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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 13.05.1999, Seite 11

Europäische Linke zum Krieg

Der Krieg auf dem Balkan wird durchweg von sog. "linken" Regierungen geführt. Sie alle legen großen Wert darauf, eine "Menschenrechts"argumentation dafür ins Feld zu führen, nicht Argumente für eigene wirtschaftliche oder nationale Interessen. Alle haben das Problem, daß die sie konstituierenden Parteien mehr oder weniger starke KriegsgegnerInnen in ihren Reihen haben.

Die Sozialdemokratie

Für Großbritannien ist die Opposition der Scottish National Party (SNP) gegen den Krieg hervorzuheben. (Die SNP hat einen linken Flügel, der aus der Labour Party kommt.)
  Elf Abgeordnete der Labour-Party haben am 19.April gegen die Politik der Regierung gestimmt: Tony Benn, Jeremy Corbyn, George Galloway, Alice Mahon, Alan Simpson, Llew Smith (Wales), Audry Wise und Neil Gerrard - alle gehören zur Socialist Campaign Group, die einen Teil der sozialistischen Linken umfaßt. Sie sind entschiedene NATO-Gegner, beziehen aber keine Stellung gegen das Milosevic-Regime und seine Politik in Kosova.
  Der andere Flügel der traditionellen Labour-Linken um Ken Livingstone verteidigt die Bombardierungen (The Independent, 21.4.: "Warum wir nicht irren, wenn wir Milosevic mit Hitler vergleichen").
  Während Blair sich müht, öffentliche Unterstützung unter den Kulturschaffenden zu finden, hält die Linke hier das Terrain besetzt: Die renommierte Zeitschrift New Left Review führt eine Kampagne gegen den Krieg; Prominente wie der Schriftsteller Harold Pinter, der Fimregisseur Ken Loach, die feministische Schriftstellerin Germaine Greer und andere haben den NATO-Krieg verurteilt.
  In Frankreich hat Ministerpräsident Jospin wenig Probleme gehabt, die Dissidenten in der regierenden Sozialistischen Partei (SP) bei der Stange zu halten. Die linke Strömung Gauche Socialiste um Julien Dray und Gérard Filoche hat klar Position gegen die NATO- Bomben und für die Rechte der Kosovaren bezogen. Aber sie richtet ihre Kritik eher gegen "die amerikanische Bevormundung" als gegen die eigene Regierung.
  Die republikanische Linke um Jean-Pierre Chevènement - eine Abspaltung von der SP, die aber in der Regierung stark vertreten ist - formuliert ihre Ablehnung des Krieges deutlicher, unterstützt zugleich aber die Regierung (Le Monde, 23.4.).
  In Italien gab es anfänglich wenig Unterstützung für die NATO-Intervention, wenngleich auch hier eine Mehrheit der Wahlberechtigten die NATO-Intervention unterstützte. Die ersten, die sich gegen den NATO-Einsatz (und gegen die ethnischen Säuberungen in Kosova) ausgesprochen haben, waren Rifondazione Comunista (PRC) und der Papst. Italien ist die zentrale Basis für die NATO-Intervention, ihr Flugzeugträger gewissermaßen, und Ministerpräsident D‘Alema hat große Mühe gehabt, sich der Unterstützung der intellektuellen Elite und der öffentlichen Meinung zu versichern und Italien im Lager des Krieges zu halten.
  Die italienische Regierung ist eine sehr breite Koalition mit einer Vielzahl linker Strömungen, die D‘Alema kritisiert, aber sich gehütet haben, deswegen die Regierung zu Fall zu bringen. 119 von 630 Abgeordneten haben einen Waffenstillstand gefordert und sich gegen einen Bodenkrieg und gegen ethnische Säuberungen ausgesprochen, gleichzeitig aber ihre "loyale und vollständige Unterstützung für die Regierung" zugesagt (Corriere della Sera, 23.4.). Diese Plattform der Dissidenten wurde von allen Parlamentariern der Grünen und der PdCI sowie der Linken in der DS (D‘Alemas Partei der Demokratischen Linken) und der PPI (der Nachfolgerin der Christdemokraten) unterzeichnet.
  In Spanien unterstützt die sozialdemokratische PSOE die Politik der Regierung Aznar. Sie zählt in ihren Reihen die NATO- hörigsten Politiker: Felipe Gonzalez und Javier Solana, der vom Anti-NATO-Aktivisten zum NATO-Generalsekretär avanciert ist. Bei der Abstimmung im Parlament haben sich nur drei PSOE-Abgeordnete von der Strömung "Sozialistische Linke" der Stimme enthalten.

Die Grünen

Für die Grünen ist dieser Krieg die Feuertaufe, vor allem für jene an der Regierung (Frankreich, BRD, Italien) oder solche, die wie in Belgien, auf Regierungsbeteiligung hoffen. Die "ethnischen Säuberungen" erinnern manche Europäer an den Aufschwung des Faschismus in den 30er Jahren. Viele Grüne leiten daraus die Notwendigkeit für einen "humanitären Krieg" ab. Doch gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen jenen, die nur verwirrt sind, und solchen, die an die "Fleischtöpfe" wollen und sich mit dem bürgerlich-imperialistischen Staat um jeden Preis identifizieren.
  Lügen, Manöver und Verrat waren sicher für die deutschen Grünen am schmerzlichsten. Mit Joseph Fischer am Ruder einer deutschen imperialistischen Regierung ist dies wahrhaftig ihr "August 1914". Viele prominente Vertreter haben die Partei verlassen oder tragen sich mit diesem Gedanken. Sieben grüne Abgeordnete haben am 26.März gegen die Intervention gestimmt.
  In Frankreich bilden die Grünen eine solide Stütze der Regierung der "pluralen Linken". Ihr Sprecher Cohn-Bendit und der grüne Abgeordnete Noel Mamere gehören zu den glühendsten Unterstützern der NATO. Die Parteiresolution, die für eine Umwandlung des Kosova in eine "humanitäre Zone" (ein Protektorat) mit Polizeitruppe und Flüchtlingshilfe sowie für eine Balkankonferenz eintritt, erhielt im Nationalkomitee über 70 Prozent. Gegen den Golfkrieg war die Partei noch vereint; so hat die Wende um 180 Grad unter den Mitgliedern ein erhebliches Unwohlsein hervorgerufen. Aber die Parteiführung steht weiter unerschüttert hinter der Regierung. Die Minderheit wird von Martine Billard (eine der vier offiziellen SprecherInnen) und der Abgeordneten M.-H.Aubert angeführt.
  In Italien sind die Grünen in der Regierung. Alle Parlamentarier haben den oben genannten Aufruf für einen Waffenstillstand unterzeichnet und gedroht, "beim nächsten Mal" aus der Regerung auszutreten.
  Den belgischen Grünen kommt der Krieg ungelegen. Im Juni gibt es gleichzeitig Regionalwahlen, Parlamentswahlen und Europawahlen; die wallonische wie die flämische Partei halten sich bereit, als Juniorpartner in die Regierung einzutreten. Die pazifistischen Wurzeln der Partei aus den frühen 80er Jahren machen es den führenden Kräften schwer, eine "realistische" Linie durchzusetzen. Zu ihrem Glück hat die Regierung eine Abstimmung des Parlaments über eine belgische Beteiligung am NATO- Einsatz nicht zugelassen.
  Anfänglich unterstützten die belgischen Grünen die sog. "humanitäre Intervention". Aber jetzt haben sie sich auf ihre traditionellen Anti-Kriegs-Positionen besonnen. Die wallonische Partei (Ecolo) fordert jetzt die "Einstellung der Bombenangriffe mit der Bedingung, bei gleichzeitigem Rückzug der serbischen Streitkräfte und der Milizen der UÇK". Aber noch hat kein Abgeordneter diese neue Erklärung unterzeichnet. Am 2.April hat der Grünen-Sprecher Van Dienderen zu einem bedingungslosen Ende der Militäraktion der NATO aufgerufen, während Ecolo weiter Bedingungen dafür stellt.

Die KPs

Für einige kommunistische Strömungen stellt der Krieg auf dem Balkan den letzten Akt im Todeskampf des Stalinismus dar. Armando Cossutta, ehemals "der Mann der Russen" in der PCI und nun Minister in der Regierung, hat eine pathetische Reise nach Frankreich, Berlin, Moskau und Belgrad unternommen, in dem Versuch, die KP-Führungen hinter einer gemeinsamen Position zu einigen und die Rolle des Vermittlers zwischen Milo?sevi´c und dem Westen zu spielen.
  In meisten KPs trifft man Überreste des alten Denkens aus dem Kalten Krieg an: "entweder NATO oder Milosevic"; auch Nostalgie für den "real existierenden Sozialismus". Doch trotz regelmäßiger Kontakte zwischen diesen Parteien im Europaparlament wie auch auf Ad-hoc-Konferenzen scheint es wenig Konsens oder Lust auf gemeinsam koordinierte Aktionen zu geben. Es gibt unter ihnen ein breites Spektrum an Auffassungen und an Engagement in der Antikriegsbewegung: die griechische (KKE) ist die kämpferischste mit der klarsten Anti-NATO-Position, die französische KP (PCF) die zögerlichste und inaktivste. Eine Intervention mit Bodentruppen würde viel mehr KP-Mitglieder in Europa wachrütteln.
  Griechenland hat eine starke antibritische und antiamerikanische Tradition, die ein antiimperialistisches Bewußtsein schürt. In gleicher Richtung wirken die US-Unterstützung für die Türkei und die kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen an Serbien.
  Die KKE war seit jeher für Milosevic, sie hat sogar die notorischen Folterknechte Karadzic und Arkan unterstützt. Aber die Massenverankerung der Partei, insbesondere in der Gewerkschaftsbewegung, hat sie dazu befähigt, eine entscheidende Rolle in der Massenmobilisierung gegen den Krieg zu spielen. Soldaten und Seeleute haben sich geweigert, eingezogen zu werden. Sie haben Flughäfen besetzt und US-Schiffe in griechischen Häfen blockiert.
  In Frankreich versucht die Führung der PCF, sowohl auf der Seite der Kriegsgegner als auch auf der Seite der Regierung zu stehen. Jede Kritik an der NATO wird durch Erklärungen ausgeglichen, daß die Partei absolut loyal zur Regierung Jospin steht.
  Von allen (großen) KPs hat Italiens PRC das größte Potential, massenhaften Widerstand gegen den Krieg zu organisieren, nachdem sie mehrere Massendemonstrationen gegen die Bombeneinsätze der NATO (mit jeweils 40000-80000 Teilnehmenden) organisiert hat. Noch stellt die Haltung der drei gewerkschaftlichen Dachverbände CGIL, CISL, UIL, die "für den Frieden", in Wirklichkeit für die Regierungspolitik eintreten, ein Hindernis für die Antikriegsbewegung dar. Ein Einsatz von Bodentruppen würde das ändern.
  Die Tageszeitung Il Manifesto, die von kommunistischen Intellektuellen herausgegeben wird, hat eine sehr positive Rolle bei der Organisation der großen Demonstrationen in Rom gespielt. Rossana Rossanda hat die Soldaten zur Befehlsverweigerung aufgerufen, sollte sich die italienische Armee an einem Bodenkrieg beteiligen (Corriere della Sera, 23.4.).
  In Spanien ist die Vereinigte Linke (IU) im Parlament wie auch auf der Straße gegen den Krieg aufgetreten. Jedoch unterstützt der eine Flügel Milosevic, der andere die demokratischen Rechte der Kosovaren.
  Zu Anfang des Krieges ergriff Julio Anguita für Milosevic Partei, empfing den jugoslawischen Botschafter im Parteibüro in Madrid und zweifelte Medienberichte über "angebliche" Massaker an kosovarischen Zivilisten an. In einem Interview mit El Pais nannte er Milosevic einen "Mann der Linken".
  Die praktische Konsequenz dieser politischen Linie war der Versuch, eine separate Antikriegsdemonstration von IU/PCE zu organisieren und damit eine breitere Demonstration gegen die Bombeneinsätze und für die Rechte der Kosovaren am selben Tag zu spalten. IU- Verbände in Madrid, Katalonien und Valencia fordern sowohl die Einstellung der Bombenangriffe als auch die Selbstbestimmung für Kosova.
  Am 26.April hat die Führung um Anguita einen Kurswechsel vorgenommen und ist dem wachsenden Protest damit entgegengekommen. PCE-Führer Frutos und andere weigern sich indes, die neue Linie zu akzeptieren.
  Wachsenden Druck auf die IU gibt es auch von seiten des linken Bündnisses, das das "Manifest für einen gerechten Frieden auf dem Balkan" unterzeichnet hat; dazu gehört eine beeindruckende Zahl von Intellektuellen und führenden Vertretern der sozialen und politischen Bewegungen.
Francois Vercammen


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