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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 7

Kriegstrauma Vergewaltigung

Weltweit gegen Nationalismus und Krieg

Die Eroberung und Vergewaltigung von Frauen hat eine jahrtausendealte Tradition: sie zählen zur Kriegsbeute, um den Gegner zu demütigen und zu demoralisieren. Auch in die öffentliche Trauer um die Opfer des Krieges werden die vergewaltigten Frauen nicht einbezogen; diese Untaten werden totgeschwiegen. Erst seit dem Bosnienkrieg haben sich Frauenorganisationen gegründet, um den Frauen und Kindern in den Kriegsgebieten spezifische Hilfe zu leisten. Im Kosovakrieg sind Medica Mondiale, VIVE ZENE e.V und andere wieder im Einsatz.
  Vorbild für ein im Aufbau befindliches Soforthilfeprojekt in Albanien und Anlaufstelle für zahlreiche kosovarische Flüchtlinge ist Zenica Mondiale in Bosnien. Seit 1993 wird dort in Kooperation mit Medica Köln akute und langfristige Hilfe für traumatisierte Frauen und Kinder organisiert, was bis dahin ohne Vorbild war. Über 20.000 Frauen haben das Projekt seither in Anspruch genommen. In drei Wohnprojekten können ca. 100 Flüchtlinge untergebracht werden. Ziel ist es auch, den Frauen wieder eine Lebensperspektive zu eröffnen.
  Deshalb wird den Frauen zusätzlich zur Therapie Aus- und Weiterbildung in anerkannten Berufen angeboten. Die Kinder sind in Schule oder Kindergarten untergebracht. Die gynäkologische, allgemeinmedizinische und psychologische Betreuung leisten etwa 70 muslimische, kroatische und serbische Fachfrauen. Neben dem multiethnischen Ansatz sei ein wichtiger Bestandteil des Projekts, daß die dort beschäftigten Frauen auch bezahlt werden, da von den Gehältern oft ganze Familien leben, sagt Anna Biermann von Medica Mondiale.
  Tuzla und Zenica sind bislang die einzigen Behandlungszentren und entsprechend überlastet. Immerhin seien die Zentren in Bosnien noch arbeitsfähig, so Smiljana Hesse von VIVE ZENE (Frauen lebt), einer fünfköpfigen Dortmunder Organisation, die das Therapiezentrum in Tuzla gegründet hat. VIVE ZENE versucht, die Kosovaflüchtlinge so gut wie möglich in die Arbeit in Bosnien zu integrieren. Dabei ist die Zahl der Flüchtlinge schon 1998 wieder gestiegen, weil die ins Ausland Geflohenen massivem Druck ausgesetzt waren, "freiwillig" nach Bosnien zurückzukehren oder abgeschoben zu werden.
  Seit den NATO-Angriffen sei die Lage sehr angespannt, alte Ängste seien wieder aufgebrochen, berichtet Frau Hesse. Im Gegensatz zu Medica Mondiale, deren Mitarbeiterinnen nach Aussage von Anna Biermann in diesem Punkt gespalten sind, hat VIVE ZENE von Anfang an ein eindeutiges "Nein!" zur NATO-Intervention ausgesprochen.
  Wie erwartet habe diese die Katastrophe nur vergrößert und die Lage der Flüchtlinge verschärft, so Frau Hesse. "Das Vorgehen von Milosevic gegen die albanische Bevölkerung rechtfertigt nicht, das Leben von Frauen und Kindern durch einen NATO-Einsatz zu gefährden und das Flüchtlingsdrama weiter zu forcieren", lautet die offizielle Stellungnahme von VIVE ZENE.
  Tabu Vergewaltigung
  Die gynäkologische Versorgung durch Medica Mondiale und VIVE ZENE stellt einen zentralen Baustein dar, der von anderen Hilfsorganisationen kaum berücksichtigt wird. Da es sich um reine Frauenprojekte handelt, sind dort auch nur Gynäkologinnen beschäftigt, ein im Hinblick auf die Kontaktaufnahme zu den traumatisierten Frauen wichtiges Faktum.
  Die durchschnittlich mit sieben oder acht Kindern und Großeltern flüchtenden Frauen seien meist äußerst geschwächt von Kälte, Infektionen und mangelnder Hygiene, berichtet Anna Biermann. In diesem Zustand auch noch darüber zu reden, was ihnen an Gewalt geschehen ist, würde den absoluten Zusammenbruch bedeuten. Zuerst muß also die medizinische Versorgung gewährleistet werden. Es wird den Frauen auch die Möglichkeit einer Abtreibung angeboten. Allerdings müsse diese seit 1997 aus fadenscheinigen Gründen in Krankenhäusern durchgeführt werden, was die Arbeit auf fundamentale Weise beschneide.
  Die gynäkologischen Beschwerden sind häufig der erste Ansatzpunkt, um auf die Gewalterfahrungen zu sprechen zu kommen. Viele Frauen können darüber anfangs nur in der 3.Person sprechen. Deshalb hat Medica Mondiale damit begonnen, ein interdisziplinäres Trauma-Konzept aus feministischer Sicht zu entwickeln. Das Konzept soll psychosoziale, medizinische und ethnokulturelle Aspekte berücksichtigen.
  Dieses Konzept des "gender training" sei auch wichtig für die Befragungen durch OSZE-Mitarbeiterinnen, so Anna Biermann. Denn eine der Hauptaufgaben sieht Medica Mondiale darin, die Öffentlichkeit über die Situation von Frauen in Krisengebieten und die Ursachen der Gewalt aufzuklären und zu sensibilisieren. Die Gewalttaten während und nach dem Krieg sollen deshalb im Informations- und Dokumentationszentrum "Infoteka" mit Hilfe von Juristinnen dokumentiert werden. Dies dient auch der späteren gerichtlichen Verfolgung der Täter.
  Es dürfen aber auf keinen Fall westliche Informationsbedürfnisse befriedigt werden. Wichtig ist es, eine Gegenöffentlichkeit zur spektakulären und vordergründigen Berichterstattung zu schaffen, die den Kriegsalltag und dessen psychologische Folgen vollständig ausschaltet. Auch Smilijana Hesse von VIVE ZENE äußert sich negativ zur Berichterstattung der Medien zum Kosovakonflikt. Die Gewalt an den Frauen gehe vollkommen unter.
  Erst seit dem 1.4.99 hat Medica Mondiale eine festangestellte Pressesprecherin. Durch den gewaltigen Medienansturm sah sich die kleine Organisation zu einer professionellen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit gezwungen. "Eine Meute von Journalisten stürzt sich wie die Aasgeier ohne Abstand, ohne Sensibilität auf die Frauen", erzählt Anna Biermann. Dies sei eine zynische Fortsetzung dessen, was den Frauen ohnehin schon an Entwürdigung angetan worden sei. Es sei deshalb wichtig, einen Schutzraum vor der Presse zu gewährleisten, um überhaupt die Arbeit beginnen zu können.
  Arbeit vor Ort in Albanien
  Inzwischen ist in Zusammenarbeit mit Medica Köln Medica Kosova gegründet worden. Die albanische Regierung habe auf Ministerialebene bereits großes Interesse gezeigt. Man will sich auf das Know-how der Frauen vor Ort stützen, die auf bewundernswerte Weise organisiert und strukturiert seien. Die bestorganisierten Strukturen des Landes lägen in Frauenhänden, berichtet Anna Biermann, so daß in kürzester Zeit die Kooperation von drei Frauenorganisationen zustande gekommen sei. Dabei ist vorgesehen, daß die albanischen und kosovarischen Fachfrauen von den Bosnierinnen geschult werden, da sie aus einem ähnlichen Kulturkreis stammen. Westlicher Feminismus würde nur weitere Kolonisierung bedeuten, so Anna Biermann. Auch das sprachliche Problem sei zu groß.
  Das Training der Albanerinnen hat Anfang Mai begonnen. Bis dahin sei es jedoch an Visaproblemen gescheitert, erzählt Anna Biermann. Seit dem 20.April haben sechs Beraterinnen, eine Dokumentarin und eine Koordinatorin ihre Arbeit in den Flüchtlingslagern aufgenommen. Die Ambulanzen, von denen eine allein 350.000 DM kostet, seien (Anfang Mai) leider noch nicht angekommen. Die Ambulanzen pendeln von Ort zu Ort und leisten gynäkologische und psychosoziale Erstversorgung.
  Die Organisation VIVE ZENE dagegen will ihre Arbeit weiter auf Bosnien konzentrieren. Dort seien bislang rund 100.000 Flüchtlinge aus Kosova untergekommen und die Zahl erhöhe sich täglich, berichtet Smiljana Hesse. Über das Ausmaß der Vergewaltigungen in Kosova wisse sie "noch nichts Genaues". Es werde sicher noch einige Zeit dauern, bis die Frauen so weit seien, das Schweigen zu brechen, zumal die albanische Gesellschaft noch traditioneller als die bosnische sei.
  Gesichertes Aufenthaltsrecht
  Die Gründerin von Medica Mondiale, Monika Hauser, hat wegen der Asylpolitik der Bundesregierung im Oktober 1996 das Bundesverdienstkreuz abgelehnt. Auf ihr Begründungsschreiben an Bundespräsident Roman Herzog hat sie bezeichnenderweise nie eine Antwort bekommen.
  Denn ein großes Anliegen von Medica Mondiale ist es, den traumatisierten Frauen und Kindern einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland zu geben. Eine Zwangsabschiebung würde einer Retraumatisierung gleichkommen, zumal auch die Gefahr der Wiederbegegnung mit dem Vergewaltiger besteht.
  Aufgrund des Duldungsstatus von nur drei Monaten können traumatisierte Frauen auch keine Therapie in Deutschland beginnen. Denn die Frauen müssen die Traumatisierung nachweisen, um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Der psychotherapeutische Nachweis wiederum ist nicht möglich, da die Sozialhilfe die medizinisch-psychotherapeutischen Kosten für die Behandlung nicht übernimmt.
  Aus all diesen Gründen fordert Medica Mondiale eine konsequente Umsetzung der Schutzforderung des Artikels 33 "Bleiberecht aus humanitären Gründen". Gemäß §30 Ausländergesetz müßte den Flüchtlingen für einen angemessenen Zeitraum eine Aufenthaltsbefugnis gewährt werden. In diesen Zusammenhang gehört auch eine geschlechtsspezifische Neudefinition des Begriffs "Allgemeine Gefahrenlage".
  Des weiteren fordert Medica Mondiale die länderweite Einrichtung einer Frauenhärtefallkommision. Dies betrifft die umgehende Anerkennung von geschlechtsspezifischer Gewalt- und Fluchterfahrung in der deutschen Asyl- und Ausländergesetzgebung. Dafür sollen Beamtinnen und Beamte wie Entscheidungskräfte zum Thema "interkulturelle geschlechtsbezogene Handlungskompetenz" geschult werden.
  Sehr skeptisch äußert sich jedoch Smiljana Hesse von VIVE ZENE im Hinblick auf die kommende Innenministerkonferenz. Aus den bisherigen Erfahrungen habe sie wenig Hoffnung, daß sich in der Flüchtlingspolitik etwas zum Positiven ändern werde.
Monika Piendl

Medica Mondiale hat ein Spendenkonto für die Aktion "Medica Kosova" eingerichtet: Stichwort "Kosova", Sparkasse Bonn (BLZ 38050000) 45005550.
  Wer den Frauen und Kindern in Tuzla helfen möchte, spende an: VIVE ZENE e.V., Sparkasse Dortmund (BLZ 44050199) 291001297.

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