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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 10

Ökologische Kriegsführung

Die "chirurgisch sauberen Schläge" der NATO-Bomber, die manchmal auch in Bulgarien niedergehen, haben nicht nur bereits hunderte Zivilisten getötet (vorsichtig geschätzt). Spätfolgen der Bombardements bedrohen das Leben einer weitaus größeren Zahl von Menschen.
  Von den deutschen Medien weitgehend unbeachtet, entfaltet sich in Jugoslawien unter dem Hagel der Geschosse der "westlichen Wertegemeinschaft" eine ökologische Katastrophe unglaublichen Ausmaßes. Schon kurz nach Beginn der Bombardements war Außenminister Fischer von der Vorsitzenden der Neuen Grünen Partei Jugoslawiens, Branka Jovanovic, auf die drohenden Gefahren hingewiesen worden. Ohne Erfolg. Derzeit befindet sich die jugoslawische Grüne auf einer Rundreise durch Deutschland und versucht mit Fischer einen Gesprächstermin zu bekommen. Vergebens: Der grüne Politiker hat Wichtigeres zu tun, als sich mit der Verseuchung der Umwelt in Jugoslawien zu beschäftigen.
  Die schreitet unterdessen voran. Immer wieder greifen NATO-Bomber auch Chemiebetriebe, Raffinerien und Treibstofflager an. Der Petrochemiekomplex in Pacevo, einem Vorort Belgrads ist nur ein Beispiel von vielen. Hier zerstörten NATO-Bomber in der Nacht vom 17. auf den 18.April die Ammoniak- und Venylchloridemonomere-Anlagen (VCM). VCM ist ein geruchloses, extrem kanzerogenes Gas. Nach den Bombardements wurde in der Umgebung der Anlagen der gesetzliche Grenzwert um das Zehntausendfache überschritten. Umweltschützer der Serbischen Ökologischen Gesellschaft berichteten im Internet, wie sich "eine riesige schwarze Wolke" über der Gegend ausbreitete. Anwohnern wurde geraten, nur noch mit Gasmasken nach draußen zu gehen. Neben VCM wurden auch andere giftige Chlorverbindungen freigesetzt.
  Die Belegschaft hatte zwei Tage vor den Angriffen in einer Pressemitteilung die NATO aufgefordert, mit ihrem Zerstörungswerk mindestens so lange zu warten, bis die Tanks und Anlagen mit ihrem gefährlichen Inhalt geleert worden sind. Doch wie in anderen Fällen auch, kümmerte man sich in Brüssel nicht um derartige Warnungen. Die serbischen Ökologen fordern daher Chemie-Ingenieure und -Industrielle in aller Welt auf, die NATO-Militärs auf die Unverantwortlichkeit ihres Treibens aufmerksam zu machen.
  Die entweichenden Chemikalien vergiften nicht nur die Luft, sie werden durch den Regen auch ausgewaschen und belasten die Äcker und Weiden. Wissenschaftler und Umweltschützer aus verschiedenen Balkanländern weisen daraufhin, daß die Verschmutzung nicht vor Ländergrenzen halt machen werden. Umweltgruppen aus Albanien, Mazedonien, Griechenland, Jugoslawien und Bulgarien fordern daher nach einer Meldung des Umweltnachrichtendienstes ENS einen sofortigen Stop der Bombardierungen.
  Ein Ausbreitungsweg der Umweltgefahren ist die Donau. Philip Weller, Balkankoordinator des World Wide Fund for Nature (WWF), berichtet wie auch jugoslawische Quellen davon, daß auf dem Fluß bereits ein erster Ölteppich gesichtet wurde, der flußabwärts treibt. Weitere werden befürchtet. Sie bedrohen nicht nur wertvolle Ökosysteme im Donaudelta, sondern die Trinkwasserversorgung von bis zu zehn Millionen Menschen. In einigen Flußabschnitten, so Weller, sei das Fischen bereits verboten.
  Auch Borivoje Mijatovic, Hydrogeologe aus Belgrad, weist auf die Gefahren für die Donau hin. "Durch die Bomben auf die Raffinerien", schreibt er in einem Statement, das auf der Berliner Pressekonferenz verteilt wurde, "kam es zum Austritt goßer Mengen Öl in die Donau. Derzeit treibt ein mehrere zehn Kilometer langer, mehrere 100 Meter breiter Ölteppich von Novi Sad Richtung Schwarzes Meer." Auch die Sicherheit der Kernkraftwerke in Bulgarien und Rumänien, die ihr Kühlwasser dem Strom entnehmen, sei in Frage gestellt.
  Weitere Umweltschäden erwarten Fachleute von den eingesetzten Sprengkörpern und vor allem Raketen, deren Treibstoff sich bei der Verbrennung in einen wahren Giftcocktail verwandelt. Bleioxid, Stickoxide, verschiedene Säuren, darunter Salzsäure, Fluor- Verbindungen und manch anderes Teufelszeug werden während Flug und Explosion an die Umwelt abgegeben, berichtet die Chemikerin Mijana Andjelkovic-Lukic. Eine Tomahawk-Rakete habe 500-950 kg Explosiv- und 500 kg Treibstoffe an Bord. 600 wurden bis zum 18.4. bereits auf Ziele in Jugoslawien abgeschossen. Man kann sich also ausrechnen, daß tausende von Tonnen giftiger Substanzen flächendeckend über das Balkanland verteilt wurden und werden.
  Unsichtbar und geruchlos kommt eine andere Gefahr der modernen Kriegsführung daher. Seit den 80er Jahren verwenden amerikanische Militärs abgereichertes Uran für panzerbrechende Munition und als Stabilisatoren in den Cruise Missiles. Das leichtradioaktive Schwermetall ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie und Kernwaffenproduktion. Verwendet wird es, um Durchschlagskraft und Tragweite von Geschossen zu erhöhen. Im Balkankrieg kommt uranhaltige Munition bisher in den Bordkanonen der A10-Kampfflugzeuge und der Apache-Hubschrauber zum Einsatz.
  Erstere können 3000 Schuß pro Minute abfeuern. Beim Aufprall verbrennt das Uran ganz oder teilweise und verteilt sich fein in der Luft. Eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen wirkt es krebserregend. Eine Studie des Pentagons kam 1990 nach Angaben des US- amerikanischen Senders ABC zu dem Ergebnis, daß es keinen Grenzwert gebe, unterhalb dessen negative Gesundheitsfolgen ausgeschlossen werden könnten.
  Während des Golfkriegs wurden im südlichen Irak nach verschiedenen Angaben 300-400 Tonnen dieses giftigen Materials verschossen. Mehrere Untersuchungen belegen deutlich erhöhte Blutkrebsraten bei Kindern in der betroffenen Region. Das Fernsehmagazin Monitor zitierte unlängst den kanadischen Chemiker Hari Sharma, der von 35.000 Toten im Südirak aufgrund der giftigen Kriegsüberbleibsel ausgeht. Auch das sogenannte Golfkrieg-Syndrom, unter dem viele US-Veteranen leiden, wird von einigen Experten auf die Uran-Geschosse zurückgeführt.
  Doch offiziell wollen NATO-Militärs und -Politiker von den Nebenwirkungen ihrer Waffen nichts wissen. Auch im Bonner Außenministerium leugnet man. In einem Brief an das Fernsehmagazin Monitor schrieb es im April: "Dem Auswärtigen Amt ist bekannt, daß solche Munition im Kosovo-Konflikt zum Einsatz kommen kann ... (Es) ist jedoch davon auszugehen, daß Gefährdungen der von Ihnen beschriebenen Art für Mensch und Umwelt nicht auftreten werden."
  Etwas anders sieht das allerdings Doug Rokke, der für das Pentagon als Umweltphysiker und Arzt die Auswirkungen der Uran-Munition erforscht hat. Rokke in einer Monitor-Sendung: "Die Apaches und die A10 feuern in jeder Minute Tausende Uran-Geschosse ab. Jedes Geschoß enthält rund ein halbes Pfund Uran-238. Wir bekämpfen die Serben, damit die vertriebenen Kosovaren zurückkehren können. Aber wie sollen die Kosovaren in diese Gegend zurückkehren können, in eine radioaktive Wüste, wo ihr Land, ihre Städte mit Uran-Geschossen übersät sind?"
  Die Folgen der radioaktiven Verseuchung wird man allerdings erst in den nächsten Jahren zu spüren bekommen. Im Augenblick kämpfen jugoslawische Ärzte vor allem mit dem Zusammenbruch der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Besonders die Grafitbomben, die die Stromversorgung zeitweise lahmlegten, hatten verheerende Folgen, da nicht alle Krankenhäuser Notstromaggregate haben und dort, wo es welche gibt, sich der Kraftstoffmangel bemerkbar macht. Brutkästen für Frühgeburten fallen aus, Impfstoffe und Blutkonserven werden schlecht, weil sie nicht gekühlt werden können, Dialysepatienten kann nicht das Blut gewaschen werden. Auch die Wasserversorgung fällt zeitweise aus, da sie auf elektrische Pumpen angewiesen ist.
  Die Ärztin Mirjan Declair berichtete Ende letzter Woche auf einer Pressekonferenz im Berliner Abgeordnetenhaus, daß viele Krankenhäuser Patienten nnach hause schicken müssen, da sie sie nicht behandeln können. Operationen müßten beim Licht von Taschenlampen durchgeführt werden, Überwachungssysteme auf den Intensivstationen würden nicht arbeiten. Das durch die Sanktionen ohnehin bereits geschwächte Gesundheitswesen sei durch den Krieg völlig zerstört.
  Angesichts dieser Fakten sprechen die jugoslawischen Grünen in einem Brief an Lousie Arbour, Chefanklägerin beim Haager Tribunal, von einem "Ökozid", der zum Völkermord werde und sich gegen alle Bürger, egal welcher Nationalität, richte. In Vietnam, führen sie an, gebe es aufgrund der ökologischen Kriegsfolgen noch heute pro Jahr tausende Fehlgeburten. Ähnliches sei für Jugoslawien zu befürchten. Vom Internationalen Gerichtshof fordern sie daher ein sofortiges Experten-Hearing und die Aufnahme von Ermittlungen.
  "Jedes Kriegsverbrechen, egal wer es an wem beging, muß verfolgt werden", forderte Jovanovic auf der erwähnten Pressekonferenz. Doch deutschen Medien scheint das nicht ins Weltbild zu passen. Zu dem Gespräch mit den jugoslawischen Oppositionellen verirrte sich nur eine Handvoll Journalisten.
Wolfgang Pomrehn


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