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Das entscheidende Argument, mit dem der Bundeswehreinsatz in Makedonien und in Albanien begründet
wird, lautet: Niemand könne besser humanitäre Hilfe leisten wie die Bundeswehr. Zivile Organisationen versagten angesichts der
großen Zahl der Flüchtlinge.
Dieses Argument ist sachlich falsch. Militärs und humanitäre Hilfe sind wie Wasser und Feuer oder, um im humanitären
Chargon zu bleiben, wie Weihwasser und der Teufel. Gerade die Militärs nutzen die Flüchtlinge gezielt für ihren Krieg und
die Eskalation. Es war Johannes von Dohnanyi, der in der Basler Weltwoche (6.5.99) analysierte: "Die humanitäre Hilfe ist eine
Kriegsressource und die Kontrolle der Flüchtlingsströme (ist) von strategischer Bedeutung … ‚Wer weiß schon, welche
geheimen Pläne auf dem Rücken der Flüchtlinge in Brüssel geschmiedet werden, heißt es etwa beim
Catholic Relief Service in Skopje, ‚die schicken doch keine Marines … um Flüchtlinge mit Feldrationen zu füttern, warnen
die Ärzte ohne Grenzen. Immer wieder befragen Mitarbeiter der Geheimdienste die Flüchtlinge nach strategisch wichtigen
Informationen."
Das wird von den professionellen Hilfsorganisationen nicht anders gesehen. So hieß es bereits am 10.4. in der Süddeutschen
Zeitung: "Bei einer Planungskonferenz der NATO wurden Einwände des UN-Flüchtlingskommisariats UNHCR bekannt. Die
Organisation soll sich gegen eine militärische Führung der Hilfmaßnahmen in Albanien ausgesprochen haben." Der
Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Cornelio Sommaruga, erklärte: "Bewaffnete Kräfte
mögen eingesetzt werden, um Ruhe und Ordnung zu sichern. Humanitäre Hilfe dagegen muß unparteiisch und neutral geleistet
werden" (Süddeutche Zeitung, 4.5.1999).
Im übrigen verweist der zitierte Autor der Basler Zeitung auf die Gefahr, die die jetzige "humanitäre Hilfe" der
Militärs in sich birgt. Er brachte die Parallele zum Völkermord an den Tutsi in Rwanda, in dessen Gefolge die Hutu-
Flüchtlingslager unter Kontrolle der Hutu-Milizen gelangten. Die Nahrungsmittelhilfe der UNO war von diesem Zeitpunkt an direkte
Hilfe für diejenigen, die für den Völkermord verantwortlich waren: die Hutu-Milizen. Und von ihnen wurden neue Massaker
und ein neuer Angriff auf das inzwischen befriedete Land Rwanda und die dort lebenden Tutsi geplant.
In Rwanda und Ost-Zaire wurde dies - bisher - verhindert. In Albanien, Makedonien und im Kosovo ist eine solche Perspektive n noch
größer, weil diejenigen, die den Angriffskrieg gegen Jugoslawien führen, nunmehr die Flüchtlingslager kontrollieren
und die UÇK ganz offen als ihren militärischen Verbündeten betrachten. Das Szenario, das sich abzeichnet, hat zwei
Varianten:
- die "friedliche": es kommt zu einem Waffenstillstand, zu einem "vereinbarten" Rückzug jugoslawischer
Einheiten, zu einem Einmarsch von "UN-Einheiten mit starker NATO-Komponente"; mit diesen werden Hunderttausende
Flüchtlinge kommen und mit diesen weitere UCK-Einheiten;
- bei der kriegerischen Variante - kein Waffenstillstand - kommt es zum Bodenkrieg und in dessen Gefolge zur sukzessiven Rückkehr von
Kosovo-albanischen Flüchtlingen und UÇK.
In beiden Fällen droht der umgekehrte Prozeß dessen, was es seit dem 24.März gab und was sich auch zuvor in der Krajina
und in Sarajevo ereignete: Dann werden die verbliebenen 200.000 bis 300.000 Serbinnen und Serben aus dem Kosovo vertrieben. Die Region
wird zunehmend mit Albanien zusammenwachsen; ein solches Großalbanien wiederum wird das ethnische Gleichgewicht in Makedonien
zum Kollaps bringen. Ein sich schleichend ausweitender Balkankrieg droht - unter "humanitärer Flagge", aber mit
primär militärischen und machtpolitischen Zielen.
Winfried Wolf