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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 27.05.1999, Seite 4

Militärs in humanitärer Aktion?

Das entscheidende Argument, mit dem der Bundeswehreinsatz in Makedonien und in Albanien begründet wird, lautet: Niemand könne besser humanitäre Hilfe leisten wie die Bundeswehr. Zivile Organisationen versagten angesichts der großen Zahl der Flüchtlinge.
  Dieses Argument ist sachlich falsch. Militärs und humanitäre Hilfe sind wie Wasser und Feuer oder, um im humanitären Chargon zu bleiben, wie Weihwasser und der Teufel. Gerade die Militärs nutzen die Flüchtlinge gezielt für ihren Krieg und die Eskalation. Es war Johannes von Dohnanyi, der in der Basler Weltwoche (6.5.99) analysierte: "Die humanitäre Hilfe ist eine Kriegsressource und die Kontrolle der Flüchtlingsströme (ist) von strategischer Bedeutung … ‚Wer weiß schon, welche geheimen Pläne auf dem Rücken der Flüchtlinge in Brüssel geschmiedet werden‘, heißt es etwa beim Catholic Relief Service in Skopje, ‚die schicken doch keine Marines … um Flüchtlinge mit Feldrationen zu füttern‘, warnen die Ärzte ohne Grenzen. Immer wieder befragen Mitarbeiter der Geheimdienste die Flüchtlinge nach strategisch wichtigen Informationen."
  Das wird von den professionellen Hilfsorganisationen nicht anders gesehen. So hieß es bereits am 10.4. in der Süddeutschen Zeitung: "Bei einer Planungskonferenz der NATO wurden Einwände des UN-Flüchtlingskommisariats UNHCR bekannt. Die Organisation soll sich gegen eine militärische Führung der Hilfmaßnahmen in Albanien ausgesprochen haben." Der Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Cornelio Sommaruga, erklärte: "Bewaffnete Kräfte mögen eingesetzt werden, um Ruhe und Ordnung zu sichern. Humanitäre Hilfe dagegen muß unparteiisch und neutral geleistet werden" (Süddeutche Zeitung, 4.5.1999).
  Im übrigen verweist der zitierte Autor der Basler Zeitung auf die Gefahr, die die jetzige "humanitäre Hilfe" der Militärs in sich birgt. Er brachte die Parallele zum Völkermord an den Tutsi in Rwanda, in dessen Gefolge die Hutu- Flüchtlingslager unter Kontrolle der Hutu-Milizen gelangten. Die Nahrungsmittelhilfe der UNO war von diesem Zeitpunkt an direkte Hilfe für diejenigen, die für den Völkermord verantwortlich waren: die Hutu-Milizen. Und von ihnen wurden neue Massaker und ein neuer Angriff auf das inzwischen befriedete Land Rwanda und die dort lebenden Tutsi geplant.
  In Rwanda und Ost-Zaire wurde dies - bisher - verhindert. In Albanien, Makedonien und im Kosovo ist eine solche Perspektive n noch größer, weil diejenigen, die den Angriffskrieg gegen Jugoslawien führen, nunmehr die Flüchtlingslager kontrollieren und die UÇK ganz offen als ihren militärischen Verbündeten betrachten. Das Szenario, das sich abzeichnet, hat zwei Varianten:
  - die "friedliche": es kommt zu einem Waffenstillstand, zu einem "vereinbarten" Rückzug jugoslawischer Einheiten, zu einem Einmarsch von "UN-Einheiten mit starker NATO-Komponente"; mit diesen werden Hunderttausende Flüchtlinge kommen und mit diesen weitere UCK-Einheiten;
  - bei der kriegerischen Variante - kein Waffenstillstand - kommt es zum Bodenkrieg und in dessen Gefolge zur sukzessiven Rückkehr von Kosovo-albanischen Flüchtlingen und UÇK.
  In beiden Fällen droht der umgekehrte Prozeß dessen, was es seit dem 24.März gab und was sich auch zuvor in der Krajina und in Sarajevo ereignete: Dann werden die verbliebenen 200.000 bis 300.000 Serbinnen und Serben aus dem Kosovo vertrieben. Die Region wird zunehmend mit Albanien zusammenwachsen; ein solches Großalbanien wiederum wird das ethnische Gleichgewicht in Makedonien zum Kollaps bringen. Ein sich schleichend ausweitender Balkankrieg droht - unter "humanitärer Flagge", aber mit primär militärischen und machtpolitischen Zielen.
  Winfried Wolf
 


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