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Die Eroberung und Vergewaltigung von Frauen hat eine jahrtausendealte Tradition: sie zählen zur
Kriegsbeute, um den Gegner zu demütigen und zu demoralisieren. Auch in die öffentliche Trauer um die Opfer des Krieges werden
die vergewaltigten Frauen nicht einbezogen; diese Untaten werden totgeschwiegen. Erst seit dem Bosnienkrieg haben sich Frauenorganisationen
gegründet, um den Frauen und Kindern in den Kriegsgebieten spezifische Hilfe zu leisten. Im Kosovakrieg sind Medica Mondiale, VIVE
ZENE e.V und andere wieder im Einsatz.
Vorbild für ein im Aufbau befindliches Soforthilfeprojekt in Albanien und Anlaufstelle für zahlreiche kosovarische
Flüchtlinge ist Zenica Mondiale in Bosnien. Seit 1993 wird dort in Kooperation mit Medica Köln akute und langfristige Hilfe
für traumatisierte Frauen und Kinder organisiert, was bis dahin ohne Vorbild war. Über 20.000 Frauen haben das Projekt seither in
Anspruch genommen. In drei Wohnprojekten können ca. 100 Flüchtlinge untergebracht werden. Ziel ist es auch, den Frauen wieder
eine Lebensperspektive zu eröffnen.
Deshalb wird den Frauen zusätzlich zur Therapie Aus- und Weiterbildung in anerkannten Berufen angeboten. Die Kinder sind in Schule
oder Kindergarten untergebracht. Die gynäkologische, allgemeinmedizinische und psychologische Betreuung leisten etwa 70
muslimische, kroatische und serbische Fachfrauen. Neben dem multiethnischen Ansatz sei ein wichtiger Bestandteil des Projekts, daß die
dort beschäftigten Frauen auch bezahlt werden, da von den Gehältern oft ganze Familien leben, sagt Anna Biermann von Medica
Mondiale.
Tuzla und Zenica sind bislang die einzigen Behandlungszentren und entsprechend überlastet. Immerhin seien die Zentren in Bosnien noch
arbeitsfähig, so Smiljana Hesse von VIVE ZENE (Frauen lebt), einer fünfköpfigen Dortmunder Organisation, die das
Therapiezentrum in Tuzla gegründet hat. VIVE ZENE versucht, die Kosovaflüchtlinge so gut wie möglich in die Arbeit in
Bosnien zu integrieren. Dabei ist die Zahl der Flüchtlinge schon 1998 wieder gestiegen, weil die ins Ausland Geflohenen massivem
Druck ausgesetzt waren, "freiwillig" nach Bosnien zurückzukehren oder abgeschoben zu werden.
Seit den NATO-Angriffen sei die Lage sehr angespannt, alte Ängste seien wieder aufgebrochen, berichtet Frau Hesse. Im Gegensatz zu
Medica Mondiale, deren Mitarbeiterinnen nach Aussage von Anna Biermann in diesem Punkt gespalten sind, hat VIVE ZENE von Anfang an ein
eindeutiges "Nein!" zur NATO-Intervention ausgesprochen.
Wie erwartet habe diese die Katastrophe nur vergrößert und die Lage der Flüchtlinge verschärft, so Frau Hesse.
"Das Vorgehen von Milosevic gegen die albanische Bevölkerung rechtfertigt nicht, das Leben von Frauen und Kindern durch einen
NATO-Einsatz zu gefährden und das Flüchtlingsdrama weiter zu forcieren", lautet die offizielle Stellungnahme von VIVE
ZENE.
Tabu Vergewaltigung
Die gynäkologische Versorgung durch Medica Mondiale und VIVE ZENE stellt einen zentralen Baustein dar, der von anderen
Hilfsorganisationen kaum berücksichtigt wird. Da es sich um reine Frauenprojekte handelt, sind dort auch nur Gynäkologinnen
beschäftigt, ein im Hinblick auf die Kontaktaufnahme zu den traumatisierten Frauen wichtiges Faktum.
Die durchschnittlich mit sieben oder acht Kindern und Großeltern flüchtenden Frauen seien meist äußerst
geschwächt von Kälte, Infektionen und mangelnder Hygiene, berichtet Anna Biermann. In diesem Zustand auch noch darüber
zu reden, was ihnen an Gewalt geschehen ist, würde den absoluten Zusammenbruch bedeuten. Zuerst muß also die medizinische
Versorgung gewährleistet werden. Es wird den Frauen auch die Möglichkeit einer Abtreibung angeboten. Allerdings müsse
diese seit 1997 aus fadenscheinigen Gründen in Krankenhäusern durchgeführt werden, was die Arbeit auf fundamentale
Weise beschneide.
Die gynäkologischen Beschwerden sind häufig der erste Ansatzpunkt, um auf die Gewalterfahrungen zu sprechen zu kommen. Viele
Frauen können darüber anfangs nur in der 3.Person sprechen. Deshalb hat Medica Mondiale damit begonnen, ein
interdisziplinäres Trauma-Konzept aus feministischer Sicht zu entwickeln. Das Konzept soll psychosoziale, medizinische und
ethnokulturelle Aspekte berücksichtigen.
Dieses Konzept des "gender training" sei auch wichtig für die Befragungen durch OSZE-Mitarbeiterinnen, so Anna Biermann.
Denn eine der Hauptaufgaben sieht Medica Mondiale darin, die Öffentlichkeit über die Situation von Frauen in Krisengebieten und
die Ursachen der Gewalt aufzuklären und zu sensibilisieren. Die Gewalttaten während und nach dem Krieg sollen deshalb im
Informations- und Dokumentationszentrum "Infoteka" mit Hilfe von Juristinnen dokumentiert werden. Dies dient auch der
späteren gerichtlichen Verfolgung der Täter.
Es dürfen aber auf keinen Fall westliche Informationsbedürfnisse befriedigt werden. Wichtig ist es, eine Gegenöffentlichkeit
zur spektakulären und vordergründigen Berichterstattung zu schaffen, die den Kriegsalltag und dessen psychologische Folgen
vollständig ausschaltet. Auch Smilijana Hesse von VIVE ZENE äußert sich negativ zur Berichterstattung der Medien zum
Kosovakonflikt. Die Gewalt an den Frauen gehe vollkommen unter.
Erst seit dem 1.4.99 hat Medica Mondiale eine festangestellte Pressesprecherin. Durch den gewaltigen Medienansturm sah sich die kleine
Organisation zu einer professionellen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit gezwungen. "Eine Meute von Journalisten stürzt sich
wie die Aasgeier ohne Abstand, ohne Sensibilität auf die Frauen", erzählt Anna Biermann. Dies sei eine zynische Fortsetzung
dessen, was den Frauen ohnehin schon an Entwürdigung angetan worden sei. Es sei deshalb wichtig, einen Schutzraum vor der Presse zu
gewährleisten, um überhaupt die Arbeit beginnen zu können.
Arbeit vor Ort in Albanien
Inzwischen ist in Zusammenarbeit mit Medica Köln Medica Kosova gegründet worden. Die albanische Regierung habe auf
Ministerialebene bereits großes Interesse gezeigt. Man will sich auf das Know-how der Frauen vor Ort stützen, die auf
bewundernswerte Weise organisiert und strukturiert seien. Die bestorganisierten Strukturen des Landes lägen in Frauenhänden,
berichtet Anna Biermann, so daß in kürzester Zeit die Kooperation von drei Frauenorganisationen zustande gekommen sei. Dabei
ist vorgesehen, daß die albanischen und kosovarischen Fachfrauen von den Bosnierinnen geschult werden, da sie aus einem
ähnlichen Kulturkreis stammen. Westlicher Feminismus würde nur weitere Kolonisierung bedeuten, so Anna Biermann. Auch das
sprachliche Problem sei zu groß.
Das Training der Albanerinnen hat Anfang Mai begonnen. Bis dahin sei es jedoch an Visaproblemen gescheitert, erzählt Anna Biermann.
Seit dem 20.April haben sechs Beraterinnen, eine Dokumentarin und eine Koordinatorin ihre Arbeit in den Flüchtlingslagern
aufgenommen. Die Ambulanzen, von denen eine allein 350.000 DM kostet, seien (Anfang Mai) leider noch nicht angekommen. Die Ambulanzen
pendeln von Ort zu Ort und leisten gynäkologische und psychosoziale Erstversorgung.
Die Organisation VIVE ZENE dagegen will ihre Arbeit weiter auf Bosnien konzentrieren. Dort seien bislang rund 100.000 Flüchtlinge
aus Kosova untergekommen und die Zahl erhöhe sich täglich, berichtet Smiljana Hesse. Über das Ausmaß der
Vergewaltigungen in Kosova wisse sie "noch nichts Genaues". Es werde sicher noch einige Zeit dauern, bis die Frauen so weit
seien, das Schweigen zu brechen, zumal die albanische Gesellschaft noch traditioneller als die bosnische sei.
Gesichertes Aufenthaltsrecht
Die Gründerin von Medica Mondiale, Monika Hauser, hat wegen der Asylpolitik der Bundesregierung im Oktober 1996 das
Bundesverdienstkreuz abgelehnt. Auf ihr Begründungsschreiben an Bundespräsident Roman Herzog hat sie bezeichnenderweise nie
eine Antwort bekommen.
Denn ein großes Anliegen von Medica Mondiale ist es, den traumatisierten Frauen und Kindern einen gesicherten Aufenthaltsstatus in
Deutschland zu geben. Eine Zwangsabschiebung würde einer Retraumatisierung gleichkommen, zumal auch die Gefahr der
Wiederbegegnung mit dem Vergewaltiger besteht.
Aufgrund des Duldungsstatus von nur drei Monaten können traumatisierte Frauen auch keine Therapie in Deutschland beginnen. Denn die
Frauen müssen die Traumatisierung nachweisen, um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Der psychotherapeutische Nachweis
wiederum ist nicht möglich, da die Sozialhilfe die medizinisch-psychotherapeutischen Kosten für die Behandlung nicht
übernimmt.
Aus all diesen Gründen fordert Medica Mondiale eine konsequente Umsetzung der Schutzforderung des Artikels 33 "Bleiberecht
aus humanitären Gründen". Gemäß §30 Ausländergesetz müßte den Flüchtlingen
für einen angemessenen Zeitraum eine Aufenthaltsbefugnis gewährt werden. In diesen Zusammenhang gehört auch eine
geschlechtsspezifische Neudefinition des Begriffs "Allgemeine Gefahrenlage".
Des weiteren fordert Medica Mondiale die länderweite Einrichtung einer Frauenhärtefallkommision. Dies betrifft die umgehende
Anerkennung von geschlechtsspezifischer Gewalt- und Fluchterfahrung in der deutschen Asyl- und Ausländergesetzgebung. Dafür
sollen Beamtinnen und Beamte wie Entscheidungskräfte zum Thema "interkulturelle geschlechtsbezogene
Handlungskompetenz" geschult werden.
Sehr skeptisch äußert sich jedoch Smiljana Hesse von VIVE ZENE im Hinblick auf die kommende Innenministerkonferenz. Aus den
bisherigen Erfahrungen habe sie wenig Hoffnung, daß sich in der Flüchtlingspolitik etwas zum Positiven ändern werde.
Monika Piendl