Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 6

Bündnis für Niedriglohn

Zehn Mark Stundenlohn - das neueste Angebot

Der Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts, Wolfgang Streeck, wird als einer der Chefdenker für Schröders Bündnis-Veranstaltung betrachtet. Die unter seiner Führung erstellten Vorarbeiten für die nächste Gesprächsrunde des Bündnisses für Arbeit sind in vollem Gange; es soll ein "Niedriglohnsektor" eingeführt werden. Bei den Vorarbeiten macht auch der DGB unter Vorsitz von Dieter Schulte mit.
  Während Tausende von Bankangestellten auf der Straße für höhere Löhne und den freien Samstag demonstrieren, täglich wechselnde Bankfilialen bestreikt werden, geistert die Diskussion zwischen Mai (ÖTV), Zwickel (IGM) und Schmoldt (IGBCE) um die Frage, auf welche Art die Tarifpolitik bei den Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen vorkommen könne. Dabei geben allein die Bankfusionen in Bayern und mit der Deutschen Bank sowie die Errichtung von 24-Stunden-Banken über Call- Center einen Vorgeschmack auf die Arbeitsplatzvernichtung, die auf die Beschäftigten in diesem Sektor zukommt.
  Auch die Fusion im Einzel- und Versandhandel zwischen Karstadt und Quelle wird weitere Arbeitsplätze kosten. Bei dem Versender Schöpflin in Lörrach, der zu Quelle gehört, fängt es schon an. Das Nebeneinander von Quelle und Neckermann (Karstadt) in einem Konzern wird ein weiteres tun. Offensichtlich ist die Verhinderung solcher Arbeitsplatzvernichtungsprogramme kein Bestandteil des Bündnisses für Arbeit, und die Debatte darüber wird von den beteiligten Gewerkschaften noch nicht mal offensiv geführt.
  Zwickels Vorgabe vom Jahresanfang, wenn über Lohntarife gesprochen werde, steige er aus, hat keine praktische Bedeutung. Selbstverständlich wird nicht über "Tarife" gesprochen. Und auch "Lohnleitlinien" stehen angeblich nicht zur Debatte. Wozu sich die Gewerkschaftsvertreter aber verstehen können, ist die Beratung über einen "volkswirtschaftlichen Datenkranz", bei dem auch die "Einkommen" vorkommen, etwa als Ergebnis der "Lohnpolitik".
  Nun kann man sich die traute Herrenrunde vorstellen, wenn vom DIW und anderen fähigen Instituten die Daten vorgelegt werden, und dann darüber diskutiert wird, wie Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn man sich an diese Daten halten muß! Sachzwänge werden sich ohne Ende ergeben.
  Auch Gerhard Schröder versicherte noch einmal bei der Eröffnung der Hannover-Messe, daß die Tarifautonomie erhalten bleiben soll. Da können sich die Herren Zwickel und Mai doch beruhigt zurücklehnen. Die Tarifautonomie für die Beschäftigten bleibt erhalten, wenn nur für die Betriebe Öffnungsklauseln gelten, und für die Arbeitslosen wird ein Niedriglohnsektor angedacht, für den der Kanzleramtsminister Bodo Hombach zuständig ist.
  Dabei gibt es diesen Niedriglohnsektor bereits mit den 630-Mark-Jobs. Wer 15 Wochenstunden arbeitet und 630 Mark verdient, hat ungefähr 10 Mark Stundenlohn. Die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen dienen ja nicht dazu, die Jobs einzuschränken, sondern sie sozialversicherungspflichtig zu machen - dann können sie auch ausgedehnt werden. "Arbeitsplätze schaffen mit Niedrigeinkommen" könnte über dem Bündnis für Arbeit stehen.
  Hombach gab zu, daß über Niedriglöhne intensiv diskutiert wird, auch beim DGB, nur der "Sprachgebrauch" stünde im Wege, man suche nach einem "unverkrampften Namen" (FR, 17.4.99). Dabei betrachtet die Regierung offenbar die Ausweitung der "personenbezogenen" und "freizeitbezogenen" Dienstleistungen als Mittel zur Minderung der Arbeitslosenzahlen. Weil das hauptsächlich Frauen im Reinigungs- und Hauswirtschaftsbereich betrifft, wurde die 630-Mark-Regelung so gestaltet, daß diese Frauen bei einem verdienenden Ehemann keine Steuern zahlen müssen. Sie sind dann familienkrankenversichert und können sich durch Abzug von 7,5 % Lohn in die Leistungen der Rentenversicherung einkaufen. Hombach sprach von 3,4 Millionen Stellen, die da entstehen könnten. Von keiner einzigen kann man allerdings als Einzelverdiener leben, das vergessen er und Dieter Schulte zu erwähnen.
  Die Beteiligung des DGB an diesen Rechenspielereien ist der eigentliche Skandal. In der Grauzone zwischen 630-Mark-Jobs, Niedriglohnsektor und Kombilohn bewegt sich Schulte immer mit. Die Planung im Bündnis für Arbeit, daß Niedriglöhne tariflich vereinbart werden und der Staat die Versicherungsbeiträge übernimmt, kommt einer Aushebelung aller Regelungen von Flächentarifverträgen und damit den Interessen der Unternehmen entgegen. Sie hätten niedrige Lohnkosten und einen steuersubventionierten Billiglohnbereich, weil sie sich an der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr beteiligen müßten.
  Der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Peters warnte davor, das "Bündnis für Arbeit" werde zu einer Ersatzregierung. Eine politische Absprache zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung über massive Änderungen bei den Sozialversicherungssystemen bedeutet tatsächlich die Aushebelung verschiedener formal-demokratischer Prozesse, nicht nur für das Parlament, auch für die Selbstverwaltung der Sozialversicherung und besonders für die Gewerkschaften.
  Die Arbeitgeber lehnen die "Rente mit 60", die von Arbeitsminister Riester ins Spiel gebracht wurde, ab und wollen eine Stärkung der privaten Altersvorsorge. Arbeitgeberpräsident Hundt nannte Vorstellungen, daß Unternehmen steuerfrei Rücklagen bilden können und erst bei Auszahlung der betrieblichen oder privaten Renten Steuern anfallen - dann natürlich bei den Empfängern. Investivlohn, Rentenfonds - alles Beschönigungen dafür, daß die Beschäftigten aus der solidarischen Rentenversicherung mehr und mehr rausfallen und selber vorsorgen müssen, und dann auch noch Steuern zahlen.
  Nach Meinung von Hundt ließe sich auch über den Abbau von Überstunden reden, wenn die Ausgleichszeiträume verlängert werden, bis hin zu Lebensarbeitszeitkonten. Auch dies ein bislang tariflich geregelter Bereich, der den Gewerkschaften durch politische Vereinbarungen immer mehr entzogen würde.
  Angesichts des bisherigen Auftretens der Gewerkschaftsvorsitzenden in den Bündnisgesprächen, besonders aber der skandalösen Zustimmungen von DGB-Chef Schulte, gibt es für eine auf Eigenständigkeit und Interessenvertretung ausgerichtete Gewerkschaftspolitik nur die Forderung: Endlich eine eigene Politik gegen die Arbeitslosigkeit entwickeln und raus aus diesem Bündnis für Arbeit!


zum Anfang