nicht.
Irrtum, hoffentlich. Denn die Selbstgewißheit, mit der das deutsche Fernsehen die Proteste in Peking als "organisiert" und
"herangekarrt" qualifiziert, mit ein paar nichtorganisierten Spinnern, die nur auf eine Gelegenheit gewartet hätten, Randale zu
machen, zeigt doch eins: Arroganz macht blind. Ist die Wut über verletztes Nationalgefühl denn weniger ernst zu nehmen, wenn ihre
Demonstration von der Regierung erlaubt oder gewünscht wird? Die Menschen im Fernsehen sahen nicht so aus, als hätten sie nur
eine von oben verordnete Pflicht erfüllt, sie waren ganz bei der Sache und standen offensichtlich dahinter. Und kann es nicht auch mehr
sein als nur verletztes Nationalgefühl, was hier zum Ausdruck kommt? Zum Beispiel Frustation über die Anpassung an die sog.
"westlichen Werte" Konkurrenz, privater Besitz und soziale Ungleichheit?
Danke für die Steine. Sie müßten überall fliegen. Hoffentlich bald auch wieder in Amerika, dem die Chinesen
vielleicht gezeigt haben, daß der Balkan doch näher liegt, als sie annehmen. Denn es geht schon lange nicht mehr um die
Flüchtlinge. Es geht darum, ob die NATO uneingeschränkt der Welt ihren Willen aufzwingen kann. Es geht um diese neue
Weltordnung der Konzerne, Banken und Militärs, die jetzt, vielleicht, ihre verdiente Antwort bekommt: eine neue weltweite
Antikriegsbewegung wie damals zu Vietnam. Wenn auch in anderen Formen und Konstellationen.