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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 8

CDU und Krieg

Union als Friedenstaube?

Bei aller Übereinstimmung mit der "rot"-grünen Bundesregierung über die prinzipielle Notwendigkeit des militärischen Eingreifens der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zur "Durchsetzung fundamentaler Menschenrechte" überraschen CDU/CSU mit einer Reihe stark relativierender, ja sogar kriegskritischer Aussagen und Erklärungen.
  Fast hat es den Anschein, als müsse die Koalition durch moralische Überhöhung der Bombenangriffe, worin sich besonders Kriegsminister Scharping allabendlich hervortut, ihre bedingungslose "Bündnistreue" und ihre Bereitschaft unter Beweis stellen, für diesen Staat auch blutige Geschäfte zu erledigen (Fischer: "Deutschland wird nicht wackeln"). Die Union hingegen versucht den doppelten Spagat zwischen der Unterstützung der NATO-Politik und der Kritik an der Unklarheit der Kriegsziele, zwischen der Beschwörung der Freundschaft zu den USA und einer Nebenaußenpolitik, wie sie vor allem Stoiber durch seine Reisen nach Rußland und in die Ukraine "eingestielt" hat.
  Sicher spielt bei den kriegskritischen Aussagen von UnionspolitikerInnen die innenpolitische Situation vor den Europawahlen eine wichtige Rolle. In Westdeutschland sind etwa ein Drittel der WählerInnen, darunter viele Christen, gegen den Krieg; in Ostdeutschland ist es eine deutliche Mehrheit. Die teilweise unverschämten verbalen Attacken gegen Gysi zeigen auch die Unsicherheit der Union angesichts der Gefahr, insbesondere im Osten Einbußen zugunsten der PDS zu erleiden.
  Unionspolitiker heben meistens hervor, es dürfe sich kein Automatismus in die Kriegsführung "einschleichen". Offensichtlich fürchten sie eine politisch nicht mehr beherrschbare "Eskalationsspirale", an deren Ende der Einsatz von Bodentruppen mit vielen Toten auf den Schlachtfeldern stehen könnte (Vietnam-Syndrom).
  Einzig Heiner Geißler wollte auf dem Erfurter CDU-Parteitag einen Einsatz von Bodentruppen nicht prinzipiell ausschließen. Natürlich möchte man sich mit der Zustimmung zum Krieg bei gleichzeitiger Festlegung des nicht zu überschreitenden "Rubikons" auch als prinzipienfeste und geschlossene Partei angesichts der relativen Zerissenheit von SPD und Grünen profilieren.
  Bei Wolfgang Schäuble verbindet sich die Angst vor einer Eskalation mit der mehr als gewagten Behauptung, auf dem Balkan stünden für den Westen keine materiellen Interessen zur Disposition: "Wir werden nicht in einen Krieg hineinschlittern, weil es auf dem Balkan nicht um die Verschiebung von Einflußsphären geht und weil sich die atlantische Gemeinschaft von Milosevic das Gesetz des Handelns nicht aufzwingen läßt, nicht aufzwingen lassen darf und auch nicht aufzwingen lassen wird. Aber genau deshalb … müssen wir eine militärische Eskalation vermeiden. Wir jedenfalls wollen sie nicht." "Aus diesem Grund dürfen wir beim Einsatz, vor allem beim Einsatz unserer deutschen Soldaten, unter gar keinen Umständen das Entstehen von Grauzonen zulassen" (Bundestagsrede vom 15.4.).
  Edmund Stoiber erweiterte die Argumentation gegen die Spirale des Krieges nach seinen Besuchen in Moskau und Kiew um den Hinweis, die Russen müßten unbedingt an einer Pazifizierung der Region beteiligt werden, jede Eskalation verhindere eine solche Politik: "Ich bin überzeugt, daß die russische Regierung angesichts der innenpolitischen Lage in einer sehr schweren Situation wäre, wenn es zu einem Einsatz von NATO-Bodenkampftruppen im Kosovo käme. Aber auch darüber hinaus wären mit einer solchen Entscheidung der NATO unkalkulierbare militärische Risiken verbunden."
  Das Interessante an der Haltung Stoibers und der Union ist, daß sie offenbar einen US-amerikanischen Druck in Richtung einer Radikalisierung des Krieges fürchten. Ähnlich wie Bismarck (auf der Berliner Balkankonferenz 1878) denken sie dem "vereinten Deutschland" (nicht der EU!) auf dem Balkan eher die Rolle eines "Maklers" zwischen Ost und West zu, damit das Geschäftsklima nach Ende des Krieges keinen dauerhaften Schaden leide. Diese auch bei Schäuble und anderen zu beobachtende "nationale Wende" der Politik versucht, das größer gewordene Gewicht Deutschlands für seine Interessen im Osten zu nutzen - und dies in offensichtlicher Konkurrenz sowohl zu anderen EU-Ländern als auch den USA.
  Der außenpolitische Sprecher der Union, Karl Lamers, hielt von allen bürgerlichen Parlamentariern sowohl im Bundestag wie auch auf dem CDU-Parteitag die nachdenklichste und am wenigsten bellizistische Rede. Sie enthielt - teilweise in Frageform - eine Reihe von reaktionären Topoi, die konservativen Vordenkern in der Weimarer Republik entlehnt waren: Ob etwa die Antikriegsstimmung der Völker der westlichen Demokratien ein Zeichen von Dekadenz sei, oder daß Jugoslawien das Scheitern der multiethnischen Utopie zeige.
  Aber er formulierte sein Unbehagen am Krieg (er wolle nicht von Krieg sprechen, denn hier fehlten die "handfesten Interessen", es gehe ausschließlich um "moralische Motive") deutlicher als die Sprecher seiner Fraktion und hielt es mit Clausewitz: "Doch die Regeln, die den Krieg bestimmen, gelten: Etwa, daß erstens das Unvorhergesehene das Wahrscheinliche ist, daß zweitens der Krieg zum äußersten neigt, und daß schließlich drittens Klarheit und Wirklichkeitsnähe seiner Ziele über seinen Erfolg oder Mißerfolg entscheiden."
  Er betonte, der Westen habe sich getäuscht, als er ein schnelles Einlenken von Milosevic erhoffte, und er habe nicht wirklich bedacht, daß bei der serbischen Vertreibungspolitik "der Schein eines ursächlichen Zusammenhangs" mit den NATO- Luftangriffen entstehen konnte. Die Serben glaubten, einen gerechten Krieg zu führen. Die noch im Vertragsentwurf von Rambouillet vorgesehene Lösung eines multiethnischen Kosovo könne es, gleich dem multiethnischen Jugoslawien, nur unter Druck geben; sie sei daher undemokratisch. Es gebe ja auch fast keine Serben in der Krajina mehr, der Westen habe deren Vertreibung "stillschweigend hingenommen". Und auch die meisten bosnischen Flüchtlinge hätten im Gegensatz zu den Vereinbarungen von Dayton nicht in ihre Heimatgemeinden zurückkehren können.
  "Was also bleibt als Lösung für den Kosovo, etwa seine Teilung? Ich will dieser hier nicht das Wort reden, sondern nur darauf aufmerksam machen, daß sowohl unser moralisches Unbehagen … als auch die Unklarheit über unser politisches Ziel ein- und demselben politischen Dilemma entspringen, nämlich der Unvereinbarkeit unserer wechselseitigen Grundvorstellungen vom Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Herkunft in politischen Gemeinschaften."
  Dieser pure Idealismus reduziert den komplexen historischen Prozeß der Zerstörung Jugoslawiens auf Wertefragen. Doch bei allen Widersprüchen der Argumentation zeigt sich in solchen Ausführungen immerhin ein Gespür für die "Ethnisierung sozialer Konflikte" durch den Bombenterror und die schwindenden Möglichkeiten, in der Region zu einer selbstbestimmten Lösung für alle BewohnerInnen zu kommen.
Paul B. Kleiser


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