Sozialistische Zeitung |
Herr Schubert, wie fühlt man sich als Mitglied einer Regierungspartei, die gerade in Jugoslawien einen Angriffskrieg
führt?
H.-J.Schubert: Sehr schlecht. In unserem Programm heißt es: "Bündnis90/Die Grünen tragen militärische
Friedenserzwingung und Kampfeinsätze nicht mit." Im letzten Bundestagswahlkampf habe ich genau das vertreten, als ich hier in
Lübeck kandiderte. Doch jetzt, da unsere Leute in der Regierung sind, fangen sie den Krieg an. Das ist das Übelste, was dieser
Partei bisher zugestoßen ist.
Der Bielefelder Parteitag hat die Fischerlinie bestätigt. Der Lübecker Kreisverband hatte bereits Mitte April für diesen
Fall angekündigt, er werde geschlossen austreten. Was passiert jetzt?
Wir haben für Anfang Juni eine Versammlung einberufen, auf der ein Antrag zur Auflösung des Kreisverbandes beraten werden
soll. Außerdem werden wir uns vorher mit verschiedenen unserer örtlichen Bündnispartner über das weitere Vorgehen
beraten.
Was sagen die Grünenwähler zum Parteitag?
Einerseits ist da der Vorwurf: "Jetzt, wo ihr an der Regierung seit, interessiert euch eure Ankündigung nicht mehr." Das
kennen wir schon aus dem letzten Landtagswahlkampf, den wir mit der Opposition zur Ostseeautobahn A20 bestritten haben, die jetzt von der
Koalitionsregierung gebaut wird. Ähnliches haben wir auch in der Sozialpolitik erlebt, beim Atomausstieg, beim Klimaschutz. Und jetzt
der Krieg als Friedenspolitik. Unglaubwürdiger können wir eigentlich nicht mehr werden.
Auf der anderen Seite sagen uns Bürgerinitiativen aus den Bereichen Naturschutz und Verkehr, daß ihnen die Ansprechpartner
fehlen würden, wenn wir nicht mehr in der Bürgerschaft sitzen. Sie raten daher ab. Das muß abgewogen werden, wenn wir
uns zurückziehen. Was die organisierte Arbeit in Parlamenten angeht, sehe ich die Chancen außerhalb der Grünen eher
skeptisch. Wir würden uns manches an Wirksamkeit nehmen.
Sie sind also pessimistisch?
Ich zähle erst einmal die Vor- und Nachteile auf. Der große Vorteil wäre, daß links von SPD und Grünen wieder
wesentlich mehr Platz für gesellschaftliche Entwicklungen entstünde. Im Augenblick können SPD und Grüne kritische
Gruppen an die Bundesregierung binden. Wenn aber diese Regierung zerfällt, oder wenn sich weiße Flecken auf der grünen
Landkarte bilden, dann gäbe es Platz für neue Entwicklungen, die gegenwärtig nicht zum Zuge kommen.
Die Austrittswelle fällt kleiner aus, als erwartet. Viele sagen, man solle die Partei nicht Fischer überlassen. Aber trägt
das nicht dazu bei, daß der Krieg weiter geführt werden kann?
Ja. Dieser Beschluß von Bielefeld stellt eine ziemlich große Beschwichtigung dar. Mancher kann mit ihm sein Gewissen ein
bißchen beruhigen, denn schließlich hat man eine Feuerpause gefordert. Ich halte das ehrlich gesagt für den schlechteren
Beschluß, als wenn die klare Linie des Fischerkurses beschlossen worden wäre. Das hätte wesentlich mehr Opposition
provoziert.
Wie geht es auf der Bundesebene weiter?
Das wollen wir am 6.6. in Dortmund klären. Da werden wir diskutieren, ob innerorganisatorisch die Kriegsgegner gestärkt
werden, um schlagkräftiger zu werden, oder ob wir eine neue Partei gründen.
Gibt es denn noch eine Chance, innerparteilich den Kriegskurs zu stürzen?
Das glaube ich eher nicht. Bei einer weiteren Eskalation des Krieges, z.B. wenn Bodentruppen eingesetzt werden, gäbe es sicherlich neue
Diskussionen. Eigentlich müßte dann auch der letzte einsehen, daß es nicht um humanitäre Ziele sondern die
Expansionspolitik der NATO geht. Aber ich bin da pessimistisch. Diese Partei ist ziemlich unkritisch geworden und würde
wahrscheinlich auch einen Bodenkrieg mitmachen.